Schweizer KMU im Nuklearbereich spürt Folgen des Atomausstiegs

Interview mit John Kickhofel - Gründer und Inhaber des Schweizer Beratungsunternehmens Apollo+

Wir haben uns mit John Kickhofel, dem Gründer und Inhaber von Apollo+, unterhalten. Das in Zürich ansässige Beratungsunternehmens arbeitet international für die Nuklearindustrie. Dabei haben wir erfahren, wie sich sein Unternehmen im aktuellen politischen Umfeld der Schweiz zurechtfindet, und was wir vom Ausland lernen können.

10. Apr. 2024
John Kickhofel im südkoreanischen Gyeongju
John Kickhofel während seines Vortrags am «International Seminar of Nuclear Safety & Decommissioning Industry» im südkoreanischen Gyeongju. Das Seminar fand im Juni 2019 mit Vertretern aus der Schweiz statt.
Quelle: zvg

Können Sie uns kurz beschreiben, welche Dienstleistungen Apollo+ für die Schweizer Nuklearindustrie anbietet?
Wir unterstützen Betreiber, Regulierungsbehörden und Lieferanten strategisch und operativ in der Nuklearindustrie. Unser Fokus liegt auf der Entwicklung von Lösungen und gezielter Unterstützung im Hinblick auf den Langzeitbetrieb von Kernkraftwerken. Dabei geht es um das Alterungsmanagement der Anlagen mit Betrachtungen zur Lebensdauer und Beschaffung von Komponenten, sowie der Planung, Optimierung und Durchführung von Prozessen und Projekten rund um den Langzeitbetrieb. Mit unserer internationalen Expertise erarbeiten wir wirkungsvolle Strategien und bieten das erforderliche Fachwissen sowie das nötige Personal für die Umsetzung.

Ebenfalls sind wir weltweit im Neubausektor tätig, insbesondere beim Einführen von kleinen, modularen Reaktoren (SMRs), deren Technologien, Lieferketten, Lizenzierung und Finanzierung. Auch die generelle Beschaffung und Lieferung von Komponenten für Kernanlagen über Ländergrenzen hinweg zählt zu unseren Stärken. Dabei kümmern wir uns um die Einhaltung regulatorischer Vorschriften und achten auf ein effektives Projektmanagement. Nicht zuletzt sind wir in internationalen Arbeitsgruppen und Industrieorganisationen aktiv, in denen wir neue Entwicklungen oft ehrenamtlich unterstützen. Dazu gehören Arbeitsgruppen und technische Komitees der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und der World Nuclear Association* (WNA).

Sie haben an der ETH Zürich Nuclear Engineering studiert. War das dabei erworbene Wissen hilfreich bei der Gründung Ihrer Firma und für die aktuelle Geschäftstätigkeit?
Ich war im ersten Jahrgang des Nuklear Engineering Masterprogramms der EPF Lausanne und der ETH Zürich dabei und konnte vom hervorragenden Unterricht der Professoren Prasser und Chawla profitieren. Das im Masterprogramm und später in der Promotion an der ETH Zürich erworbene Wissen hat mich inspiriert und gelehrt, Probleme oder Ziele systematisch zu analysieren und zu lösen, egal wie abstrakt oder komplex sie sind. Mit dieser analytischen Fähigkeit und dem Verständnis für die einzigartigen Aspekte der Nuklearindustrie fühlte ich mich gut gerüstet, um mein eigenes Unternehmen in diesem Sektor zu gründen. Dabei haben mir nicht «nur» das an der ETH erworbene technische Wissen geholfen, sondern auch vorgelebte Werte wie der unternehmerische Geist und das ständige Streben, sich weiterzuentwickeln und hinzuzulernen. Aber auch das Networking spielt eine wichtige Rolle: Es gibt viele Mitglieder der Schweizer Forschungsinstitute und Hochschulen, die ich nicht nur als Kollegen, sondern auch als Freunde zähle.

Vermitteln Hochschulen Wissen im Nuklearbereich, das man in der Praxis anwenden kann?
Für den Bau, Betrieb und Rückbau eines Kernkraftwerks sind verschiedene Berufe, Talente und Bildungshintergründe erforderlich. Ich glaube, dass wir in der Schweiz eine gute Mischung von Bildungsprogrammen haben, um die Industrie mit Nachwuchs zu unterstützen. Die meisten der benötigten Berufe wie z.B. Maschinenbauingenieure, Elektroingenieure, Chemiker, Physiker; IT-, Finanz- und HR-Experten, Mechaniker, Elektriker, werden für einen universellen Einsatz und nicht speziell für den Nuklearbereich ausgebildet. Um einen reibungslosen Einstieg in die Nuklearbranche zu erhalten, benötigen aber auch diese Berufe Einblicke in die Besonderheiten des täglichen Betriebs eines Kerntechnikunternehmens. Das war selbst für mich als Nuklearingenieur eine wertvolle Erfahrung.

Um Neueinsteigerinnen und Neueinsteiger in der Nuklearbranche zu unterstützen, bietet die Schweizerische Gesellschaft der Kernfachleute (SGK) ein sehr nützliches Grundlagenseminar an. Gleichzeitig wäre es jedoch auch gut, an unseren Hochschulen eine Option für «Grundlagen der Nuklearindustrie» einzuführen, das interessierte Studierende wählen könnten.

Wie können Schweizer Hochschulen die Firmengründung unterstützen, z.B. mit Spin-offs, und wird dies im Nuklearbereich gemacht?
Es gibt zahlreiche Innovations- und Unterstützungsprogramme in der Schweiz, bei denen auch die Hochschulen eine Schlüsselrolle spielen. Meiner Erfahrung nach folgen jedoch die meisten dieser Programme eher dem allgemeinen Trend und unterstützen Innovationen und Start-ups im sogenannten «erneuerbaren» Energiesektor. Es wäre an der Zeit, auch die Kernenergie in die Start-up- und Spin-off-Unterstützungsprogramme aufzunehmen! So könnten Hochschulen ein wichtiges Zeichen setzen, dass man die Tatsache anerkennt, dass die Kernenergie eine (wenn nicht sogar DIE) der nachhaltigsten und umweltfreundlichsten Energiequellen ist.

Welche Herausforderungen gibt es in der Schweiz beim Gründen einer eigenen Firma im Nuklearbereich?
Aus meiner Sicht sind die Herausforderungen für die Gründung eines Unternehmens im Nuklearbereich in der Schweiz sehr spezifisch. Einerseits gibt es immer noch eine relativ starke Antiatom-Stimmung in der Öffentlichkeit und Politik. Obwohl es interessanterweise in letzter Zeit eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber der Kernenergie zu geben scheint, insbesondere wenn es um neue Kerntechnologien wie SMRs geht. Andererseits hat die Schweiz eine lange Tradition im Nuklearbereich und viele erfahrene Unternehmen und Fachleute. Es gibt also eine stabile Basis, aber es fehlen möglicherweise die Visionen und der Wille, diese Branche weiterzuentwickeln und auf globaler Ebene wettbewerbsfähig zu bleiben. Mir ist aufgefallen, dass trotz aller Herausforderungen viele junge Menschen interessiert sind und in der Nuklearindustrie arbeiten möchten, was sicherlich ein positives Zeichen für die Zukunft ist. Es braucht also einen Paradigmenwechsel und vielleicht auch die Erkenntnis, dass die Kernenergie ein wesentlicher Bestandteil der Energiewende sein sollte und sie es auch sein kann.

Erschweren das fehlende Rahmenabkommen mit der EU oder das Neubauverbot in der Schweiz Ihre Geschäftstätigkeit?
Natürlich. Das Neubauverbot schadet der schweizerischen Kernindustrie insgesamt schwer, da es Studenten, Fachleute und Personen, die vielleicht in die Kernindustrie wechseln möchten, die Zukunftsperspektive nimmt. Ich glaube, dieses Problem ist universell und nicht nur auf unsere Organisation bezogen, wir haben zumindest das Glück, auch international arbeiten zu können. Ich mache mir mehr Sorgen um unsere Anlagen, die sich der Herausforderung des «Generationenwechsels» stellen müssen und die Schwierigkeiten haben, neue Lieferanten zu gewinnen und junge Fachleute zu rekrutieren. Für diejenigen, die an einer Arbeit in der Nuklearindustrie interessiert sind, ist es klar attraktiver, in einem Land zu arbeiten, das sich dafür einsetzt und aktiv daran arbeitet, ihren Nuklearsektor zu erhalten und sogar auszubauen. Gleiches gilt für die Lieferanten, die auch immer mehr unter dem Mangel an Ressourcen leiden und die noch verfügbaren Ressourcen jenen Projekten zuweisen werden, die ihr zukünftiges Geschäft über Jahrzehnte sichern.

Kann Apollo+ von der Schweizer Forschung im Kerntechnikbereich profitieren?
Apollo+ profitiert vom starken Ruf und den zahlreichen Errungenschaften und Kompetenzen der Schweizer Forschung. Wir sind stolz darauf, Dienstleistungen für das PSI erbracht zu haben, und sind kontinuierlich dran, die ETH Zürich, EPF Lausanne und das PSI mit internationalen Projekten und Partnern zu verbinden. Für uns sind dies wertvolle Partner und Inspirationsquellen.

Gibt es eine gegenseitige Zusammenarbeit und einen Wissenstransfer zwischen Apollo+ und den Schweizer Forschungsinstituten und Hochschulen?
Bis jetzt waren unsere Projekte darauf ausgerichtet, das Schweizer Know-how und die Entwicklungen zu exportieren, was auch Arbeiten für das PSI in anderen Ländern beinhaltet hat. Wir wären sehr offen und würden uns freuen, diese Arbeit auszubauen, um das unschätzbare Wissen der Schweizer Forschungsinstitute und Hochschulen zu erhalten und sie bei der Erweiterung der Bildung in Richtung der spezifischen «Alltags»-Kernindustrie als Teil des Bildungsprogramms zu unterstützen. Hier möchte ich das Zitat von Vanessa Wood aufgreifen, die Vizepräsidentin für Wissenstransfer und Unternehmensbeziehungen an der ETH ist: «Wir brauchen eine Zwei-Wege-Kommunikation mit unseren Industriepartnern [...], um die Forschungszusammenarbeit mit der Industrie, Regierungsstellen und gemeinnützigen Organisationen auszubauen». Wir von Apollo+ wären gerne solche Industriepartner und würden die Brücken zu anderen Schlüsselakteuren der Branche bauen, wenn nötig. Ich würde mir eine engere Zusammenarbeit zwischen den Schweizer Forschungsinstituten und der Industrie im Allgemeinen wünschen.

John Kickhofel im finnischen Espoo
Am 3. Oktober 2023 fand im finnischen Espoo der «SMR Business Day 2023» statt. Dort trafen sich künftige Akteure im Bereich der kleinen, modularen Reaktoren (SMRs), wie zum Beispiel Vertreter der SMR-Industrie und an SMRs interessierte Gemeinden. John Kickhofel wirkte beim Podiumsgespräch mit und hielt einen Vortrag zum Einbezug von Interessengruppen bei Kernkraftwerksprojekten und zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Kernkraft.
Quelle: zvg

Wie haben Sie die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in anderen Ländern erlebt?
2023 war ich in Slowenien auf der «Internationalen Konferenz – Kernenergie für das neue Europa» und war beeindruckt von der Mischung der Teilnehmer und ihrer offenen Kommunikation miteinander. Es war nicht nur eine Plattform für Mitarbeiter von Betreibern und Anlagen, um sich mit allen grossen Anbietern und wichtigen Industrielieferanten sowie Regierungs- und Regulierungsvertretern zu treffen, sondern auch für Masterstudenten und Doktoranden, die sich auf die Nuklearindustrie fokussiert haben oder daran interessiert wären. All dies fand in einem Land statt, das einen Kernreaktor betreibt. Ich wünschte, eine solche Kommunikationsplattform würde auch in der Schweiz existieren, um die Zusammenarbeit zu fördern, Talente anzuziehen und das Engagement und die Transparenz für die Branche zu demonstrieren.

In welchen Bereichen könnte Apollo+ allenfalls von Unterstützung profitieren?
Auch hier würden wir, wie der Rest der Branche, von einem klaren Bekenntnis unserer Regierung profitieren, die Kernenergie auch zukünftig als Teil des Energiemix zu sehen. Zusätzlich sind wir immer dankbar für jegliche Unterstützung beim Sammeln, Mitbringen und Kommunizieren der gewonnenen Erkenntnisse, Best Practices, neuen Entwicklungen und Innovationen von der ganzen Welt zurück in unsere Heimat – die Schweiz.

*Die WNA ist die internationale Organisation, die sich für die Förderung der Kernenergie einsetzt und die Unternehmen unterstützt, die die weltweite Nuklearindustrie repräsentieren.

Genügend Mittel für Schweizer Kernforschung fehlen

Seit Fukushima hat das Bundesamt für Energie kein einziges nukleares Förderprogramm mehr initiiert. Im Zuge der Abstimmung zum Atomausstieg der Schweiz haben die Bundesbehörden betont, dass die Nuklearforschung weiterhin unterstützt werde und es kein Technologieverbot gebe. Die Internationale Energieagentur (IEA) zeigt in ihrem Bericht «Switzerland 2023 – Energy Policy Review» auf, dass die Mittel für den Nuklearforschungsbereich in der Schweiz stagnieren: «Im Jahr 2020 entfielen etwa 10% der öffentlichen Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsausgaben auf die Kernforschung. Die absoluten Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Innovation im Nuklearbereich sind seit einem Jahrzehnt stabil, aber gegenüber dem vorangegangenen Jahrzehnt rückläufig.» Infolge des geplanten Atomausstieg flossen mehr Gelder in Erforschung anderer Technologien zur Reduzierung der Netto-Null-Emissionen. Die Mittel für Nuklearforschung am Paul Scherrer Institut (PSI) sind ebenfalls sehr stark gesunken. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) wurde im Bericht der IEA aufgefordert, Massnahmen zum Erhalt nuklearer Kompetenzen zu treffen. Dies ist aus Sicht der Nuklearbranche wichtig, damit die Schweizer Kernkraftwerke weiterhin im Langzeitbetrieb mit kostengünstigem Strom ihren Beitrag zur Versorgungssicherheit der Schweiz leisten können. Gehen der Kernforschung zunehmend die finanziellen Mittel aus, droht die Schweiz den internationalen Anschluss zu verlieren und büsst dadurch auch Handlungsspielraum für die Zukunft bei neuen Entwicklungen in der Kernenergie ein.

John Kickhofel

John Kickhofel ist Gründer und Inhaber des Schweizer Beratungsunternehmens Apollo+. Er ist ebenso Berater der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) in Bereichen wie Harmonisierung von Richtlinien, Vorschriften und Standards für das Lieferkettenmanagement in Kernkraftwerken und kleinen, modularen Reaktoren (SMRs). Als Dr. ETH in Kernenergiesystemen mit einem zusätzlichen Abschluss in International Nuclear Law, ist er ein international anerkannter Experte für die Planung und Abwicklung von grenzübergreifenden Kerntechnikprojekten, angefangen bei einzelnen Komponenten für den Langzeitbetrieb bis hin zu ganzen Kernkraftwerken für jene Länder, die in die Kerntechnik einsteigen oder die bestehenden Kapazitäten ausbauen wollen.

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