Kernenergie: weltweit auf der Agenda

Am 9. November 2007 fand in Olten eine Informationstagung des Nuklearforums Schweiz statt. Unter dem Titel «Kernenergie: weltweit auf der Agenda» diskutierten Fachleute aus dem In- und Ausland über die neuesten Entwicklungen in Europa und der Welt. Anhand aktueller Projekte erörterten sie die wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, mit denen sich die Kernenergie konfrontiert sieht.

3. Dez. 2007

In seinem Eröffnungsreferat ging der Präsident des Nuklearforums, Bruno Pellaud, auf die gegenwärtige Situation der Kernenergie ein. «Treibende Kraft für die Neubewertung der Kernenergie sind die guten Betriebserfahrungen mit den heutigen Kernkraftwerken, die tiefen und stabilen Stromproduktionskosten und der steigende Strombedarf als Folge des Trends, fossile Energien durch Stromanwendungen zu ersetzen», sagte er. Die Erfahrungen der letzten Jahre, insbesondere in Skandinavien, zeigten, dass neue Kernkraftwerke wirtschaftlich sind, die bei Prototypen unvermeidlichen Bauverzögerungen gemeistert werden können und auch die Entsorgung der radioaktiven Abfälle bei entsprechendem politischem Willen lösbar ist. «Weiter geht aus allen umfassenden Analysen hervor, dass die Uranreserven der Erde für mehrere hundert Jahre ausreichen dürften», legte Pellaud dar. Bei der Einführung neuer Nukleartechnologien erhöhe sich die Reichweite sogar auf tausende von Jahren.

Zu diesen Faktoren hinzu komme heute die Klimafrage. «Ob man das gerne sieht oder nicht - die Klimaproblematik gibt Rückenwind für die Kernenergie in Europa und der Welt», hielt Pellaud fest und verwies auf den jüngsten Bericht des Uno-Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC): «Erstmals zählt der Weltklimarat die Kernenergie ausdrücklich zu jenen Schlüsseltechnologien, die heute kommerziell verfügbar sind, um die Klimaveränderungen zu begrenzen.»

Weltweite Renaissance der Kernenergie

In der zweiten Präsentation zeigte der Kanadier Robert Vance, Energieanalyst der Kernenergieagentur (NEA) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), anhand von Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) auf, dass die Kernenergie einen wichtigen Beitrag zur Senkung der Abhängigkeit von Gasimporten und zur Verringerung der CO2-Emissionen leisten kann. Heute beläuft sich der Kernenergieanteil auf 16% der weltweiten Stromerzeugung (in den OECD-Ländern 24%), erklärte Vance. Gleichzeitig erwartet die IEA bis 2030 weltweit eine Energieverbrauchszunahme von über 50%, wobei 70% des Wachstums in den Schwellen- und Entwicklungsländern stattfinden werde. Vance rief in Erinnerung, dass bereits heute ein grosser Teil des aus dem Energiesektor stammenden CO2 aus fossil befeuerten Kraftwerken stammt. So sind nach seinen Angaben allein in China im Jahr 2006 durchschnittlich zwei Kohlekraftwerke pro Woche ans Netz gegangen.

Vor diesem Hintergrund, aber auch als Folge der gestiegenen Preise für fossile Brennstoffe und angesichts der in den letzten Jahrzehnten immer höheren Zuverlässigkeit der Kernanlagen, habe das Interesse am Bau neuer Kernkraftwerke markant zugenommen. Neben Russland verfolgten insbesondere aufstrebende Länder wie China und Indien ehrgeizige Neubauprogramme. In Finnland und Frankreich sei gegenwärtig je ein Kernkraftwerk in Bau und in Bulgarien, Rumänien und der Slowakei steht der Bau weiterer Blöcke bevor. Neubauten seien auch in Kanada und den USA zu erwarten. «Aber auch Länder wie Polen, die Türkei, Indonesien, Vietnam, Malaysia und Thailand denken über den Einstieg in die Kernenergie nach», erklärte Vance. Zum Uran bestätigte er, dass die weltweiten Uranreserven bei weitem ausreichen, um die absehbare Nachfrage zu decken. Zudem habe der stark gestiegene Uranpreis in den vergangenen Jahren zu deutlich erhöhten Investitionen in die Exploration geführt.

Grossbritannien: Neubauten benötigen stabilen staatlichen Rahmen

Zur aktuellen Situation in Grossbritannien referierte anschliessend Robert Armour, Director of Corporate Affairs und General Counsel bei der British Energy Group plc. Nach seinen Angaben will die britische Regierung bis Jahresende die Grundsatzfrage zum Neubau von Kernkraftwerken definitiv entscheiden. Umfragen in der Bevölkerung zeigten, dass vor allem dann neuen Kernanlagen zugestimmt wird, wenn es um den Ersatz der bisherigen Kernkraftwerke gehe.

Zur konkreten Neubauplanung hielt Armour fest, dass die Industrie ein Bewilligungsverfahren wünscht, das internationale Vorprüfungen akzeptiert. Zudem stünden die bestehenden Standorte im Vordergrund. Für Planung, Vorlizenzierung und Bau eines neuen Kernkraftwerks rechnet er mit einem Zeitbedarf von rund zehn Jahren. Er unterstrich aber auch, dass der Ersatz der bestehenden Kernkraftwerke und der Bau neuer Einheiten von der Privatwirtschaft zu finanzieren ist. Dies setze jedoch voraus, dass die Regierung den Investoren die nötigen Sicherheiten biete.

Finnland: wettbewerbsfähige Kernenergie

Als letzte Präsentation vor der Mittagspause erläuterte Veijo Ryhänen, Corporate Adviser der finnischen TVO, die Gründe, die für die Nutzung der Kernenergie in Finnland sprechen. Zuerst legte er die Fakten zur finnischen Energieversorgung dar. Finnland habe einen sehr hohen Energiekonsum, weil die Struktur der finnischen Industrie energieintensiv, der Lebensstandard hoch, das Klima kalt und die Distanzen gross sind, erklärte Ryhänen. Die Wirtschaft sei stark von Energieimporten abhängig: Das Land importiere rund 70% der insgesamt konsumierten Energie.

Um die Auslandsabhängigkeit zu verringern und damit die Versorgungssicherheit zu vergrössern, ist laut Ryhänen die Nutzung der Kernenergie unumgänglich. Für diese Energiequelle sprächen auch die positiven technischen und wirtschaftlichen finnischen Erfahrungen mit der Kernenergie von über 30 Jahren. Zudem seien die Kosten des Atomstroms wettbewerbsfähig und langfristig berechenbar. Schliesslich stehe die CO2-arme Kernenergie in Einklang mit den nationalen Klimaschutzzielen, schloss Ryhänen: Sie decke den steigenden Strombedarf des Landes und ersetze alte fossil befeuerte Kraftwerke. Der sich im Bau befindliche Europäische Druckwasserreaktor (EPR) in Olkiluoto solle 2011 den kommerziellen Betrieb aufnehmen und bereits liefen die Vorbereitungsarbeiten für ein weiteres, sechstes finnisches Kernkraftwerk.

Warum Deutschland nicht aussteigen wird

Walter Hohlefelder, Vorstandsmitglied der E.ON Energie AG und Präsident des Deutschen Atomforums, erklärte, warum aus seiner Sicht Deutschland nicht aus der Kernenergie aussteigen wird - entgegen der vor sieben Jahren aus politischen Motiven getroffenen Vereinbarung zwischen Regierung und Stromversorgern. Mit dem vorzeitigen Abschalten der heutigen 17 deutschen Kernkraftwerke würde die Stromquelle mit dem grössten Anteil an der sogenannten Grundlast - der Stromversorgung rund um die Uhr - wegfallen. «Zudem käme es zur Vernichtung volkswirtschaftlichen Vermögens im zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich.»

Mehr noch: «Der Ausstieg bedeutet, dass Deutschland bis 2020 - zusammen mit dem Bedarf an konventionellen Kraftwerken - bis zu 50'000 Megawatt installierte Leistung ersetzen müsste und die Importabhängigkeit von wenigen Primärenergieträgern und wenigen, häufig instabilen Lieferländern dramatisch zunehmen würde», sagte Hohlefelder. Und schliesslich könnte Deutschland die angestrebte Vorreiterrolle im Klimaschutz nicht einnehmen - die Verpflichtung, bis ins Jahr 2020 den CO2-Ausstoss um 40% unter das Niveau von 1990 zu senken.

Neues Schweizer Kernkraftwerk: Frage der Technik sekundär

Marco Streit, Präsident der Young Generation der Schweizerischen Gesellschaft der Kernfachleute (SGK) stellte anschliessend die Vor- und Nachteile von zwölf Reaktortypen der Generation III/III+ vor und zeigte damit auf, dass es eine grosse Auswahl gibt. Die noch nicht zur kommerziellen Reife entwickelte Generation IV komme zurzeit nicht in Betracht.

Der Technikentscheid für neue Kernkraftwerke in der Schweiz werde jedoch erst in ein paar Jahren erfolgen, betonte Streit, und sich primär nach nicht technischen Kriterien richten wie Akzeptanz, Lieferbarkeit und Wirtschaftlichkeit. Abschliessend sagte er: «Die Frage der Technik ist heute sekundär. Zuerst muss der politische Prozess in Gang gesetzt und eine Rahmenbewilligung ausgesprochen werden.» Er zitierte dazu den amerikanischen Industriepionier Henry Ford: «Die meisten Menschen wenden mehr Zeit und Kraft daran, um Probleme herumzureden, anstatt sie anzupacken.»

Neubauten: Informationsmanagementsystem wichtig

Die Bedeutung von Qualitätsstandards, genügend Fachkräften, eines realistischen Zeitplans und eines umfassenden Informationsmanagementsystems bei Projektierung und Bau eines neuen Kernkraftwerkes erläuterte Frank-Peter Ritsche, Areva NP. Am Beispiel des Baus des ersten EPR - eines «first-of-a-kind»-Projekts - in Finnland zeigte er auf, dass die geforderte sehr hohe Qualität eine Herausforderung für manche Hersteller und Zulieferer ist und auch Zeit beansprucht. Die bei einem Neubau aufwendigen Überprüfungs- und Bewilligungsverfahren kosteten zunehmend Zeit und diese müsse im Zeitplan miteinberechnet werden. Hilfreich sei hier eine Vorlizenzierung wie in den USA, da sie die Bauzeit verkürzen helfe. In Qualität zu investieren, lohne sich aber allemal, meinte er.

Auch der wachsende Bedarf an Fachkräften dürfe nicht unterschätzt werden, führte Ritsche weiter aus und warnte vor einem Fachkräftemangel. Abschliessend plädierte er für den professionellen Einsatz modernster Informationstechnologien, damit die heute bei einem Neubau anfallende Daten- und Dokumentenfülle professionell angegangen werden könne. Ein frühzeitig geplanter elektronischer Datenaustausch zwischen Bauherren, Lieferanten und Behörden spare später viel Zeit und Geld.

Quelle

M.A.

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