Kernkraftwerksbau in Europa – eine Kostenanalyse

Wie viel kostet der Bau eines neuen Kernkraftwerks in Europa? Wie verteilen sich die Aufwendungen für den Bau, den Betrieb und die Stilllegung? Diesen Fragen ist eine im Auftrag der Europäischen Kommission erstellte Studie der Universität von Leuven (Louvain/Löwen) in Belgien nachgegangen, die Ende September 2013 erschienen ist.

28. Mai 2014
Die zwei in Bau stehenden AP1000-Einheiten Vogtle-3 und -4 im amerikanischen Bundesstaat Georgia profitieren von den bereits weiter fortgeschrittenen baugleichen Einheiten Sanmen-1 und -2 in China (im Bild die Baustelle von Vogtle-4).
Die zwei in Bau stehenden AP1000-Einheiten Vogtle-3 und -4 im amerikanischen Bundesstaat Georgia profitieren von den bereits weiter fortgeschrittenen baugleichen Einheiten Sanmen-1 und -2 in China (im Bild die Baustelle von Vogtle-4).
Quelle: Georgia Power

Der Bau einer neuen Kernkraftwerkseinheit erfordert hohe Investitionen. Diese Phase innerhalb des Lebenszyklus eines Kernkraftwerks von der Planung bis zur Erstinbetriebnahme macht denn auch mit 60–85% den grössten Teil der Gesamtkosten aus. Zu diesem Schluss kommt Prof. William D. D’haeseleer in seinem Schlussbericht «Synthesis on the Economics of Nuclear Energy», in dem er 137 Kostenschätzungen aus 28 unterschiedlichen, öffentlich zugänglichen Quellen zusammengetragen und analysiert hat. Demnach nehmen Betrieb und Unterhalt zusammen 10–25% im gesamten Kostenprofil ein. Der Anteil der Brennstoffkosten liegt zwischen 7 und 15%, so die Studie. Darin inbegriffen sind die Aufwendungen für das Abfallmanagement und die Endlagerung. Die Kosten für den Rückbau bis zur grünen Wiese sind vernachlässigbar und liegen im Bereich von 1%. Der Autor weist in seinem Bericht darauf hin, dass verschiedene Variablen die Studienresultate beeinflussen. Die Zahlen im Bericht stellen daher Grössenordnungen dar, in denen sich die Aufwendungen der verschiedenen Kernkraftwerksphasen bewegen.

D’haeseleer führte seine Untersuchungen mit Blick auf Europa durch und berücksichtigte deshalb nur Kernkraftwerkstypen, die den Anforderungen der Stromversorger Europas entsprechen. Zu diesen zählen unter anderen der EPR, der AP1000, der ABWR und der WWER – alles Leichtwasserreaktoren. In den Studienresultaten wird nicht explizit zwischen Druckwasser- und Siedewasserreaktoren unterschieden. Aus den Analysen ausgeschlossen wurden Reaktortypen wie der kanadische Candu-Reaktor, die südkoreanischen OPR- und APR-Reaktoren sowie mit Gas oder Flüssigmetall gekühlte Reaktoren.

Einflüsse auf die Kapitalkosten

Ein wichtiges Element bei der Betrachtung der Gesamtkosten eines neuen Kernkraftwerks sind die Kapitalkosten – die Aufwendungen also, die aufgebracht werden müssen, wenn Kapital für ein Projekt eingesetzt wird. Je nach Investor fallen diese Kosten unterschiedlich hoch aus. Regierungen oder mehrheitlich in staatlichem Besitz befindliche Institutionen – beispielsweise die französische Electricité de France SA (EDF) und die schwedische Vattenfall AB – haben über Staatsanleihen grundsätzlich günstigeren Zugriff auf Kapital, als dies bei privaten Investoren der Fall ist. Private Investoren bringen ihre Mittel über einen Mix aus Fremd- und Eigenkapital auf. Sind private Unternehmen in einem regulierten Umfeld tätig, wie dies noch in rund der Hälfte der amerikanischen Bundesstaaten der Fall ist, so werden die Investitionsrisiken als gering eingeschätzt, was zu moderateren Zinssätzen führt. Investoren in einem liberalisierten Markt wie in der EU stehen grösseren Unsicherheiten gegenüber, was zu höheren Zinsen führt, hält D’haeseleer fest.

Kostenschub beim Bau

Wie bereits erläutert, schlagen sich die Einrichtungskosten einer neuen Anlage am deutlichsten zu Buche. Diese setzen sich aus zwei Komponenten zusammen: den eigentlichen Baukosten und den Kapitalkosten bestehend aus Zinsen und Renditezahlungen. Erstere entsprechen den Kosten die aufgewendet werden müssten, wenn ein Kraftwerk quasi über Nacht gebaut würde (overnight construction costs). Gemäss Studie liegen die Baukosten referenziert auf das Jahr 2012 zwischen EUR 1300 und 7000 je kW installierte Leistung.

Die Baukosten einer Doppelblockanlage in einem europäischen Land, das zum ersten Mal einen bestimmten Anlagetyp baut, der im Ausland bereits in Betrieb steht, belaufen sind auf rund EUR 4000 je kW, mit einer Fehlertoleranz von -20% und +30%. Der Bau von zwei Reaktorblöcken mit einer elektrischen Leistung von je 1000 MW würde folglich rund EUR 8 Mrd. kosten. Würde nur ein Block mit 1000 MW gebaut, lägen die Baukosten mit EUR 4300 je kW bei rund EUR 4,3 Mrd. Wenig überraschend, wirkt sich der sogenannte Flotteneffekt preissenkend auf die Baukosten aus: Würde eine Doppelblockanlage in einem Land gebaut, das schon fünf oder mehr Anlagen desselben Typs betreibt, bewegen sich die Baukosten bei EUR 3400 je kW, also EUR 6,8 Mrd. für beide Blöcke. Beim Ausbau des beschriebenen Kraftwerkparks mit nur einer Einheit lägen die spezifischen Baukosten bei EUR 3600 je kW, oder gesamthaft bei EUR 3,6 Mrd.

Kosten-Beispiele

Der EPR von Flamanville-3 ist der erste Reaktor seiner Art in Frankreich, aber nicht der erste weltweit, denn weitere Bauprojekte laufen in Finnland und in China. Der EPR in Flamanville hat eine elektrische Leistung von 1650 MW und wird neben zwei bestehenden Reaktorblöcken gebaut. Mit der zuvor genannten Zahl von EUR 4300 je kW belaufen sich die Baukosten in diesem Fall gemäss Studie auf EUR 7 Mrd. Die französische Electricité de France (EDF) teilte im Dezember 2012 mit, dass die Baukosten für die erste EPR-Einheit Frankreichs bei EUR 8,5 Mrd. liegen.

Als weiteres Beispiel kann das laufende Bauprojekt der beiden Einheiten Mochovce-3 und -4 in der Slowakei herangezogen werden. Die elektrische Leistung dieser Reaktoren russischer Bauart beträgt je 440 MW. Mit EUR 3400 je kW belaufen sich die theoretischen Baukosten auf rund EUR 3 Mrd. mit einer Fehlertoleranz von -10% und +15%. Die slowakische Regierung bewilligten im August 2013 eine Budgeterhöhung für die beiden Kernkraftwerkseinheiten Mochovce-3 und -4. Die Baukosten werden demnach auf EUR 3,25 Mrd. geschätzt. Das Bauprojekt wird von der Slovenské Elektrárne a.s. finanziert, die zu 66% in privatem und zu 34% in staatlichem Besitz ist.

Betriebs- und Unterhaltskosten

Grundsätzlich wird bei den Betriebs- und Unterhaltskosten zwischen fixen und variablen Kosten unterschieden. Die fixen Kosten werden in USD oder EUR pro kW und Jahr angegeben, die variablen in USD oder EUR pro MWh erzeugter elektrischer Energie. Die Zuordnung und Berechnung der Betriebs- und Unterhaltskosten wird von Land zu Land unterschiedlich gehandhabt. D’haeseleer weist deshalb darauf hin, dass die berechneten Kosten von EUR 10 (Referenzjahr 2012) je MWh als Grössenordnung betrachtet werden sollen und nicht den genauen Betrag darstellen. Von den Betriebs- und Unterhaltskosten ausgeschossen sind die Brennstoffkosten, die getrennt zu betrachten sind.

Brennstoffkosten

Bei den Brennstoffkosten unterscheidet D’haeseleer zwischen Front-End und Back-End. Das Front-End umfasst die Prozesse von der Urangewinnung bis zur Brennstoffbeladung des Reaktors. Dem Back-End zugewiesen werden die Zwischenlagerung der ausgedienten Brennelemente sowie Transport-, Konditionierungs- und Endlagerkosten. Die Brennstoffkosten machen zwischen 7% und 15% der Stromgestehungskosten aus, so die Studie. Drei Viertel werden dem Front-End und ein Viertel dem Back-End zugeschrieben. In Zahlen ausgedrückt liegen die Brennstoffkosten im Bereich von EUR 6 je MWh.

Gemittelte Stromgestehungskosten

Gemäss Studie bewegen sich die gemittelten Stromgestehungskosten für eine Doppelblockanlage, die in einem Land an einem bestehenden Standort zwar zum ersten Mal gebaut, dessen Reaktortyp aber woanders bereits in Betrieb ist, im Bereich von rund EUR 85 je MWh. Beim Bau einer einzelnen Einheit müsste mit rund EUR 90 je MWh gerechnet werden. Würde eine Doppelblockanlage eines bereits verbreitet in Betrieb stehenden Reaktortyps gebaut, so lägen die Stromgestehungskosten bei rund EUR 75 je MWh.

Die gemittelten Stromgestehungskosten entsprechen dem Betrag, für den die elektrische Energie verkauft werden muss, um die getätigten Investitionen wieder einnehmen zu können.

Neben den genannten Kosten für Bau, Betrieb und Unterhalt sowie Brennstoff, verweist der Autor zudem auf den Kosteneinfluss der Verfügbarkeit einer Anlage, der Bauzeit sowie des Abzinsungssatzes.

Die Verfügbarkeit – eine der wichtigsten Grössen – vergleicht die über ein Jahr von einer Einheit produzierte elektrische Energie mit der theoretisch maximal produzierbaren Energie, wenn die Anlage ein Jahr lang ununterbrochen bei 100%iger Anlagenleistung Strom produzieren würde. In der Studie wird die typische Verfügbarkeit mit 85% angegeben.

Die Bauzeit ist auch von Bedeutung. Je länger sie dauert, desto länger muss ein Investor Zinsen zahlen und auf Einnahmen warten. D’haeseleer geht von einer typischen Bauzeit von fünf Jahren für eine Einheit und sechs Jahren für eine Doppelblockanlage aus.

Der Abzinsungssatz entspricht den Opportunitätskosten für die Kapitalbeschaffung – also den entgangenen Erlösen, die dadurch entstehen, dass vorhandene Möglichkeiten zur Nutzung von Ressourcen nicht wahrgenommen werden. Anders ausgedrückt ist es die erwartete Rendite, die ein Investor auf den Finanzmärkten erzielen könnte. Dies schliesst den Wert mit ein, den das Kapital zu einem Zeitpunkt in der Zukunft haben könnte, wenn es Zins abwerfen würde und berücksichtigt auch die Inflation. Mit der Festlegung des Abzinsungssatzes begründet der Investor seinen Kapiteleinsatz, da er damit den Kapitalwert nach Projektabschluss ermitteln kann. Für Kernkraftwerksprojekte beträgt er laut Autor typischerweise 10%.

Fazit

Der Bau ist die kostenintensivste Phase im Lebenszyklus eines Kernkraftwerks. Man darf davon ausgehen, dass die Kapitalkosten künftiger Neubauprojekte in der EU tiefer ausfallen werden: Der Flotteneffekt, standardisierte Abläufe sowie Lehren aus früheren Bauprojekten tragen dazu bei. Geldmittel können mit Anlagen, die über einen langen Zeitraum sicher und zuverlässig Strom produzieren, effizient eingesetzt werden. Die Brennstoffkosten schlagen im Vergleich zu den Gesamtkosten bescheiden zu Buche. D’haeseleer hat in seinem Bericht zudem auch die externen Kosten einschliesslich Unfälle und die Kosten für die Einbindung einer Stromproduktionsanlage in ein bestehendes Stromnetz unter die Lupe genommen. Er kommt zum Schluss, dass die Kernenergie hier deutlich günstigere Voraussetzungen bieten, als das bei fossilen Kraftwerken oder bei den nicht planbaren erneuerbaren Energien der Fall ist.

Quelle

M.B. nach William D. D’haeseleer,«Synthesis on the Economics of Nuclear Energy», 27. November 2013

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