«Gewaltige Stromlücke»: Werkstattbericht des BFE zu den Energieperspektiven

An einem «Werkstattgespräch» am 28. März 2006 vor den Medien in Bern hat das Bundesamt für Energie (BFE) über den Stand der Arbeiten an den «Energieperspektiven 2035/2050» orientiert. Die Energieperspektiven sollen laut BFE auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage die möglichen energiepolitischen Optionen der Schweiz aufzeigen.

27 mars 2006
BFE-Direktor W. Steinmann: Langfristig stehen wir vor einer gewaltigen Stromlücke.
BFE-Direktor W. Steinmann: Langfristig stehen wir vor einer gewaltigen Stromlücke.
Source: BFE

«Energie stösst mehr und mehr ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit», begründete BFE-Direktor Walter Steinmann die frühzeitige Information der Öffentlichkeit. «In einer Demokratie kann nur richtig entscheiden, wer umfassend informiert ist.»

Drohende Stromengpässe ab 2010

Die Energieperspektiven umfassen alle Energieträger. Zum Teilbereich Stromerzeugung hielt Steinmann folgendes fest:

  • - Der Stromverbrauch der Schweiz steigt weiter an. In den vergangenen Jahren betrug der Anstieg zwischen 1 und 2% pro Jahr. «Ohne griffige staatliche Energieeffizienz-Massnahmen wird die Schweiz bis 2035 zwei zusätzliche Kernkraftwerke brauchen», sagte Steinmann.
  • - Ohne Kurskorrekturen stehe die Schweiz ab dem Jahr 2020, wenn die Kernkraftwerke Beznau-1, Beznau-2 und Mühleberg von Netz gehen und die Lieferverträge mit Frankreich auslaufen, «vor einer gewaltigen Stromlücke».

Steinmann rechnet damit, dass die Schweiz bereits ab 2010 in einzelnen Wintern mit Versorgungsengpässen konfrontiert werden könnte. Er wies darauf hin, dass solche Engpässe auf fast allen europäischen Strommärkten drohen, «so dass die Hoffnung auf Zusatzimporte zu akzeptablen Preisen klein ist». Bereits im Jahr 2005 - nach dem Produktionsausfall im Kernkraftwerk Leibstadt und der trockenheitsbedingten verminderten hydraulischen Produktion - habe der Landesverbrauch (61,3 Mrd. kWh) die Landesproduktion (59,3 Mrd. kWh) übertroffen.

Weiterhin steigender Stromverbrauch

Am Werkstattgespräch präsentierte das BFE vier Szenarien, denen unterschiedliche politischen Entwicklungen («wenn-dann») zugrunde liegen:

  • - Das Szenario I mit der Politikvariante «weiter wie bisher» basiert auf dem Vollzug der bestehenden Gesetze und den Marktkräften.
  • - Das Szenario II mit der Politikvariante «verstärkte Zusammenarbeit» von Staat und Wirtschaft umfasst u.a. eine CO2-Abgabe von CHF 35 pro t auf Brennstoffen, die Förderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien im Rahmen des Gesetzes über die Stromversorgung (StromVG) im Umfang von CHF 110 Mio. bis CHF 330 Mio. pro Jahr sowie einen Stromrappen zur Förderung von Energieeffizienz von CHF 50 Mio. pro Jahr.
  • - Die Szenarien III und IV sind zielorientiert und untersuchen, ob und mit welchen Instrumenten und Techniken hypothetische Ziele erreicht werden könnten. Im Zentrum stehen die Reduktion des Pro-Kopf-Energieverbrauchs und die massive Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien. Das Szenario IV entspricht etwa der «2000-Watt-Gesellschaft», die der ETH-Bereich zwar ursprünglich formuliert, in der jüngsten ETH-Roadmap zur Energieforschung jedoch als Massstab für Nachhaltigkeit relativiert hat.


Resultate für die verschiedenen Szenarien liegen erst teilweise vor. Am Werkstattgespräch präsentierte Steinmann dennoch erste Zahlen: Demnach wird erwartet, dass der Stromverbrauch bis 2035 im Vergleich zu 2003 beim Szenario I um rund 23% steigt, beim Szenario II um 16% und beim Szenario III immer noch um 1,5 bis 8,5%. Sogar bei der 2000-Watt-Gesellschaft von Szenario IV geht laut BFE der Stromverbrauch gegenüber 2003 nur um bescheidene 7,9% zurück.

Erneuerbare Energien schliessen Lücke nicht

Begleitet werden die Arbeiten des BFE vom «Forum Energieperspektiven» unter dem Vorsitz der sozialdemokratischen Berner alt Regierungsrätin Dori Schaer-Born (Forum Schaer). Dieses Gremium aus Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung sowie Konsumenten- und UmWeltorganisationen diskutiert die Ergebnisse aus politischer und gesellschaftlicher Sicht im Hinblick auf tragfähige Empfehlungen. Am Werkstattgespräch hielt Schaer-Born fest, dass die Positionen, insbesondere zum Neubau von Kernkraftwerken, nach wie vor weit auseinander liegen.
Dennoch sind sich laut Schaer-Born «offensichtlich alle am Forum Beteiligten einig, dass wir in Energie-, nicht nur in Stromlücken hineinlaufen». Einigkeit herrsche auch darüber, dass der Energieeffizienz grosse Bedeutung zukomme. «Ebenso scheint allen klar geworden sein, dass die erneuerbaren Energien zumindest heute noch nicht genügend Ersatz für wegfallende Kern- und fossile Energien bieten.» Geplant sei die Verabschiedung eines Berichts des Forums mit einer Darstellung, wo sich die Teilnehmenden zu Empfehlungen gefunden haben, und wo welche Gruppierungen welche divergierenden Positionen vertreten.

Varianten ohne zügigen Neubau eines Kernkraftwerks

Vor diesem Hintergrund legte das BFE am Werkstattgespräch für das Szenario II drei Varianten eines möglichen Elektrizitätsangebots vor. Variante A schliesst die Stromlücke ab 2020 mit neuen Importen und ab ca. 2030 mit einem neuen Kernkraftwerk. Variante B ergänzt Variante A mit einem Gas-Kombikraftwerk in Chavalon im Unterwallis. Variante C verzichtet auf neue Importe und setzt ab 2020 auf Gas-Kombikraftwerke in grossem Umfang ohne Neubau von Kernkraftwerken.

Für das BFE stehen laut Steinmann derzeit im Hinblick auf die Versorgungssicherheit der Schweiz folgende Strategien im Zentrum:

  • - höchste Priorität für die Energieeffizienz
  • - breiter Zubau bei den marktnächsten neuen erneuerbaren Energien sowie gezielter Ausbau der (Klein-)Wasserkraft
  • - befristete Schliessung der verbleibenden Stromlücke durch fossil-thermische Anlagen mit möglichst weitgehender Abwärmenutzung und weitgehender Kompensation der zusätzlichen CO2-Emissionen im In- und Ausland.

Steinmann räumte ein, dass dies «nicht die optimale, sondern eher die am wenigsten schlechte Lösung» sei, die nur als Übergang zu besseren Lösungen geduldet werden könne. Nicht in Betracht zieht das BFE den Neubau eines Kernkraftwerks bis 2020, da wegen der «langen Bewilligungs- und Bauphasen neue Kernkraftwerke erst gegen 2030/2035 ans Netz gehen könnten». Auf eine Journalistenfrage, ob das BFE den Bewilligungsprozess zur Vermeidung der oben erwähnten unbefriedigenden Zwischenlösung nicht zu beschleunigen gedenke, verwies Steinmann auf das geltende Kernenergiegesetz, aus dem sich die genannten Zeiträume ergäben. Da dieses Gesetz erst seit Februar 2005 in Kraft stehe, sollte es nicht schon wieder geändert werden, meinte Steinmann.

Der weitere Zeitplan

Nach Angaben Steinmanns sollen die Arbeiten an den Energieperspektiven gegen Ende 2006 abgeschlossen und dem Departementsvorsteher Moritz Leuenberger vorgelegt werden. Bis zum Frühjahr 2007 sollen dann noch die Abschlussarbeiten zur «Vision 2050» erfolgen, in der die Umsetzbarkeit der 2000-Watt-Gesellschaft konkretisiert werden soll. Bis Ende 2006 dürften damit folgende Dokumente vorliegen: der Bericht der Arbeitsgruppe Energieperspektiven, die Stellungnahme des Forums Energieperspektiven (Forum Schaer) sowie die Stellungnahme des Jugendforums Energieperspektiven.
Zusätzlich werden derzeit vom BFE Studien über eine Wasserkraft-Förderstrategie und über die Rahmenbedingungen einer fossil-thermischen Stromproduktion erarbeitet. Dazu kommt der Bericht der Arbeitsgruppe «Leitungen und Versorgungssicherheit». Ziel sei, so Steinmann, «im Jahr 2007 im Bundesrat eine energiepolitische Auslegeordnung vorzunehmen und erste Punkte für den künftigen Bezugsrahmen zu fixieren». Daraus werde ein Bericht an das Parlament hervorgehen, der dort «unter dem Titel eines langfristigen Gesamtenergiekonzepts» zu diskutieren sein werde.

Source

M.S. nach BFE, Werkstattgespräch und Mediendokumentation, 28. März 2006

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