«Ich habe den Schritt in die Kernenergie noch nie bereut»

Anfang Oktober 2012 hat Herbert Meinecke die Leitung des Kernkraftwerks Gösgen (KKG) übernommen. Vom teilweise heftigen politischen Gegenwind lässt er sich nicht vom Kurs abbringen: zusammen mit seinen Mitarbeitern zuverlässig, sicher und umweltschonend Strom zu produzieren. Der neue Kraftwerksleiter im Gespräch mit dem Nuklearforum Schweiz.

7. März 2013
Die vorhandene Motivation unterstützen – Kraftwerksleiter Herbert Meinecke im Gespräch mit Operateuren im Kommandoraum des Kernkraftwerks Gösgen.
Die vorhandene Motivation unterstützen – Kraftwerksleiter Herbert Meinecke im Gespräch mit Operateuren im Kommandoraum des Kernkraftwerks Gösgen.
Quelle: Nuklearforum Schweiz

Die Kernenergie wird seit Jahrzehnten schlechtgeredet. Warum sind Sie als Elektroingenieur in die Nukleartechnik eingestiegen?
Herbert Meinecke: Nach dem Grundstudium in Elektrotechnik in Braunschweig musste ich mich für eine Vertiefungsrichtung entscheiden. Die Energietechnik interessierte mich am meisten, da die Energieversorgung für unsere Gesellschaft essentiell ist – und dazu kam, dass die beiden Professoren in dieser Fachrichtung dafür bekannt waren, ihre Kurse straff durchzuziehen. Aber vielleicht liegen die Wurzeln meiner beruflichen Entscheide viel weiter zurück. Mein Vater war bei der Bahn und das Elternhaus lag neben einem Instandhaltungswerk für Dampflokomotiven. Diese Kraftwerke auf Rädern faszinierten mich schon als Kind und ich bin auf ihnen herumgeklettert und mitgefahren. Ich habe auch eine alte Kinderzeichnung von mir gefunden – sie zeigt Hochspannungsleitungen, Schaltanlagen und Reaktorkuppeln…

Was kam nach dem Studium?
Wie sich das so gehört als junger Ingenieur ging ich zunächst in die Entwicklung und entwarf bei ABB Schaltanlagen. Als ich dann eines Tages über ein Stelleninserat des Kernkraftwerks Beznau für die Position des Abteilungsleiters Elektrotechnik stolperte, meldete ich mich dort. Denn für einen Elektroingenieur ist der sehr breite Aufgabenbereich in einem Kernkraftwerk äusserst spannend. Heute, als Kraftwerksleiter, sind meine Verantwortlichkeiten noch umfassender. Ich habe den Schritt in die Kernenergie noch nie bereut.

Im KKG arbeiten über 500 Menschen. Welche Werte liegen Ihrer Unternehmensführung zu Grunde?
Zentral für mich ist Vertrauen – eine Tugend, die leider in den Chefetagen von Unternehmen seltener geworden ist. Vertrauen, gepaart mit Offenheit und Ehrlichkeit, bedeutet einerseits Wertschätzung der Mitarbeiter und ihrer Fähigkeiten. Ich bin der Auffassung, dass Mitarbeiter, denen Vertrauen entgegengebracht wird, einen starken Anspruch entwickeln, dem gerecht zu werden – so geht es auch mir.

Wie setzen Sie Ihre Ansprüche an sich selbst und andere um?
Ich versuche, diese Werte zu leben, so gut wie es mir möglich ist. Es geht mir darum, die Befindlichkeiten anderer Menschen zu erfassen und sie ernst zu nehmen – was aber nicht heisst, dass ich negative Dinge nicht anspreche. Nur bemühe ich mich, offen, klar und zeitgerecht zu kommunizieren. Die Mitarbeiter sollen wissen, woran sie sind. Und dann ist natürlich das Vorbild wichtig. Ich gehe ebenso gerne zur Arbeit wie ich meine Freizeit schätze. Das sollte bei allen Mitarbeitern so sein, was mich zu einem zentralen Punkt führt: Im Ergebnis führt diese Einstellung zu einer starken Sicherheitskultur und letztendlich zum Vertrauen der Anwohner in unseren Kraftwerksbetrieb.

Sie produzieren Strom in einem schwierigen politischen Umfeld. Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiter?
Ich finde, meine Mitarbeiter sind, wie alle Menschen, von sich aus motiviert. Aufgabe der Führung ist es, diese vorhandene Motivation zu unterstützen und demotivierende Hemmnisse abzubauen. Ich erinnere die Belegschaft oft daran, was wir eigentlich tun: Wir produzieren Strom – etwas, das allen Menschen dient. Unsere Mitarbeiter sind unsere Botschafter in der Aussenwelt, und das tun sie von sich aus. Dabei schadet es überhaupt nicht, wenn sie – oder auch ich – einmal eine Frage nicht beantworten können. Wichtiger ist, sich selbst zu sein. Wenn ich etwas nicht weiss, sage ich das, und mache mich nachher darüber kundig. Ich spüre in der Bevölkerung keine Ablehnung meiner Person, auch nicht bei Vereinskollegen, die aus der Kernenergie aussteigen wollen. Wir sind hier in der Schweiz. Mein Eindruck ist, dass die Bevölkerung gegenüber Argumenten zugunsten der Kernenergie offener ist als manche Meinungsführer in Politik und Medien.

Finden Sie genügend Nachwuchs?
Die Rekrutierung in den technischen Berufen ist generell nicht einfach – nicht nur für Kernkraftwerke. Bei uns in Gösgen ist dennoch der Nachwuchs heute und in absehbarer Zeit sichergestellt. Das Ende des Leistungsbetriebs ist noch nicht abzusehen, und auch der anschliessende Nachbetrieb wird interessante Aufgaben bieten. Was in unserer Branche einmalig ist und jeden Mitarbeiter zusätzlich qualifiziert, ist die Sicherheitskultur und das systematische Vorgehen bei Arbeitsvorbereitung und Fehlervermeidung. Solche in der Praxis erworbenen Kenntnisse sind auch ausserhalb der Nuklearindustrie sehr gefragt.

Im Vergleich zur Betriebsaufnahme 1979 produziert das KKG heute rund ein Viertel mehr Strom als damals – eine Erfolgsgeschichte, die in der Öffentlichkeit kaum gewürdigt wird. Irritiert Sie das?
Nein – das Feindbild Kernenergie ist über Jahrzehnte systematisch aufgebaut worden. Politik und Medien transportieren die Meinungen sehr einseitig. Im Kern handelt es sich dabei um Glaubensbekenntnisse, und ich wünschte mir eine mehr faktenbasierte Diskussion. Vielleicht liegt das Problem in unserem Produkt: Hunderttausende von Menschen erhalten ihren Strom aus Gösgen, aber sie wissen nicht, dass wir ihn liefern. Damit eine Stromversorgung zuverlässig funktioniert, müssen eben viele Zahnräder ineinandergreifen. Beim Auto ist das übersichtlicher: Da fahre ich an die Tankstelle, ich kenne das Produkt, seine wichtigsten Eigenschaften und den Verkäufer. Anders beim Strom: Mich überrascht im wieder das ehrliche Erstaunen von Menschen, wenn ich ihnen erkläre, dass Strom nicht speicherbar ist und genau dann erzeugt werden muss, wenn wir ihn konsumieren. Wir sagen zu wenig, was wir tagtäglich machen.

Sie stehen permanent unter öffentlichem Druck. Kürzlich haben Kernenergiegegner sogar eine Strafanzeige wegen Bilanzfälschung gegen das KKG eingereicht. Wie gehen Sie mit solchen Anfeindungen um?
Man muss die Gelassenheit bewahren und den Mitarbeitern die Relevanz solcher Vorgänge erklären. Und zwischendurch muss man auch abschalten können. Zum Beispiel beim Joggen entlang der Aare, das gibt einen klaren Kopf. Dank meiner Familie und meinen Hobbies gelingt es mir meistens gut, den nötigen Abstand zu erlangen und gelassen zu bleiben. Dabei hilft mir die Überzeugung, dass wir im KKG auf dem richtigen Weg sind. Wir sind diejenigen, die aktiv für den sicheren Betrieb sorgen, die Anlage gut instand halten und sie laufend dem Stand der Technik anpassen.

Die Kernenergiegegner reklamieren für sich, die «Guten» zu sein.
Ich zähle mich in diesem Zusammenhang auch zu den «Guten». Ich bin im Gegensatz zu den Kernenergiegegnern für etwas, für eine Stromproduktion, die allen dient. Ich habe drei Kinder, denen ich eine lebenswerte Natur und Umwelt hinterlassen möchte. Ich bin überzeugt, dass heute die Kernenergie die umweltfreundlichste Art ist, Grundlast im Netz bereitzustellen.

Wie geht es weiter im KKG? Welche Investitionen stehen an? Was ist Ihr Planungshorizont?
Während des kommenden Revisionsstillstands bauen wir neue Niederdruckturbinen, neue Kondensatoren und einen neuen Generator ein. Wir erhöhen damit erneut unsere Energieeffizienz und erwarten eine elektrische Mehrleistung von rund 30 Megawatt, ohne dass wir die Reaktorleistung erhöhen. Die dadurch mögliche Mehrproduktion entspricht ungefähr dem Gesamtbedarf einer Stadt wie Olten oder Aarau einschliesslich der umliegenden Gemeinden. Zusammen mit der schrittweise erneuerten Steuerungs- und Leittechnik werden wir in den kommenden Jahren um die 500 Millionen Franken investieren. Unser Planungshorizont liegt heute bei 60 oder mehr Betriebsjahren – eher länger als kürzer, wenn wir bei der heutigen Energiepolitik bleiben.

Ihr persönlicher Ausblick auf die Zukunft der Kernenergie in der Schweiz?
In Deutschland führte der Atomausstieg zur Renaissance der Kohlekraftwerke. Es wird sich zeigen, dass das Schweizer Stimmvolk keine fossil befeuerten Kraftwerke an Stelle der Kernkraftwerke will. Auch wird sich die Erkenntnis durchsetzen, dass Sonne und Wind zwar einen Beitrag zur Verminderung der fossilen Brennstoffe leisten, nicht aber Grundlastkraftwerke ersetzen können. In einem «NZZ Folio» habe ich einmal sinngemäss folgenden Ausspruch gefunden: Wenn wir seinerzeit die Autos verboten hätten, wären die Postkutschen dennoch von den Strassen verschwunden. Oder anders gesagt: Technologieverbote sind unsinnig. Innovation lässt sich nicht verhindern. Unsere Vorfahren haben vor langer Zeit gelernt, das Feuer nutzbar zu machen. Ich bin überzeugt, dass wir in Zukunft das enorme Potenzial, das in der Kernenergie steckt, zum Nutzen aller ausschöpfen werden. Ich persönlich glaube, dass ich in meiner aktiven Berufszeit den Spatenstich zum Bau eines neuen Kernkraftwerks in der Schweiz erleben werde.

Herbert Meinecke

Herbert Meinecke wurde 1964 in Braunschweig (D) geboren. Nach dem Abschluss seines Studiums in Elektrotechnik an der Technischen Universität Braunschweig trat er als Entwicklungsingenieur in die ABB Calor Emag Schaltanalgen AG in Hanau (D) ein. 1998 wechselte er als Leiter Marketing für Entwicklungsprojekte zur ABB Hochspannungstechnik AG in Zürich und war danach für die Neuentwicklung von gasisolierten Schaltanlagen verantwortlich. 2002 übernahm er die Leitung der Abteilung Elektrotechnik im Kernkraftwerk Beznau und 2011 die Position des stellvertretenden Kraftwerksleiters im Kernkraftwerk Gösgen. Seit dem 1. Oktober 2012 ist er Kraftwerksleiter in der Nachfolge von Guido Meier.
Herbert Meinecke ist verheiratet und hat drei Kinder. Er ist schweizerisch-deutscher Doppelbürger. Zu seinen Hobbies gehören das Fliegen (Privatpilotenlizenz), der Langstreckenlauf und – als Mitglied des Schweizer Alpenclubs (SAC) – das Bergwandern.

Quelle: KKG

Quelle

Das Interview führte Michael Schorer

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