«Wer sich nicht mit der Zukunft beschäftigt, hat keine Zukunft»

Referat von Regierungsrat Peter C. Beyeler, Vorsteher des Baudepartements des Kantons Aargau, gehalten anlässlich der Medienkonferenz «20 Jahre Kernkraftwerk Leibstadt» am 10. Januar 2005 im Informationszentrum des KKL.

9 janv. 2005

«Energie für Mensch und Umwelt» - dieser Slogan wurde vor vielen Jahren von den NOK geprägt. Energie für Mensch und Umwelt steht aber auch heute noch im Zentrum unseres Handelns. Als Vorsteher des Baudepartements und somit auch als Energiedirektor des Kantons, darf ich den KKL-Verantwortlichen herzlich zum 20-jährigen Jubiläum gratulieren und ihnen die Grüsse der Kantonsregierung überbringen. Die Aargauer Regierung steht hinter dem Betrieb der Kernenergieanlagen im Kanton, weil sie von der Qualität der Betriebsorganisation überzeugt ist.

Bedeutung des KKL aus der Sicht des Kantons

Im Lebenszyklus eines Kernkraftwerkes sind 20 Jahre ungefähr ein Drittel seiner Lebenserwartung. Ein Mensch mit 20 ist voll im Saft, hat die Kinderkrankheiten hinter sich, genau so wie die Flegeljahre. Beim KKL ist es ähnlich. Wobei sich ein Kernkraftwerk weder ausgiebige Kinderkrankheiten noch Flegeljahre leisten kann. Die Konsequenzen wären Stillstand, und das wäre schlecht. Aber voll im Saft - sprich wirtschaftlich erfolgreich - ist das KKL in den vergangenen Jahren eindeutig geworden. Dazu möchte ich den Verantwortlichen an dieser Stelle ganz herzlich gratulieren.
Das Kraftwerk hat im Unteren Aaretal denn auch einen entsprechend hohen Stellenwert. Nach Beznau-1und -2, Mühleberg und Gösgen ist Leibstadt das fünfte und grösste Kernkraftwerk der Schweiz und deckt mit seinen jährlich rund 9 Mrd. Kilowattstunden etwa 17% des ständig steigenden schweizerischen Strombedarfs. Das KKL erfüllt aber nicht nur einen wichtigen Versorgungsauftrag gegenüber den Schweizer Stromkonsumenten. Vielmehr ist es für die Region auch ein unverzichtbarer Arbeit- und Auftraggeber. Heute und in Zukunft. Es freut mich daher, dass der Bundesrat auf Antrag des Kantons Aargau vor wenigen Wochen die Konzession für die Nutzung des Aarewassers als Kühlwasser unterzeichnet hat. Notabene eine willkommene Einnahmequelle für den strapazierten Staatshaushalt. Damit ist auch die Frage des Ersatzes des Kühlturms vom Tisch, was die Interessen des KKL unterstützt. Ich freue mich, dass dies gelungen ist.
Das Kraftwerk hat im Unteren Aaretal aber auch einen Stellenwert als interessante Sehenswürdigkeit. So rangiert es auf der Internet-Seite der Gemeinde Leibstadt, unter der Rubrik «Sehenswertes», noch vorder historisch bedeutenden Loretokapelle. Also Kernkraft vor Kultur. Auch auf der Suchmaschine «Google» sind Kultur und Kernkraft nah beieinander. Tippt man den Begriff KKL ein, rangiert das Kraftwerk Leibstadt auf Platz zwei, gleich hinter dem Kultur- und Kongresszentrum Luzern - dem anderen KKL in der Schweiz.
Nun zu behaupten, das Kraftwerk Leibstadt sei ein Stück Aargauer Kultur, wäre wohl etwas weit gegriffen. Die Kern kraft zu unterstützen, hat aber sehr wohl etwas mit Kultur zu tun, auch mit Kulturkrieg. Denn kaum wurde in den letzten Monaten wieder etwas lauter über die Zukunft der Kernenergie nachgedacht, hat man wieder den Lärm der Schaufeln gehört, welche die Schützengräben ausheben.
Tatsache ist aber, dass die Stromproduktion im Kanton Aargau ein bedeutender Wirtschaftsfaktor ist. Mit drei Kernkraftwerken und vielen Wasserkraftwerken sind wir seit Jahren der grösste Stromproduzent unseres Landes. Und es kommt nicht von ungefähr, dass das untere Aaretal als «Energy Valley» der Schweiz bezeichnet wird. Und das soll es auch in Zukunft bleiben.

Energiemarkt/Strommarkt/ Stromversorgung - Situation heute

«Wer sich nicht mit der Zukunft beschäftigt, hat keine Zukunft»: Diese Aussage habe ich im Leitbild der Gemeinde Leibstadt gefunden. Und sie lässt sich wunderbar auf das Thema Energie übertragen.
Sich nicht mit unserer energiepolitischen Zukunft zu beschäftigen, war in der Schweiz während Jahren sozusagen «Courant normal». Die Energiepolitik rangierte lange Zeit am unteren Ende der politischen Agenda. Fast ein wenig nach dem Motto: «Über Energie spricht man nicht, Energie hat man». Das ist fatal. Denn die Stromversorgung ist für unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft von zentralster Bedeutung. Die Konsequenzen eines markanten Stromunterbruchs hat Italien zu spüren bekommen. Wir wollen nicht, dass dies zur Tagesordnung werden könnte.
Dabei gibt es eine Reihe von Tatsachen, denen wir ins Auge blicken müssen und die, wenn wir nicht handeln, unsere Zukunft bzw. die Zukunft der Generationen, die nach uns kommen, tatsächlich ernstlich gefährden können.

  • - Tatsache 1 : Der Energiebedarf der industrialisierten Länder steigt stetig. In der Schweiz liegt der Stromverbrauch heute bei rund 70'000 GWh pro Jahr. Zum Vergleich: Noch in den 70er-Jahren waren es rund 30'000 GWh gewesen. Spektakuläre Blackouts haben unsere Abhängigkeit vom Strom deutlich gemacht.
  • - Tatsache 2: Die fossilen Energieträger wie Erdöl oder Erdgas sind endlich. Experten gehen davon aus, dass unsere Ölreserven in rund 40 Jahren zur Neige gehen werden. Und sie werden teurer, weil sie im politischen Gerangel der Weltmächte stehen.
  • - Tatsache 3: Das Verbrennen fossiler Brennstoffe belastet unsere Umwelt. In erster Linie mit CO2, aber auch mit Schwefeldioxid, mit Stickoxiden, mit Asche oder Quecksilber. Das Kyoto-Protokoll - die Reduktion des CO2-Ausstosses um 10% bis ins Jahr 2010 - wird die Schweiz mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht erfüllen können. Die Bemühungen um die Umsetzung des CO2-Gesetzes - ein wesentlicher Grund der Ablehnung der Energieinitiativen im Jahr 2001 - strapaziert die Politik.
  • - Tatsache 4: Bedingt durch ihre Endlichkeit werden die fossilen Brennstoffe künftig mehr und mehr durch elektrische Energie substituiert - ein uraltes Postulat. Diese gesteigerte Nachfrage wird der Strommarkt irgend einmal nicht mehr abdecken können. Das wird sich massiv auf den Strompreis und somit auf unsere Wirtschaft auswirken.
  • - Tatsache 5: Jede gesparte Kilowattstunde ist eine gute Kilowattstunde. Wenn wir aber offen die Bemühungen in der effizienten Energieanwendung betrachten - gerade im Gebäudebereich -, so stellen wir fest, dass fossile Energieträger durch hochwertigen Strom ersetzt werden. Allerdings werden auch in diesem Bereich neue Entwicklungen stattfinden, die mit weniger Strom mehr Wirkung erbringen können - denken wir nur an die LED-Lichtquellen (light-emitting diodes).
  • - Tatsache 6: Strom ist nicht eine normale Handelsware. Der Strommarkt muss stärker reguliert sein als andere Märkte der Konsumwirtschaft. Liberalisierung ja, aber nicht um jeden Preis. Würde konsequent liberalisiert, müsste sich zwangsweise ein Nachfragemarkt einstellen, da nur so gute Preise gelöst werden können. Eine deutsche Kilowattstunde unterscheidet sich nicht von einer Schweizer Kilowattstunde. Doch ebenso gilt, dass eine Kilowattstunde am Angebotsmarkt nichts wert ist, eine Kilowattstunde am Nachfragemarkt aber sehr viel.

Fazit: Die Energiepolitik muss wieder konsequenter auf die politische Agenda ausgerichtet werden, nicht nur bezogen auf die Wirtschaft. Und zwar weit nach oben. Denn die energiepolitischen Herausforderungen, denen wir heute gegenüberstehen, erlauben keinen Aufschub. Weder auf internationaler noch auf nationaler Ebene. Geschäfte wie die CO2-Abgabe oder das Strommarktgesetz müssen mit hoher Dringlichkeit behandelt werden.

Zukunft der Kernenergie

Zu dieser politischen Diskussion gehört auch diejenige über die Zukunft der Kernenergie in der Schweiz. Heute decken unsere fünf Kernkraftwerke rund 40% des schweizerischen Strombedarfs ab. Ein Ersatz der Kernenergie durch neue Energieträger ist nicht in Sicht. Die Erfahrungen, die in den vergangenen 30 Jahren in den Bereichen Solar- und Windkraft gemacht worden sind, haben deutlich gezeigt, dass weder Sonne noch Wind in der Schweiz in absehbarer Zeit einen gewichtigen Beitrag zur Grundversorgung leisten können. Im Falle der Erdwärme ist hingegen im Gebäudebereich sehr wohl ein grosses Potenzial vorhanden, in Kombination mit strombetriebenen Wärmepumpen. Das Potenzial der Erdwärme im Bereich der Stromproduktion muss aber - realistisch eingeschätzt - als vorderhand noch gering beurteilt werden.
Fazit:

  1. 1. Die Schweiz ist heute und in naher Zukunft auf die Kernenergie angewiesen. Das hat nicht zuletzt auch das Volk erkannt, das sich in der Abstimmung vom 18. Mai 2003 für die Option Kernenergie ausgesprochen hat.
  1. 2. Die heutigen Schweizer Kernkraftwerke sind in 20 bis 40 Jahren zu ersetzen. Die Schweiz muss also heute schon entsprechende Nachfolgelösungen suchen. Die kürzlich angestossene Diskussion über die Zukunft des Kernkraftwerks Mühleberg ist ein Vorgeschmack auf künftig anstehende Entscheide. Und wenn man bedenkt, dass die Planungs- und Bauphase des KKL rund zwanzig Jahre gedauert hat - also genau so lange, wie die bisherige Betriebsphase - so drängt sich eine gewisse Weitsicht geradezu auf. Wiederum nach dem Motto: «Wer sich nicht mit der Zukunft beschäftigt, hat keine Zukunft».
  1. 3. Die Frage, die sich die Politik noch stellen muss und die gerade im Umfeld der Liberalisierung nicht klar beantwortet ist, lautet: Wer ist für die Versorgungssicherheit in der Schweiz verantwortlich, und wie wird diese Verantwortung umgesetzt? Eine ganz wesentliche Frage, denn sie kann nicht wie früher einfach den Stromunternehmen zugeschoben werden, denn sie kostet etwas.
  1. 4. Denken wir aber immer wieder daran: Energie aus Kernkraftwerken ist saubere, CO2-freie Energie. Dies im Gegensatz zu Gas- oder Ölkraftwerken, deren Umweltverträglichkeit weit hinter derjenigen eines Kernkraftwerkes liegt. Wer sich also im Umweltbereich engagiert, darf diesen Umstand nicht ignorieren. Und die unsägliche ewige Diskussion über den Abfall ins Zentrum zu stellen, ist ohnehin falsch, denn der Abfall ist da, den haben wir und der muss entsorgt werden, ob wir weiter Kernkraftwerke betreiben oder nicht.

Endlagerungsproblematik

Auch wenn ich der Meinung bin, dass heute und morgen noch kein Weg an der Kernenergie vorbeiführt, so gibt es in diesem Bereich dennoch eine grosse Hausaufgabe, die nun zügig angegangen werden muss: Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle. Denn gemäss dem Verursacherprinzip dürfen wir die Lösung dieses Problems nicht einfach auf spätere Generationen abschieben. Und obwohl dieser Nachweis Sache des Bundes ist, sind wir Kantone davon ebenso betroffen.
Es ist wichtig, dass der Entsorgungsnachweis für ein Endlager in der Schweiz jetzt mit dem Projekt Benken als erbracht gilt. Es erträgt kein Wenn und Aber mehr. Die Nagra hat aufgrund von umfassenden Untersuchungen beim Bundesrat beantragt, diesen im Zürcher Weinland zu genehmigen.

  • - Der Nachweis hat aber noch nichts zu tun mit dem endgültigen Standortentscheid. Die Aargauer Regierung begrüsst diese Trennung von Entsorgungsnachweis und Standortfrage.
  • - Der definitive Standortentscheid wird mehr Zeit benötigen und kann in jedem Fall nur mit und nicht gegen die Bevölkerung durchgesetzt werden. Eines ist aber ganz klar: Der Standort, der die wichtigen Kriterien am Besten erfüllt, soll ausgewählt werden, und nicht derjenige, der am wenigsten politischen Widerstand leistet. Die Betroffenheit kann nicht - wie das scheinbar bei der Fluglärmproblematik der Fall ist - das einzige Kriterium sein.
  • - Mit Sicherheit lässt sich aber heute schon sagen, dass es einiges an politischem Willen -und die Abkehr von Partikularinteressen -brauchen wird, um in nützlicher Frist den Standort für ein sicheres Endlager für hochradioaktive Abfälle zu sichern.

Energiepolitische Zukunft

Wir können uns nun fragen, wohin «EnergieSchweiz» gehen soll. Ich meine, dass verschiedene Gleise zu fahren sind. Wir werden die Ziele von «EnergieSchweiz» unterstützen. Die Verbesserung der Gesamt-CO2-Bilanz - mit den Hauptemittenten Haushalte/Gewerbe und Verkehr - müssen wir breit unterstützen. Minergie ist ein wesentlicher Teil davon. Effiziente Energieanwendung, die Nutzung aller Ressourcen entsprechend ihrer nachhaltigen Wirkung, das sind die Ziele dieses Programms.
Die Optimierung der Mobilität wird eine zweite Schiene sein, die es in den Griff zu bekommen gilt. Die Wachstumszahlen sind erschreckend, auf der Strasse, auf der Schiene, weniger in der Luft. Wenn wir uns anmassen, dass die freie Mobilität ein Menschenrecht ist, dann werden wir die Umwelt- und die energiepolitischen Ziele nicht in den Griff bekommen. Wir müssen dem Qualitätsbegriff der Mobilität einen hohen Stellenwert geben können. Fragen Sie mich aber bitte noch nicht, wie.
Ein Gleis führt zur regulierten Liberalisierung des Strommarktes. Reguliert daher, weil eine völlige Liberalisierung die Versorgungssicherheit markant gefährden würde. Es braucht politische Vorgaben, um ein Rosinenpicken der Stromunternehmen - auf allen Stufen - zu unterbinden. Das gilt insbesondere auch für alle Netzbetreiber, auch auf der Stufe der Kommunen. Es gibt keinen liberalisierten Strommarkt, in dem alle Gewinner sein können.

Schluss und Dank

«Wer sich nicht mit der Zukunft beschäftigt, hat keine Zukunft». Für die Verantwortlichen des KKL gehört diese Devise - davon bin ich überzeugt - seit Jahren zum täglichen Brot. Denn ohne die damit verbundene Weitsicht gäbe es heute kein Jubiläum zu feiern. Weitsicht wird aber auch in Zukunft gefragt sein. Nur so garantiert, dass für die Ablösung des heutigen Kernkraftwerkes in 30 oder 40 Jahren die richtigen und vor allem nachhaltigen Entscheidungen gefällt werden.

Restez informé-e!

Abonnez-vous à notre newsletter

Vers l’abonnement à la newsletter

Profitez de nombreux avantages

Devenez membre du plus grand réseau nucléaire de Suisse!

Les avantages en tant que membre