nuclea: Aufbruchstimmung in der Schweizer Nuklearbranche

Die Stromlücke ist eine Realität. Die Fakten sind unterdessen bekannt, aber deswegen nicht weniger eindrücklich und besorgniserregend.

24. Okt. 2006
Einigkeit an der nuclea 2006: Die Kernenergie bleibt für unsere Stromversorgung unverzichtbar.Breites Interesse: 170 Teilnehmende nutzten an der erstmals durchgeführten nuclea die Gelegenheit zu persönlichen Kontakten.
Einigkeit an der nuclea 2006: Die Kernenergie bleibt für unsere Stromversorgung unverzichtbar.Breites Interesse: 170 Teilnehmende nutzten an der erstmals durchgeführten nuclea die Gelegenheit zu persönlichen Kontakten.
Quelle: Daniel Schläfli

«Wenn wir nur das Winterhalbjahr betrachten, beginnt die Lücke bereits ab 2012», erklärte Heinz Karrer, CEO der Axpo Holding AG, am 24. Oktober 2006 anlässlich der nuclea, der Industrietagung des Nuklearforums Schweiz. Der Chef des grössten Stromversorgers der Schweiz mahnte, dass nun dringender Handlungsbedarf bestehe, um stabile gesetzliche Grundlagen für Erweiterungen der Erzeugungskapazitäten zu schaffen. Zur langfristigen Sicherung der Stromversorgung setze die Axpo auf einen breiten Strommix. Dabei spreche mittelfristig eindeutig mehr für die Kernenergie als für andere Optionen. Kurzfristig vermöge sie aber wohl nicht mehr in die sich abzeichnende Lücke zu springen, führte Karrer vor den 170 Tagungsteilnehmern aus, die sich im eigens für die nuclea errichteten Zelt beim Kernkraftwerk Leibstadt trafen.

Versorgungslücke mit verheerenden Folgen

Die Erfahrungen der letzten drei Jahrzehnte bestätigen die enge Beziehung zwischen Bruttoinlandprodukt und Stromverbrauch: Die Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Strombedarf ist ein Wunschgedanke geblieben. Angesichts des erfreulichen Wirtschaftswachstums forderte Urs Näf, zuständig für die Energie- und Umweltpolitik beim Wirtschaftsdachverband economiesuisse, zügige politische Entscheide für den Ausbau der Elektrizitätsversorgung, denn «eine Stromversorgungslücke wäre für die Schweizer Wirtschaft verheerend». Auf der Basis der Gesamtjahresbilanzen entstehe der falsche Eindruck, wir hätten noch bis ins Jahr 2025 genügend Strom. Bei der Kernenergie seien Auslandsabhängigkeit und Preisschwankungen kein Thema, so Näf. Beim Ersatz und Ausbau der bestehenden Erzeugungskapazitäten sprächen die hohen Anforderungen bezüglich Klimaschutz und Versorgungssicherheit für die Kernenergie.
Einigkeit herrschte an der nuclea darüber, dass die Kernenergie für unsere Stromversorgung unerlässlich bleibt. Für Nationalrat Pierre Triponez, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes, steht die Versorgungssicherheit im Zentrum: «Die wichtigste Aufgabe der Energiepolitik ist das Sicherstellen einer ausreichenden Energieversorgung durch ein möglichst breit gefächertes Angebot - nicht nur für den heutigen, sondern auch für den künftigen Bedarf», erklärte er. Zu diesem Angebot gehöre auch die Kernenergie: «Der Gewerbeverband bekennt sich klar zur Nukleartechnologie. Wir sind überzeugt, dass die Sicherheit unserer Kernkraftwerke gewährleistet und diese Technologie für unsere Stromversorgung unerlässlich ist.»

Urs Näf, Issue Manager Energie- und Umweltpolitik der economiesuisse: «Eine Stromversorgungslücke wäre für die Schweizer Wirtschaft verheerend.»
Urs Näf, Issue Manager Energie- und Umweltpolitik der economiesuisse: «Eine Stromversorgungslücke wäre für die Schweizer Wirtschaft verheerend.»
Quelle: Daniel Schläfli

Intakte Perspektiven für Schweizer Zulieferer

Manfred Thumann, Leiter der Division NOK Kernenergie und Konzernleitungsmitglied der Axpo Holding AG, erörterte zu Beginn seiner Ausführungen zahlreiche den Strompreis treibende Faktoren, wie beispielsweise die bereits erwähnten Produktionsengpässe, die Förderung der erneuerbaren Energien oder die Kompensationskosten für den CO2-Ausstoss. Die Renaissance der Kernenergie kommt somit gerade zur rechten Zeit, denn die Stromproduktionskosten der Kernkraftwerke sind gemäss Thumann tief und werden auch langfristig konkurrenzfähig bleiben. Die Gründe dafür liegen unter anderem in der anhaltend hohen Arbeitsverfügbarkeit der Kernkraftwerke, im geringen Einfluss des Uranpreises auf die Stromgestehungskosten und in der langfristigen Verfügbarkeit des Brennstoffs. «Neue Kernkraftwerke sind von Betriebsbeginn an wirtschaftlich», so Thumann. Es sei deshalb nicht überraschend, dass der Bau des finnischen Reaktors Olkiluoto-3 innert kürzester Zeit privat finanziert werden konnte.
Der Unterhalt der bestehenden Kernanlagen stellt einen wichtigen Teil des schweizerischen Kernenergie-Marktes dar. Walter Nef, Leiter des Kernkraftwerks Beznau, zeigte auf, wie mit laufenden Anpassungen an den Stand der Technik, umfangreichen Nachrüstungen, regelmässigen Investitionen in Erneuerungen sowie umsichtiger Instandhaltung die heutigen hohen internationalen Standards für Kernkraftwerke erfüllt werden. So wurden seit Betriebsbeginn in den Jahren 1969 und 1971 rund CHF 1,6 Milliarden in die Werke Beznau-1 und -2 investiert - mehr als doppelt so viel wie der Bau der beiden Blöcke ursprünglich gekostet hatte. Nef ging zudem auf die gesetzlichen Grundlagen des Beschaffungswesens ein, das zu Beginn dieses Jahres massgebliche Änderungen erfahren hat

Quelle: Victoria Reisle, Burson-Marsteller

Ingenieurunternehmen sind bereit für den Wettbewerb

Hans-Jürgen Kirchhof, Senior Project Manager im Bereich Nukleartechnik bei der Colenco Power Engineering AG, gab einen Überblick über das Leistungsspektrum der Schweizer Ingenieurunternehmen und analysierte die Marktaussichten für die Zuliefererindustrie. Anhand zahlreicher Referenzbeispiele belegte Kirchhof, dass die Schweizer Ingenieurunternehmen ein interessantes Dienstleistungsspektrum für Betreiber kerntechnischer Anlagen im In- und Ausland anbieten können. Kirchhof erinnerte an der nuclea daran, dass die Ingenieurunternehmen zusammen mit den Betreibern die Verantwortung für den Knowhow-Erhalt beim bevorstehenden Generationenwechsel tragen.

Ein weiteres Beispiel für die interessanten Perspektiven für die Schweizer Industrie ist der bevorstehende Baubeginn des internationalen experimentellen Fusionsreaktors Iter in Südfrankreich. Minh Quang Tran, Professor für Plasmaphysik an der ETH Lausanne und Direktor des Forschungszentrums für Plasmaphysik (CRPP), rief die Unternehmen auf, die Vorbereitungsphase auf die Ausschreibungen jetzt zu nutzen und die Chancen nicht zu verpassen, die sich mit der Beteiligung der Schweiz an Iter eröffnen. Die verschiedenen Beschaffungspakete (sie sind unter www.iter-industry.ch abrufbar) werden im offenen Wettbewerb vergeben. Das CRPP dient in seiner Rolle als nationales Technologietransferzentrum als Bindeglied zwischen Iter und der Industrie. Die Vergangenheit hat laut Tran gezeigt, dass die Schweizer Ingenieurunternehmen einen hervorragenden Leistungsausweis im Bereich der Fusionstechnologie haben. Die Schweiz habe deshalb gute Aussichten, von der Iter-Beteiligung überdurchschnittlich zu profitieren.

Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangte Walter Gränicher, Präsident der Alstom (Schweiz) AG, bei der Beurteilung der Liefermöglichkeiten der Schweizer Industrie für künftige neue Kernkraftwerke. «Wir sind bereit für den Markt und die Schweizer Kunden, sei es für den Unterhalt oder den Neubau eines Kernkraftwerks», bestätigte er an der nuclea. Gränicher ging zudem auf die weltweite Herausforderung bei der Stromproduktion ein, wo neben der Kernenergie auch die Kohle- und Gasverstromung eine grosse Rolle spielen werde. Wichtig sei, so Gränicher, «dass wir die notwendigen Technologien nach wie vor hier in der Schweiz weiterentwickeln können.» So seien die Schweizer Lieferanten in der Lage, einen wesentlichen Wertschöpfungsbeitrag für ein neues KKW zu leisten.

Quelle

R.B.

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