Kernfragen: Einblicke aus Kanada und Italien

Teil 2 unser Interviewserie über das internationale Image der Atomkraft

Wie wird die Kernenergie in anderen Ländern betrachtet, wie steht die Bevölkerung dazu und was ist der Unterschied zur Schweiz. Diesen Fragen gehen wir in Gesprächen mit aus dem Ausland stammenden Mitarbeitenden, Expertinnen und Experten der Schweizer Nuklearbranche nach. Im zweiten Teil unserer Interviewserie kommen Carolyn Aubry aus Kanada und Michele Belloti aus Italien zu Wort.

2. Apr. 2024
Flugzeug Berge
Ein Blick aus der Schweiz: In unserer Interviewserie gehen wir der Frage nach, welches Image die Kernenergie im Ausland hat – diesmal mit Caroly Auby aus Kanada und Michel Bolleti aus Italien.
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Carolyn Aubry, Procurement Coordinator and Program Manager bei plantsupply, Kanada

Carolyn Aubry
Quelle: zvg

Meine Reise in den Nuklearsektor begann während meines Bachelor of Commerce, als ich ein Praktikum bei der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien in deren Büro für Beschaffungsdienste absolvierte. Inspiriert von der Aufgabe der IAEO, die friedliche Nutzung der Kerntechnik zu fördern, tauchte ich in verschiedene Projekte ein, die von der physischen Sicherheit von Kraftwerken bis hin zu nuklearen Anwendungen in den Bereichen Gesundheit und Ernährung, Sicherheitsausrüstung und IT reichten.
Im Jahr 2020 zog ich mit meinem Schweizer Ehemann in die Schweiz, nachdem ich einige Zeit in Kanada verbracht hatte. Ich wurde für die Stelle bei Plantsupply angesprochen, und es war meine erste direkte Beschäftigung mit der Kernenergie ausserhalb des regulatorischen Rahmens. Meine Entscheidung, eine Stelle in der Kernenergie anzunehmen, basiert darauf, dass ich die Herausforderungen und die Komplexität der Kernenergie kenne sowie ihr Potenzial als kohlenstoffarme Energiequelle zu schätzen weiss. Gegenwärtig geniesse ich es, mich mit den Risiken der Versorgungskette in allen Schweizer Kernkraftwerken zu befassen, von Überlegungen zum Abfallmanagement bis hin zum Langzeitbetrieb.

Michele Bellotti, Project Manager bei Swissnuclear, Italien

Michele Bellotti
Quelle: zvg

Ich bin geboren und aufgewachsen in Italien und arbeite jetzt als Projektmanager bei swissnuclear, dem Verband der Schweizer Kernkraftwerksbetreiber. Ich habe meinen Bachelor-Abschluss in Bauingenieurwesen in Italien gemacht und an der ETH/EPFL in der Schweiz einen Master-Abschluss in Nuclear Engineering erworben. Mein anfängliches Interesse galt der Kernfusion, doch bald habe ich ich die unmittelbaren praktischen Vorteile der Kernspaltung erkannt und lenkte meinen Fokus um. Nach dem Studium war ich zweieinhalb Jahre bei der Kernkraftwerk Beznau als Sicherheitsexperte tätig, bevor ich meine jetzige Tätigkeit bei swissnuclear aufnahm.

Kanada hat sich im öffentliche Diskurs über seine Energiepolitik nicht gescheut, Kernenergie als Teil des Energiemix zu diskutieren.

Sie kommen aus Kanada und Italien. Wie ist die der Status der Kernenergie dort, und wie wird sie ihrer Meinung nach in der Öffentlichkeit wahrgenommen?

Carolyn Aubry: «Kanada unternimmt derzeit erhebliche Schritte zur Modernisierung seines Kernenergiesektors. Bestehende Reaktoren werden überholt, und parallel dazu bereitet Kanada den Weg für die Genehmigung kleiner, modularer Reaktoren (SMR).
Insgesamt glaube ich, dass die Kanadier die Kernenergie unterstützen. Kanada kann auf eine lange Geschichte der Energiegewinnung und -produktion zurückblicken – Öl und Gas, Wasserkraft, Windkraft, Solarenergie, Erdwärme und Kernkraft. Vielleicht liegt es daran, dass Kanada in der Lage war, einen offenen öffentlichen Diskurs über seine Energiepolitik zu führen, dass es sich nicht gescheut hat, die Kernenergie als Teil seines Energiemix zu diskutieren.
Auch die Grösse Kanadas könnte eine Rolle bei der öffentlichen Wahrnehmung der Kernenergie spielen, da viele Menschen nie einen Reaktor zu Gesicht bekommen. Dieser physische Puffer kann es der Öffentlichkeit leichter machen, mögliche Risiken zu akzeptieren, da sie selbst vielleicht Tausende von Kilometern entfernt leben.»

Michele Bellotti: «Die Kernenergie hat in Italien mit dem Referendum von 1987 nach dem Tschernobyl-Unfall einen schweren Schlag erlitten, der zur Einstellung der Entwicklung der Kernenergie und zur schrittweisen Stilllegung der bestehenden Anlagen führte. Das Referendum von 2011, das nach dem Reaktorunfall in Fukushima abgehalten wurde, wurde in ähnlicher Weise abgelehnt. Nichtsdestotrotz ist ein Stimmungsumschwung zu beobachten und es wird erneut über das Potenzial der Kernenergie diskutiert. Die öffentliche Meinung war in der Vergangenheit skeptisch, was insbesondere die Sicherheit und die Abfallentsorgung betraf, sie ist aber zunehmend offen für eine Neubewertung der Kernenergie im Hinblick auf einen nachhaltigen Energiemix. Die derzeitige Regierung ist für die Kernenergie und die grossen Elektrizitätsunternehmen erwägen intern eine Renaissance der Kernenergie.»

«Der Diskurs in Italien wird selten frei von Vorurteilen oder Interessen geführt.»

Warum glauben Sie, hat die Kernenergie in Ihrem Heimatland dieses Image? Was tun Industrie, Unternehmen oder Regierung, um über die Kernenergie zu informieren und wie unterscheidet sich dies von der Schweiz?

Carolyn Aubry: «Insbesondere glaube ich, dass es ein Vertrauen in die Aufsichtsbehörden und ein Gefühl des Stolzes auf unser heimisches Know-how, zum Beispiel die CANDU-Reaktoren gibt. Die Kanadier profitieren auch wirtschaftlich von der Bereitstellung von Uran aus einer der grössten Uranminen der Welt in Cigar Lake. Die Zusage der Regierung, SMR-Reaktoren zu erforschen, gibt einer Karriere in der Nuklearindustrie ein Gefühl der Langlebigkeit und bietet sogar eine mögliche Lösung für Öl- und Gasarbeiter, um in einen neuen Sektor zu wechseln.»

Michele Bellotti: «Die Wahrnehmung der Kernenergie in Italien ist durch historische Entscheidungen und Unfallängste geprägt, wobei der Diskurs überwiegend akademisch und selten frei von Vorurteilen oder Interessen geführt wird. Im Gegensatz dazu hat die Schweiz die Transparenz gewahrt und die Öffentlichkeit proaktiv über die Kernenergie aufgeklärt, indem sie die Sicherheit, den technologischen Fortschritt und die strategische Bedeutung für die Energieplanung hervorgehoben hat. Die konsequente Nutzung der Kernenergie in der Schweiz hat auch einen subtilen Einfluss auf die italienischen Debatten: Wenn Kernkraftwerke in der Nähe sind, kann Italien genauso gut seine eigenen bauen.
Bedauerlicherweise überschattet in beiden Ländern die politische Dynamik oft die technischen Diskussionen, das heisst die Diskussion über die Kernenergie ist eher politisch als technisch geworden, was die weitere Entwicklung der Kernenergie behindern könnte.
Ich denke, jetzt ist ein entscheidender Moment für die Kernenergie; wir können uns keine Fehler leisten. Die tadellose Sicherheitsbilanz der Schweizer Kernkraftwerke könnte als überzeugendes Argument für die Wiedereinführung der Kernenergie in anderen Ländern dienen.

Verfasser/in

S.D.

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