Über den sinkenden Freiheitsgrad der (Energie-)Politik

Die Versorgungssicherheit sei jederzeit gewährleistet. Dies betonen führende Politiker gerne, ob im In- oder Ausland. Die Ukraine-Krise zeigt jedoch, wie klein der Handlungsspielraum mittlerweile für gewisse Staaten geworden ist.

2. Sep. 2014

Mit Freiheitsgrad wird die Zahl der voneinander unabhängigen Bewegungsmöglichkeiten eines Systems bezeichnet. Wenn wir die Energieversorgung, die Wirtschafts-, Innen- und die Aussenpolitik als Systeme betrachten, so erkennen wir, dass gewisse Länder in ihrem Handlungsspielraum arg eingeschränkt sind, dies einerseits durch den sehr limitierten Energiemix und andererseits, wenn es um mögliche harte Sanktionen gegenüber Russland geht – unabhängig davon, ob diese im Rahmen der Ukraine-Krise gerechtfertigt sind oder nicht.

Unterschiedliche Strafmassnahmen

Während nämlich die USA seit längerem für härtere Sanktionen gegen Russland plädieren, treten gewichtige EU-Länder wie Deutschland und Frankreich auf die Bremse. Insbesondere Deutschland scheint im Zuge der sich zuspitzenden Ukraine-Krise in einer «Gazprom-Falle» zu stecken. Der Freiheitsgrad Merkels (Energie-)Politik – ohne Atomstrom – wird immer kleiner. Kommt hinzu, dass die Subventionen für erneuerbare Energien aufgrund des klammen Staatshaushalts nicht mehr so üppig sprudeln. Die Ukraine-Krise wirft generell ein Schlaglicht auf die Abhängigkeit Europas vom russischen Gas. Insgesamt bezieht Europa beinahe 30% des Erdgases aus Russland. Deutschland importiert sogar 38% des Gases von Russland. Der wichtigste Anbieter, die Gazprom, ist hier längst salonfähig geworden: ob als einer der Hauptsponsoren der UEFA Champions League – die weltweit bedeutendste kontinentale Sportveranstaltung – oder als Sponsor für den FC Schalke 04. Kaum jemand hat diese Sponsoring-Aktivitäten je in Frage gestellt.

Zwar haben die Europäer wie auch die Amerikaner die Sanktionen gegenüber Russland im Juli 2014 ein weiteres Mal verschärft. Den Europäern sind jedoch die Hände gebunden: Bis jetzt wurden keine eigentlichen Wirtschaftssanktionen ergriffen. Im Gegensatz dazu richten sich die Strafmassnahmen der USA auch gegen russische Firmen aus dem Energie- und Rüstungssektor. Aus den Vereinigten Staaten heraus dürfen keine Finanzierungsgeschäfte mehr mit der Bank des staatlichen Energiekonzerns Gazprom sowie der russischen Bank für Aussenwirtschaft getätigt werden. Gleiches gilt für den Ölriesen Rosneft und den Gaskonzern Novatek. Russland habe die geforderten Schritte zur Entschärfung der Krise nicht unternommen, kritisierte US-Präsident Barack Obama in einer Rede in Washington. So habe Russland Waffenlieferungen in die Ukraine nicht unterbunden, lautet der Vorwurf aus Washington. Die Separatisten hätten von Russland schwere Waffen, Ausbildung und Flugabwehrsysteme erhalten. Die Hinweise verdichten sich, dass prorussische Separatisten das malaysische Passagierflugzeug MH-17 mit einer Boden-Luft-Rakete des russischen Flugabwehrsystems BUK abgeschossen haben.

Drohende Kostenexplosion für Haushalte

Die Europäische Investitionsbank und die Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung wurden von der EU angewiesen, keine neuen Projekte in Russland mehr zu genehmigen. Wie die Experten der Deutschen Bank berechnet haben, gehen 3,3% der deutschen Warenexporte inzwischen nach Russland. Das ist durchaus überschaubar. Die Bankanalysten warnen jedoch von den Folgen für die Energieversorgung, falls der russische Präsident Wladimir Putin als Reaktion auf neue Sanktionen den Gashahn zudreht. Eine Erdgas-Verknappung könnte für Heizwärme ein Problem darstellen, schreiben die Analysten, zumal 38% des Gases, das Deutschland unter anderem bei der Gazprom kauft, zum Heizen genutzt werden. Bereits eine Drosselung der Erdgaslieferungen um 50% würde wohl zu Preiserhöhungen um 50% führen.

Das wäre ein herber Schlag für E.On, RWE und andere deutsche Versorger, die schon jetzt wegen des Ökostroms ihre Gaskraftwerke kaum noch rentabel betreiben können», heisst es in einem Zeitungskommentar. Ein Lieferstopp würde zwar zu einem gewaltigen Teuerungsschub führen. Trotz Engpässe in den europäischen Gasnetzen sollte jedoch ein Ausgleich möglich sein. Die Bankanalysten raten, es lohne sich bei einem Preisanstieg, verflüssigtes Erdgas aus dem Nahen Osten von Asien nach Europa umzulenken. In der Tat werden derzeit erheblich mehr Tanker des Typs LPG (Liquefied Petroleum Gas) in der Nordsee gesichtet. Noch ist allerdings nicht klar, ob es sich um eine zufällige Häufung handelt oder ob tatsächlich einzelne Staaten erste Vorkehrungen für den Notfall tätigen. Von einem russischen Energie-Lieferstopp wären gewisse Länder noch viel stärker betroffen als Deutschland. So bezieht Finnland beinahe 100% seines Erdgases vom östlichen Nachbarn. Ähnliches gilt für die baltischen Länder.

Energie-Krieg und ökologisch fragwürdiger Fracking-Boom

Noch eine erheblich weitere Dimension bringt das relativ stark beachtete Online-Portal «Deutsche Wirtschafts-Nachrichten» ins Spiel. Von einem «Energie-Krieg» ist die Rede. Im Krieg der Worte und Sanktionen gegen Russland gehe es den Amerikanern vor allem um eines: Sie wollten den Russen den lukrativen europäischen Markt abjagen. Um Putin als Wettbewerber auszuschalten, soll der russische Präsident international isoliert werden. Das Portal schreibt: «Der Abschuss von Flug MH17 kommt der US-Strategie ebenso entgegen wie die heillose Zerstrittenheit in der EU.» Der Fracking-Boom in den USA, der durch die Obama-Administration als Mittel zur Energie-Autarkie der USA und als Wachstumsstimulanz für die marode US-Wirtschaft bewusst initiiert worden sei, stehe der sonstigen «Green Growth Lyrics» diametral entgegen. Insbesondere habe die Erdgasförderung mittels Fracking die Erdgaspreise in den USA purzeln lassen.

Die amerikanische Wirtschaft könne sich im Übrigen eine nach wie vor niedrige Energieineffizienz beziehungsweise Energieverschwendung leisten. «Allerdings geht dies wahrscheinlich auf Kosten der nachhaltigen, ökologischen Sicherheit des Landes, da Fracking mit erheblichen Problemen bei der derzeit eingesetzten Fördertechnologie verbunden ist», schreibt das Portal weiter. In den USA träume man derzeit davon, zu einem der grossen Erdgas-Exporteure weltweit aufzusteigen. Die Gazprom, Putin und die Blockade der Gasversorgung Europas seien freilich perfekt geeignet, um einem Szenario der Substitution von russischem Erdgas durch andere Versorgungsquellen Vorschub zu leisten. Der Staatenverbund G7 würden jedenfalls eine Unabhängigkeit von der russischen Energieversorgung Europas anstreben. Ob es zu einer tragfähigen Lösung mittelfristig kommen werde, stehe allerdings in den Sternen.

Quelle

Hans-Peter Arnold

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