Präsidialansprache von Dr. Bruno Pellaud anlässlich der 1. Generalversammlung des Nuklearforums Schweiz vom 23. September 2005

22. Sep. 2005

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Mitglieder und liebe Gäste

Es ist für mich eine grosse Freude, Sie alle hier anlässlich der Generalversammlung 2005 unseres Forums willkommen zu heissen. Sie erlauben mir, dass ich Sie alle gemeinsam begrüsse - Gäste, Einzel- und Kollektivmitglieder. Sie kommen aus der Wirtschaft, aus der Forschung, aus der Verwaltung, der Politik und von den Medien. Ihre Anwesenheit zeigt das Interesse, das Sie an der Entwicklung der Kernenergie weltweit und in der Schweiz haben. Tatsache ist, dass sich seit unserer letzten Generalversammlung viele Dinge verändert haben oder klarer geworden sind - auf der internationalen Ebene wie in der Schweiz.
Ich möchte schon im Voraus ganz besonders eine Person begrüssen: die Gastreferentin des heutigen Tages, Madame Anne Lauvergeon. Wir sind ihr sehr dankbar dafür, dass sie den Weg in die Schweiz trotz ihrer vollen Agenda mit Terminen von Paris bis Peking und Helsinki gefunden hat. Madame Lauvergeon wird sich im zweiten Teil unserer Veranstaltung an uns wenden, und wir erwarten ihre Ausführungen mit grosser Spannung.
Sie alle, Mitglieder und Freunde unseres Forums, haben während des vergangenen Jahres wieder viel Arbeit geleistet, sei es im Zusammenhang mit dem neuen Kernenergiegesetz, mit den Fortschritten beim Dossier der Lagerung der radioaktiven Abfälle oder bei der Planung der zukünftigen Stromversorgung der Schweiz. Im Namen unserer Vereinigung danke ich Ihnen allen für dieses grosse Engagement. Dieser Dank geht natürlich auch an die Mitglieder unseres Vorstandes und der Kommissionen wie auch an die Mitarbeiter der Geschäftsstelle.

Kontinuität mit neuem Auftritt

Sicher erinnern Sie sich daran, dass wir an der letzten Generalversammlung von 2004 entschieden haben, den Namen unserer Vereinigung zu ändern und neue Statuten zu genehmigen. Die Umwandlung der «Schweizerischen Vereinigung für Atomenergie» in das «Nuklearforum Schweiz» hat mit Beginn des laufenden Jahres stattgefunden - und zwar auf effiziente Art und Weise dank des Einsatzes der Geschäftsstelle, der Delegation und des Vorstands. Sie, die Mitglieder und Freunde, haben das im neuen Erscheinungsbild unseres Bulletins und unserer Informationsblätter «Kernpunkte» und «Flash nucléaire» gesehen. Wir hoffen, dass diese Änderungen der Stimme unserer Vereinigung noch mehr Gehör verschaffen werden - dies mit dem Ziel, die wichtige Rolle klarzulegen, die die Nukleartechnik für die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz gespielt hat und auch in Zukunft spielen wird.

Die Rechtsordnung vervollständigen

Auf den 1. Februar 2005 ist das neue Kernenergiegesetz in Kraft getreten. Wie Sie wissen, wurde dieses Gesetz von den Befürwortern der Kernenergie willkommen geheissen, da es einen juristischen Rahmen darstellt, der den sicheren und nachhaltigen Betrieb der Kernkraftwerke gewährleistet. Zudem etabliert es technisch, administrativ und politisch klare Abläufe bei der Behandlung und Entsorgung der radioaktiven Abfälle. In der Folge musste sichergestellt werden, dass die Verordnungen zu diesem Gesetz die Ziele des Gesetzes nicht unterliefen. Anlässlich der letzten Generalversammlung nahm ich deshalb die Gelegenheit wahr, meine Befürchtungen am Beispiel des Verordnungsentwurfs auszusprechen, der damals gerade vom Bundesrat vorgestellt worden war. Dank der vereinten Anstrengungen verschiedener Personen, die hier im Saal anwesend sind, konnten die Weichen noch umgestellt werden. Die von unserer Seite geäusserten Bedenken wurden schliesslich weitgehend berücksichtigt; dies speziell hinsichtlich der Rolle der Überwachungsbehörden und der rein mathematisch formulierten Abschaltkriterien für die Kernkraftwerke. Kurz zusammengefasst: Wir sind zufrieden. Wir haben nun ein gutes Gesetz und eine gute Verordnung!
Die gesetzgeberische Anpassung der Rahmenbedingungen für die Kernenergie geht nun weiter mit dem Kernenergiehaftpflichtgesetz. Am 29. Juni dieses Jahres hat der Bundesrat die Vernehmlassung zur Totalrevision des Kernenergiehaftpflichtgesetzes eröffnet, die bis zum 31. Oktober läuft. Die Betreiber von Kernanlagen sind, wie Sie wissen, in unbeschränkter Höhe haftbar für Schäden, die durch ihre Anlage verursacht werden, auch wenn keine kausalen Fehler ihrerseits vorliegen, und dies sogar bei Schäden durch kriegerische Handlungen. Trotzdem waren sie bisher verpflichtet, sich zusätzlich privat über einen Betrag von 1,1 Milliarden Schweizerfranken zu versichern. Dieser Betrag liegt deutlich über den Verpflichtungen, die ursprünglich durch die internationalen Abkommen von Paris und Brüssel festgelegt worden waren (300 Millionen Franken), eine Differenz, die mit all ihren Auswirkungen eine Ratifikation dieser Abkommen durch die Schweiz bisher behinderte. Irgendwie machen wir es zu gut, wir Schweizer!
Der neue Bundesbeschluss sieht nun die Ratifikation dieser zwei internationalen, vor kurzem revidierten Abkommen vor. Er verlangt eine Erhöhung der obligatorischen Deckung auf 2,25 Milliarden Franken. Diese Anpassung der Haftung der Betreiber von Kernkraftwerken - die sich, wie wir gesehen haben, im übrigen Europa stärker auswirkt als in der Schweiz - klärt die Situation für die Kernkraftwerke in unserem Land. Unser Forum unterstützt im Grossen und Ganzen den neuen Beschluss, allerdings mit starken Vorbehalten gegenüber dem gegenwärtigen Wortlaut, da er immer noch Bestimmungen enthält, die über die internationalen Vereinbarungen hinausgehen. Es gibt gewisse politische und akademische Kreise, die sich nie zufrieden zeigen und gar eine Erhöhung der versicherten Deckung auf 4 Milliarden fordern - auf dass es die Schweiz wieder einmal besser wisse als alle Anderen!

Ein neues Kernkraftwerk in der Schweiz?

Seit ungefähr einem Jahr nimmt die Zukunft der Kernenergie in der Energiedebatte wieder einen wichtigen Platz ein, sowohl in der Schweiz wie überall auf der Welt. Neue Kernkraftwerke sind unter anderem in Japan, in China, in Indien und auch in Finnland im Bau. Neue Projekte werden in Frankreich, in den USA und in Brasilien diskutiert. Madame Lauvergeon wird uns heute ein Bild dieser Entwicklung zeichnen.
Die Schweizer Elektrizitätsbranche hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die absehbare Stromknappheit nach dem Jahr 2020 gelenkt. Die Axpo beispielsweise hat am 25. Mai einen detaillierten Ausbauplan vorgestellt, der auf einem breiten Energiemix basiert und unter anderem den Bau eines neuen Kernkraftwerks vorsieht. Die darauf einsetzende Diskussion hat gezeigt, wie wichtig die Kernenergie für eine «ausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung» ist, wie es in unserer Bundesverfassung formuliert ist.
In der Kernenergiedebatte hat sich der Ton geändert. Er ist ruhiger geworden. Ich sehe dafür drei Erklärungen.
Erstens, die wissenschaftlichen Erkenntnisse über unsere Umwelt. Die drohenden Klimaveränderungen zwingen zur Überprüfung der Energieversorgung. Ob man die Kernenergie liebt oder nicht: Sie erzeugt kein Kohlendioxid und bietet sich in den Industrieländern je länger je mehr als Teil der Lösung an. Einverstanden: Die Kernenergie alleine kann das Problem nicht lösen, aber Länder wie die Schweiz, Deutschland, Belgien, Schweden oder Finnland können die Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll ohne die Nukleartechnologie, ohne ihre Kernkraftwerke, mit Sicherheit nicht erfüllen. Die andere wissenschaftlich gestützte Realität ist, dass die neuen erneuerbaren Energien für die Stromproduktion der Schweiz nie mehr als eine marginale Rolle spielen werden; in Bundesbern spricht man von höchstens 5 Terawattstunden im Jahr 2030. Auch hier lässt sich eine elementare Rechnung machen: Ob man Windkraftwerke liebt oder nicht - nötig wären mehr als 2000 solche Anlagen auf den Berner Jurahöhen, um das ehrgeizige Ziel für das Jahr 2030 zu erfüllen! Diese entsetzliche Vision wird sich im Lauf der Zeit nach und nach am Horizont abzeichnen -nach der enthusiastischen Einweihung von einigen Dutzend Anlagen.
Zweitens, die wirtschaftlichen Realitäten. Seit vielen Jahren erzeugen die in Betrieb stehenden Kernkraftwerke dank der Abschreibung der ursprünglichen Investitionen sehr günstigen elektrischen Strom. Das ist auch in der Schweiz so. Aber wie sähe das bei einem neuen Kernkraftwerk aus, bei dem unverzüglich mit der Amortisation begonnen werden müsste - vor allem, wenn man weiss, dass die Kernenergie wie die Wasserkraft sehr grosse Investitionen verlangen? Eine erste Antwort auf diese Frage erreicht uns aus Finnland. Das dort in Bau stehende neue Kernkraftwerk wird vollumfänglich durch private Mittel und Anleihen finanziert -ohne jegliche Subventionierung durch den Staat. Die rund 60 industriellen Miteigentümer erwarten durchschnittliche Kapitalkosten von rund 5%, woraus sich künftige Produktionskosten von 3 Eurocents pro Kilowattstunde Strom berechnen lassen. Natürlich sind in Finnland -wie gegenwärtig überall - Obligationsanleihen besonders günstig. Die aktuelle Strompreisentwicklung auf dem europäischen Markt (zurzeit liegt der Preis bei ungefähr 4,5 Eurocents) dürfte jedoch die Kapitalkosten nominal und real kompensieren. Die am Paul Scherrer Institut durchgeführten umfassenden Studien belegen klar die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der Kernenergie - sowohl im Vergleich zu den fossilen, mit einer CO2-Abgabe belegten Energien, wie auch im Vergleich zu den inhärent teuren erneuerbaren Energien.
Drittens, die gesellschaftliche Entwicklung. Die Gesellschaft verändert sich, Generation folgt auf Generation, nichts hat ewig Bestand. Sie erinnern sich an die Resultate der Vox-Ana-lysen zu den Abstimmungen vom 18. Mai 2003. Sie zeigen, dass sich die Generation der 18- bis 31-Jährigen wie auch die älteren Stimmbürgerinnen und Stimmbürger für die Kernenergie ausgesprochen haben. Sogar eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler der grünen Partei lehnte den sofortigen Ausstieg ab. Die Aussagen decken sich: Für die jungen Menschen gibt es andere, wichtigere Themen als die Frage «Kernenergie ja oder nein».
Vergessen wir auch nicht, dass im vergangenen Jahr mehrere bekannte Exponenten der Umweltbewegung des vergangenen Jahrhunderts zur Realität zurückgefunden und die Kernenergie als unentbehrlich für eine nachhaltige Entwicklung bezeichnet haben: so beispielsweise James Lovelock, der Vater der Gaia-Hypothese, wie auch Patrick Moore, Mitbegründer von Greenpeace, und Stewart Brand, der Herausgeber des berühmten «Whole Earth Catalog», der ökologischen Bibel der 1970er-Jahre. Diese drei Umweltschützer von echtem Schrot und Korn zogen die Konsequenzen aus ihrem Engagement. Sie mussten sozusagen die Wahl zwischen drei aus ihrer Sicht eigentlich nicht idealen Energiepfaden treffen. Sie setzten schliesslich auf die Kernenergie, trotz ihren (kontrollierten) Abfällen, und sie verwarfen die fossilen Energien wegen ihrer unkontrollierten Emissionen wie auch die gänzlich auf erneuerbaren Energien basierende Option, da sie die Bedürfnisse grosser urbaner Regionen nicht befriedigen kann.

Fortschritte bei den radioaktiven Abfällen

Mit Befriedigung haben wir zur Kenntnis genommen, dass die Experten des Bundes kürzlich die Resultate der von der Nagra durchgeführten Untersuchungen im Rahmen des Entsorgungsnachweises für die Lagerung hoch radioaktiver Abfälle bestätigt haben. Insbesondere haben die Fachleute des Bundes bestätigt, dass im Zürcher Weinland zwischen Winterthur und Schaffhausen sehr vorteilhafte Bedingungen vorhanden sind. Aber natürlich müssen noch viele technische Aspekte evaluiert und andere Standorte miteinander verglichen werden.
Wir hoffen jetzt, dass die Bundesbehörden die administrativen und politischen Prozesse vorantreiben und die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Kriterien zu Papier bringen, damit der Bundesrat den Standortentscheid im Zeitraum 2007 bis 2009 fällen kann.

Abschliessende Bemerkungen

Meine Damen und Herren Wie Sie sehen, werden im Dossier Kernenergie insgesamt Fortschritte erzielt. Die Kernenergie ist eine Energiequelle, von der bezüglich Versorgungssicherheit und Umweltschutz viel erwartet wird. Mit ihrer positiven Haltung zur Option Kernenergie - die sehr demokratisch abgestützt ist - steht die Schweiz keineswegs im Abseits, sondern befindet sich in guter Gesellschaft anderer kleiner Staaten wie beispielsweise die skandinavischen Länder.
Wenn wir einen Blick in die weitere Zukunft wagen, rückt zweifellos die Notwendigkeit zum Ersatz von einem oder mehreren unserer Kernkraftwerke ins Blickfeld. Diese Frage muss rechtzeitig angegangen werden, damit die Planung sorgfältig erfolgen kann - ob es nun um die Wahl der Technologie geht oder um die öffentliche und politische Bereitschaft zur Umsetzung. Ebenso wichtig ist aber in der Zwischenzeit die laufende Modernisierung der bestehenden Kernkraftwerke, damit ihre Betriebsdauer ohne Einschränkung der Sicherheit von 40 auf 50 oder gar auf 60 Jahre verlängert werden kann.
Mit diesem Ausflug in die Zukunft der Kernenergie in der Schweiz schliesse ich meine einleitenden Bemerkungen. Ich blicke mit Optimismus in diese Zukunft. Es liegt an uns und an unserem Forum, das Nötige zu tun, damit sich die Stromversorgung der Schweiz auch weiterhin auf einen wesentlichen Beitrag der Kernenergiestützen kann.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Quelle

Bruno Pellaud

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