Erfolg bei Suche nach Teilchenbeschleunigern im All

Forscher haben mit mehreren astronomischen Observatorien erstmals eine Quelle hochenergetischer kosmischer Neutrinos geortet: eine Galaxie mit einem riesigen Schwarzen Loch im Zentrum. Diese internationale Beobachtungskampagne wurde durch ein einzelnes Neutrino ausgelöst, welches das Neutrinoteleskop IceCube am Südpol am 22. September 2017 aufgezeichnet hatte.

2. Aug. 2018
Künstlerische Darstellung eines aktiven Galaxienkerns, wo ein supermassives Schwarzes Loch einen energiereichen, scharf gebündelten Teilchenstrahl ins All schickt.
Künstlerische Darstellung eines aktiven Galaxienkerns, wo ein supermassives Schwarzes Loch einen energiereichen, scharf gebündelten Teilchenstrahl ins All schickt.
Quelle: Desy, Science Communication Lab

Energiereiche Neutrinos sind nach Erwartung der Wissenschafter unter anderem eine Art Nebenprodukt kosmischer Teilchenbeschleuniger wie etwa dem Materiestrudel gigantischer Schwarzer Löcher oder explodierender Sterne. Anders als die elektrisch geladenen Atomkerne der kosmischen Teilchenstrahlung werden die elektrisch neutralen Neutrinos auf ihrem Weg durchs Weltall nicht von kosmischen Magnetfeldern abgelenkt. Ihre Herkunftsrichtung weist somit direkt zu ihrer Quelle, so das Deutsches Elektronen-Synchrotron Desy in einer Mitteilung.

Der Nachweis von Neutrinos ist allerdings extrem aufwendig, denn die Elementarteilchen durchqueren mühelos selbst die komplette Erde, ohne eine Spur zu hinterlassen. Nur ganz selten reagiert ein Neutrino mit seiner Umgebung. Es sind gewaltige Detektoren nötig, um wenigstens ein paar der seltenen Reaktionen erkennen zu können. Ein Beispiel ist der IceCube-Detektor. Dieser umfasst 5160 Lichtsensoren, die über einen Kubikkilometer verteilt, im Eis installiert sind. Die Sensoren registrieren die winzigen Lichtblitze, die bei den seltenen Neutrino-Reaktionen im durchsichtigen Eis entstehen.

Vor fünf Jahren wies IceCube zum ersten Mal hochenergetische Neutrinos aus den Tiefen des Weltalls nach. Die Ankunftsrichtungen dieser Neutrinos schienen aber zufällig über den Himmel verteilt zu sein. Die Wissenschafter wussten bis heute nicht, woher sie stammen. Mit einem am 22. September 2017 detektierten Neutrino ist es ihnen gelungen, eine erste Quelle zu identifizieren.

Blick in Herkunftsrichtung

Das im Herbst 2017 registrierte Neutrino hatte eine Energie von etwa 300 TeV. Das ist mehr als 40 Mal so viel wie die Protonen im Large Hadron Collider am europäischen Beschleunigerzentrum Cern bei Genf erreichen. Wenige Minuten nachdem das Neutrino aufgezeichnet worden war, schickte der IceCube-Detektor eine automatische Benachrichtigung an zahlreiche andere astronomische Observatorien. Eine grosse Zahl davon untersuchte daraufhin die Herkunftsregion des energiereichen Teilchens, quer durch das elektromagnetische Spektrum: von der energiereichen Gamma- und Röntgenstrahlung über das sichtbare Licht bis hin zu den Radiowellen. Tatsächlich liess sich auf diese Weise erstmals der Herkunftsrichtung eines hochenergetischen kosmischen Neutrinos ein Himmelsobjekt zuordnen: «In unserem Fall haben wir eine aktive Galaxie gesehen, das ist eine grosse Galaxie mit einem riesigen Schwarzen Loch im Zentrum», erklärt Marek Kowalski, Leiter der Neutrino-Astronomie bei Desy, einem Forschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft, und Forscher an der Humboldt-Universität zu Berlin. Bei dieser Galaxie handelt es sich um einen sogenannten Blazar, aus dessen Zentrum gewaltige «Jets» ins All hinausschiessen. Sein Jet zeigt genau Richtung Erde.

Bei diesem Blazar mit der Katalognummer TXS 0506+056 hatte der Gammastrahlensatellit «Fermi» der US-Raumfahrtbehörde Nasa einen drastischen Anstieg der Aktivität um den 22. September herum registriert. Auch ein irdisches Gammastrahlen-Observatorium wurde nun fündig. Gammastrahlen kommen der Neutrino-Energie am nächsten und tragen damit besonders zu der Entschlüsselung der Produktionsmechanismen der Neutrinos bei. Verschiedenen Observatorien auf der ganzen Welt beobachteten die aktive Galaxie. Es entstand ein umfassendes Bild der Strahlung dieses Blazars, von der Radiostrahlung bis zu hunderte Milliarden Mal energiereicherer Gammastrahlung.

Archivsuche enthüllt weitere Neutrinos

Um zu untersuchen, ob das Zusammentreffen des Neutrinos mit den Gamma-Beobachtungen nur ein Zufall gewesen sein könnte, arbeitete ein weltweites Team von Wissenschaftern unter Hochdruck an einer komplizierten statistischen Analyse. «Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich lediglich um eine zufällige Koinzidenz handelt, haben wir auf ungefähr 1 zu 1000 bestimmt», erklärt die Leiterin der statistischen Analyse der unterschiedlichen Datensätze, Anna Franckowiak von Desy. Das klingt wenig, ist aber noch nicht wenig genug, um der berufsmässigen Skepsis von Physikern zu begegnen.

Das änderte eine zweite Analyse: Die IceCube-Forscher durchsuchten ihre Daten der vergangenen Jahre auf mögliche frühere Messungen von Neutrinos aus der Richtung des jetzt identifizierten Blazars. Tatsächlich fanden sie zwischen September 2014 und März 2015 einen merklichen zeitweiligen Neutrino-Überschuss von mehr als einem Dutzend dieser Teilchen aus der Richtung von TXS 0506+056. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Überschuss lediglich ein statistischer Ausreisser ist, wird auf nur 1 zu 5 000 geschätzt. Die Daten erlauben den Wissenschaftern zudem eine erste Abschätzung des Neutrino-Flusses von dieser Quelle zu machen. Zusammen mit dem Einzelereignis vom September 2017 liefern die IceCube-Daten nun den bislang besten experimentellen Beleg dafür, dass aktive Galaxien Quellen energiereicher kosmischer Neutrinos sind.

Quelle

M.B. nach Desy, Mitteilung, 12. Juli 2018

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