Gastreferat von Anne Lauvergeon, Direktionspräsidentin von Areva, an der ordentlichen Generalversammlung 2005 des Nuklearforums Schweiz

22. Sep. 2005
Anne Lauvergeon: «Der Entscheid zum Bau eines neuen Kernkraftwerks ist immer besser abgestützt und dauerhafter, wenn er nach einer transparenten und an den Fakten orientierten Diskussion fällt - ein Prozess, den die Schweiz mit Erfolg zu durchlaufen weiss.»
Anne Lauvergeon: «Der Entscheid zum Bau eines neuen Kernkraftwerks ist immer besser abgestützt und dauerhafter, wenn er nach einer transparenten und an den Fakten orientierten Diskussion fällt - ein Prozess, den die Schweiz mit Erfolg zu durchlaufen weiss.»
Quelle: Alexander Egger

1. Einleitung

Die Energie steht heute im Zentrum zahlreicher Herausforderungen, von der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit bis hin zum Umweltschutz. Davon zeugt auch die gegenwärtige Energiedebatte in der Schweiz. Die Schweiz hat sich sehr früh für die Kernenergie als Ergänzung zur Wasserkraft entschieden, und sich dabei öfters auf Volksentscheide abgestützt. Damit legte sie die Grundlagen für eine Politik, die es ihr erlaubte, mit einer gewissen Gelassenheit auf die Zukunft ihrer Versorgung zu blicken. Areva zählt seit vielen Jahren die Schweizer Elektrizitätsunternehmen zu ihren Kunden und zieht die Dynamik des sich stark entwickelnden Strommarkts sowie die lebhafte Debatte in der Schweiz laufend in ihre Tätigkeit ein, um ihren Kunden am besten zu dienen.
Die Areva-Gruppe gehört zu den weltweit führenden Unternehmen im Energiegeschäft. Sie liefert technische Lösungen für die Stromerzeugung aus Kernenergie und für die Stromverteilung. Im nuklearen Bereich ist Areva in allen Segmenten des Kernbrennstoffkreislaufs tätig, vom Uranbergbau über die Reaktortechnik bis zur Wiederaufarbeitung. Die Gruppe zählt 70'000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ist in 40 Ländern vertreten. Im Jahr 2004 überstieg der Umsatz EUR 11 Mrd.
Mit ihrer Tätigkeit steht Areva mitten in der Energieproblematik. Als führendes Unternehmen in diesem Sektor steht die Areva natürlich in der Verantwortung, zur Bewältigung der Herausforderungen beizutragen, denen sich Schweiz und die Welt stellen müssen.

2. Die Herausforderungen der Energie- und Umweltpolitik

Diese Herausforderungen umfassen die Bevölkerungsentwicklung, die Wirtschaftsentwicklung und die Umweltproblematik.
Die Bevölkerungsentwicklung ist der erste Faktor: Sechs Milliarden Menschen benötigen jedes Jahr das Energieäquivalent von zehn Milliarden Tonnen Erdöl. Und die Einwohnerzahl unseres Planeten steigt weiter.
Dazu kommt, dass dieser Energieverbrauch äusserst ungleich über die Welt verteilt ist: Noch heute haben zwei Milliarden Menschen - wie vor 5000 Jahren - nur Zugriff auf Holz und andere «erneuerbare» Energien. Und ohne ein Minimum an Energie gibt es keine Entwicklung!
Darüber dürfen nicht vergessen, dass auch in den Industrieländern der Verbrauch zunimmt, beispielsweise als Folge der explosionsartigen Verbreitung moderner Techniken wie des Computers. In der Schweiz steigt die Energienachfrage jährlich um rund 2%, trotz eingeleiteter Sparmassnahmen.
Unter dem dreifachen Druck des Bevölkerungswachstums, der legitimen Entwicklungsbedürfnisse der am meisten benachteiligten Regionen und der Lebensweise in den Industrieländern wird somit die Nachfrage weiter signifikant zunehmen, ob wir das wollen oder nicht. Auf der globalen Ebene erwarten heute die meisten Analysten eine Verdoppelung des Verbrauchs in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts.
Im Übrigen müssen wir nicht nur investieren, um mit der Nachfrage Schritt zu halten, sondern auch unsere heutigen Produktionsmittel erneuern. Unsere Infrastrukturen sind oft mehr als ein halbes Jahrhundert alt. Auf dem Nukleargebiet war die Schweiz ein Pionierland: Die ersten Kernkraftwerke gingen in der Beznau 1969 und 1971 ans Netz. Die Frage nach ihrem Ersatz stellt sich daher am gar nicht so weit entfernten Horizont von 2020.
Das bedeutet, dass wir heute wie vor 50 Jahren energiepolitische Richtungsentscheide fällen müssen, welche die Versorgungssicherheit und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit optimieren. Je konkurrenzfähiger die Energiekosten und besonders die Stromkosten sind, umso dynamischer kann sich die Schweizer Wirtschaft entwickeln. Diesen Herausforderungen sind wir uns alle bewusst, und ein Ölpreis von 70 Dollar pro Fass verstärkt ihre Wahrnehmung in der Bevölkerung.
Doch im 21. Jahrhundert müssen wir in unseren Richtungsentscheid zusätzlich eine weitere, noch nie da gewesene Herausforderung einbeziehen: die Klimaerwärmung. Die Schweiz war eines der ersten Länder, das sich dieser Bedrohung bewusst wurde. Sie gehörte zu den ersten, die das Kyoto-Protokoll ratifizierten, und stellte als eines der ersten Länder einen Aktionsplan auf, und dies vom Beginn der 1990er-Jahrean.
Das Kyoto-Protokoll ist heute nur ein erster Schritt. Die wirkliche Herausforderung besteht darin, deutlich darüber hinauszugehen und auf die eine oder andere Art und Weise alle Länder in die Bewegung mit einzubeziehen - einschliesslich von Staaten wie China, Indien oder Brasilien. Die rasante Entwicklung dieser in vollem Wachstum befindlichen Länder ist höchst legitim, was sie aber-gleich wie die USA, Japan, Russland oder die europäischen Länder - zu unverzichtbaren Akteuren im Kampf gegen die Klimaerwärmung macht.

3. Wir brauchen alle Lösungen

Um den Herausforderungen von Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Umweltfreundlichkeit zu begegnen, gibt es keine Wunderlösung. Es gibt nur einen einzigen möglichen Ansatz: Wir müssen alle verfügbaren Lösungen vollumfänglich einsetzen.
Das ist die Stossrichtung des schweizerischen Aktionsplans, und das ist auch die Leitlinie der Energie- und Umweltpolitik der meisten Länder:

  • - Die Energieeffizienz ist immer weiter zu verbessern, sowohl beim Energieverbrauch -was Anstrengungen mit einem langen Atem bedingt - wie auch bei der Produktion und der Übertragung elektrischer Energie.
  • - Der Verkehr spielt bei der Freisetzung von Kohlenstoff eine sehr wichtige Rolle. Sein relativer Anteil ist einem Land wie der Schweiz, wo die Stromerzeugung praktisch ohne Kohlenstoff erfolgt, noch viel wichtiger. Die Entwicklung von saubereren Verkehrsmitteln ist somit eine erstrangige Herausforderung.
  • - Manche Länder werden nicht ohne den Rückgriff auf Kohle, Erdöl oder Gas auskommen. Hier geht es darum, die Auswirkungen der fossilen Brennstoffe auf das Klima zu mildern. Forschungsarbeiten über die «Kohlenstoff-Sequestrierung» sind im Gang, und dieser Weg ist weiter zu verfolgen. Freilich sind wir noch weit vom Ziel entfernt.
  • - Vor allem aber müssen wir auf kohlenstofffreie Energien setzen. Die neuen erneuerbaren Energien haben hier eine Rolle zu spielen. Aber wir wissen alle, dass Wind und Sonne nicht unterbruchsfrei zur Verfügung stehen und dass viele Länder nicht über genügend geeignete Standorte verfügen.
  • - Um unseren Bedarf jederzeit decken zu können, namentlich in der Grundlastproduktion, müssen wir daher jene beiden Techniken nutzen, die sich schon bisher bewährt haben: die Kernenergie und die Grosswasserkraft.

Diese beiden Techniken sind wirtschaftlich konkurrenzfähig und sauber. Die Schweiz ist auf diesem Gebiet vorbildlich: Mit 58% Strom aus Wasserkraft und 38% Strom aus Kernenergie wäre es schwierig, es besser zu machen!

4. Wiedererwachtes Interesse an der Kernenergie überall auf der Welt

Alle diese Argumente erklären, warum immer mehr Elektrizitätsunternehmen in einer wachsenden Zahl von Ländern sich darüber Rechenschaft geben, was die Kernenergie leisten kann, und sich wieder oder zum ersten Mal für diese Energiequelle interessieren.
Diese Entwicklung wirkt sich zunächst auf die Investitionen in die bestehenden Kernkraftwerke aus. Die sehr starke Wettbewerbsfähigkeit der Kernenergie ist auf den sich immer weiter öffnenden Strommärkten ein nicht wegzudiskutierender Trumpf. Und so wird dort, wo vor fünf Jahren noch über Stilllegungen diskutiert wurde, heute über Lebensdauerverlängerungen gesprochen. Das trifft für die Schweiz zu, aber zum Beispiel auch für Schweden, wo es nicht gelingt - wie vor 20 Jahren in Aussicht genommen - aus der Kernenergie auszusteigen. Und es gilt auch für die USA, wo der Markt für die Modernisierung bestehender Kernkraftwerke sehr lebhaft ist.
Ganz konkret zeigt sich das Interesse an der Kernenergie beim Bau neuer Reaktoren - nicht nur in Asien, sondern auch bei uns in Europa. Das erste Beispiel ist sicherlich die Entscheidung von TVO in Finnland. Dieses Land ähnelt ein bisschen der Schweiz - mit gleichen Wettbewerbsanforderungen und gleichem Umweltbewusstsein wie auch mit seiner öffentlichen Gesprächs- und Vernehmlassungstradition. Die Kernenergie überzeugte dort aus dem Blickwinkel der Wirtschaftlichkeit: Das Elektrizitätsunternehmen TVO lancierte das Projekt mit der Unterstützung seiner Stromgrosskunden. Die Kernenergie überzeugte auch aus Umweltsicht: Sie gewann die Zustimmung der Politik und der Bevölkerung.
Als Ergebnis eines echten internationalen Wettbewerbs entschied die TVO, der von französischen und deutschen Teams entwickelten Technik von Areva das Vertrauen zu schenken. Sie ist damit das erste Elektrizitätsunternehmen der Welt, das einen Reaktor der dritten Generation - den EPR am Standort Olkiluoto - betreiben wird. Der Terminplan mit einer Bauzeit von bloss fünf Jahren bis zur Inbetriebnahme 2009 ist ehrgeizig.
Auch die EDF in Frankreich hat nach einer langen, für alle offenen Debatte und nach vertieften Analysen entschieden, die nukleare Option offen zu halten. Um die Erneuerung des umfangreichen Kernkraftwerkparks vorzubereiten, beschloss die EDF, bereits heute in einen EPR als Serienvorläufer am Standort Flamanville in der Normandie zu investieren. Die in Frankreich bei jedem Grossprojekt erforderliche öffentliche Vernehmlassung ist eingeleitet. Ziel ist die kommerzielle Inbetriebnahme gegen 2012. Es ist übrigens aufschlussreich festzustellen, dass andere europäische Elektrizitätsunternehmen die Absicht haben, neben der EDF ebenfalls an diesem Projekt teilzunehmen.
Auch ausserhalb Europas, ja überall in der Welt beschleunigt sich die für die Kernenergie günstige Dynamik. Die Elektrizitätsunternehmen, die bereits Kernenergie einsetzen, führen ihre Ausbauprogramme weiter, so zum Beispiel in Japan und Südkorea, oder auch in Bulgarien mit dem Projekt, das Kernkraftwerk Belene fertig zu stellen.
China, der Riese im vollen Wachstum, entwickelt ein Programm zum Bau von mehr als 30 Reaktoren in 15 Jahren. Das mag uns als viel erscheinen, aber im Massstab dieses Landes ist es eher wenig! Und es ist ermutigend zu sehen, dass es sich dabei nicht einfach um einen Entscheid der Zentralregierung in Beijing handelt. Vielmehr verlangen fast alle Provinzen, diese neuen Reaktoren zugesprochen zu erhalten. Areva als langjährige Partnerin der chinesischen Nuklearindustrie bewirbt sich gegenwärtig um den Bau von vier Einheiten der fortgeschrittenen Generation (EPR).
Aktuell ist weiter, was sich gegenwärtig in den USA abspielt. Die Änderungen beim Bewilligungsverfahren waren ein erster Schritt. Die Verabschiedung des Energiegesetzes in diesem Sommer hat bestätigt, dass Bundesregierung und Kongress die Kernenergie unterstützen. Noch bedeutender ist, dass sich Elektrizitätsunternehmen konkret engagieren. Constellation - das Unternehmen gehört zu den dynamischsten Elektrizitätsgesellschaften auf dem nordamerikanischen Markt, auch beim Handel - ist heute die Partnerin von Areva in UniStar Nuclear. Auf der Grundlage eines innovativen Industrie- und Finanzplans haben Areva und Constellation die Absicht, in den USA bis 2015 die ersten vier EPR-Einheiten zu bauen.

5. Auch in der Schweiz hat die Kernenergie ihren Platz

Nach der klaren Volksabstimmung von 2003 über die Beibehaltung der Kernenergie in der Schweiz erwähnt die Studie «Stromperspektiven 2020» der Axpo das Projekt eines neuen Kernkraftwerks. Dieser Vorstoss zeugt von verantwortungsvollem Vorgehen bei der Vorbereitung der Energie- wie auch der Umweltzukunft, indem er moderne, realistische Lösungen vorschlägt.
Die schweizerischen Elektrizitätsunternehmen können sich beim Gestalten der Zukunft auf über 30 Jahre Erfahrung beim Betrieb von Kernkraftwerken und auf die starke demokratische Tradition der Bürgerinnen und Bürger abstützen. Aber auch wenn der Kernenergie aus Gründen der Wirtschaftlichkeit wie des Umweltschutzes eine wichtige Rolle zukommt - sie lässt sich nicht verordnen. Der Entscheid zum Bau eines neuen Kernkraftwerks ist immer besser abgestützt und dauerhafter, wenn er nach einer transparenten und an den Fakten orientierten Diskussion fällt - ein Prozess, den die Schweiz mit Erfolg zu durchlaufen weiss.

6. Die Areva investiert, um einer wachsenden Nachfrage zu begegnen

In diesem für die Entwicklung der Kernenergie wieder günstigeren Umfeld schafft Areva die Voraussetzungen, um der steigenden Kundennachfrage zu begegnen. Das ist ihre Aufgabe als verantwortliche Lieferantin und ihre Verantwortung als führendes Unternehmen der Nuklearindustrie.
So investiert Areva in die Entwicklung ihrer Ressourcen und Kapazitäten bei der Urangewinnung: durch die Inbetriebnahme neuer Abbaustätten wie Cigar Lake in Kanada oder Mujunkum und Tortkuduk in Kasachstan sowie durch die Intensivierung der Exploration, die immer aufrecht erhalten wurde, auch als die Preise am tiefsten lagen.
Areva investiert auch in die Modernisierung ihrer Werke: Das gilt für die Anreicherung, für die im künftigen Werk Georges-Besse-2 die wettbewerbsfähigste Zentrifugentechnik eingesetzt werden wird. Und das gilt auch für die Herstellung von Reaktorgrosskomponenten im Werk Chalon.
Areva investiert schliesslich in Innovationen, um die konkurrenzfähigsten Produkte und Dienstleistungen anbieten zu können. Ein gutes Beispiel dafür ist der EPR: Er bringt mehr Sicherheit durch ein tieferes Kernschmelzrisiko wie auch ein Auslegungskonzept, das die Widerstandsfähigkeit gegen externe Risiken verbessert. Der EPR verbessert die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit, er produziert weniger nicht verwertbare Rückstände und erlaubt ein Recycling mit 100% Mischoxidbrennstoff (Mox). Der gleiche Geist herrscht beim Angebot innovativer Lösungen, wie beispielsweise in den Bereichen Brennstoff oder Reaktordienstleistungen.

7. Folgerungen

Diese Produkte und Dienstleistungen stehen auch den schweizerischen Elektrizitätsunternehmen zur Verfügung.
Die schweizerischen Energieakteure haben sich Strukturen gegeben, um eine wichtige Rolle auf dem europäischen Strommarkt zu spielen. Um ihre Aufgabe als Stromdrehscheibe in Europa erfüllen zu können, müssen sie selber über zuverlässige und flexible Produktionsmittel verfügen. Es wird für sie vorteilhaft sein, einen wirtschaftlich effizienten und umweltfreundlichen Energiemix aufrecht zu erhalten, der Wasserkraft und Kernenergie kombiniert.
Areva erbringt für die in der Schweiz in Betrieb stehenden Reaktoren seit vielen Jahren Dienstleistungen. Die Gruppe hat den Ehrgeiz, noch mehr zur Verwirklichung der Zielvorstellungen ihrer Kunden und damit zur Aufrechterhaltung der Lebensqualität der Schweizerinnen und Schweizer beizutragen.

Quelle

Anne Lauvergeon, Uebersetzung: Nuklearforum Schweiz

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