Ist die Energiestrategie 2050 ein «wirtschaftspolitischer Jahrhundertfehler»?

Experten des Instituts für Wirtschaftsstudien Basel AG (IWSB) haben in Bern eine Studie vorgestellt, welche die Energiestrategie 2050 kritisch hinterfragt. Sie würde zu Kosten von über CHF 100 Mrd. führen und beruhe auf lückenhaften Entscheidungsgrundlagen. Daher sei sie grundsätzlich zu überarbeiten. Noch bestehe dafür Zeit.

1. Dez. 2014

Eine Gruppe um die bekannten Ökonomen Silvio Borner und Bernd Schips hat in einer IWSB-Studie die technische, ökonomische und institutionelle Machbarkeit der Energiestrategie 2050 analysiert. Im Ergebnis zeigt sie auf, «dass sich die Energiepolitik des Bundesrats nach der Havarie von Fukushima zuerst stark von politischen Opportunitäten gegen die Kernkraft und anschliessend von technischem Zweckoptimismus und Lobbying zu Gunsten der neuen erneuerbaren Energien leiten liess». Die Energiestrategie 2050 basiere auf lückenhaften oder wissenschaftlich nicht fundierten Entscheidungsgrundlagen und «verdient das Etikett ‹Strategie› nicht». Borner sagte im Rahmen der Präsentation der Studie am 27. November 2014 in Bern: «Waren bis Fukushima Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Diversifikation für den Stromsektor die obersten Maximen, wurden diese ohne seriöse Abklärungen der Förderung der Erneuerbaren und dem Stromsparen geopfert.»

Neue Kernkraftwerke drei Mal billiger

Die Studie stellt die volkswirtschaftlichen Kosten eines geplanten Ersatzes der fünf bestehenden Schweizer Kernkraftwerkseinheiten (KKW) durch neue Erneuerbare, Gaskraftwerke und Stromimporte dar. Der Umstieg auf Photovoltaik, Windkraft und Geothermie würde «Investitionen in Anlagen sowie systembedingte Zusatzinvestitionen in Netzausbauten, Netzerweiterungen und Speicher von deutlich über 100 Milliarden Franken erfordern». Es wäre «mit exorbitant steigenden Energiepreisen, Abgaben und Subventionen sowie einer Verschandelung der Landschaft durch eine 600 km lange Kolonne von Windrädern und gegen 20’000 Fussballfelder mit Solarpanels zu rechnen». Im Vergleich dazu würden schon nur die Investitionskosten beim Ersatz der heutigen KKW durch Werke der jüngsten Generation dreimal geringer ausfallen, wie Schips bei der Vorstellung der Studie vorrechnete. Zudem würden in der Energiestrategie 2050 die externen Kosten vernachlässigt, die aufgrund von «Beeinträchtigungen der Allgemeinheit im Bereich des Natur- und Heimatschutzes oder um Lärm- und Schadstoffbelastungen durch Bau, Betrieb, Rückbau und Entsorgung von Anlagen der neuen Erneuerbaren» anfielen.

Marktliberalisierung versus Planwirtschaft

Als «weitere institutionelle Unvereinbarkeiten» nennt die Studie die geplante Liberalisierung des Schweizer Strommarktes und das Stromabkommen mit der EU, die im Widerspruch zum planwirtschaftlichen Ansatz der Energiestrategie stehen würden. In einem freien und international geöffneten Markt könnte die Energiestrategie nur mit massiven Abstrichen umgesetzt werden. Die Autoren fordern, dass die Energiestrategie 2050 «unverzüglich gestoppt und grundsätzlich überarbeitet» wird. Es bestehe keine Dringlichkeit für die vorgeschlagenen Massnahmen. Die negativen Folgen wie stark steigende Energiepreise und externe Kosten, sinkende Stabilität des Stromsystems, zunehmende Auslandabhängigkeit sowie erodierende internationale Wettbewerbsfähigkeit würden sich laut Schips erst später zeigen, «wenn der Systemumbau bereits weit fortgeschritten und nur noch zu horrenden Kosten zu korrigieren ist».

Ideologien, Sonderinteressen und Propaganda

Borner ging bei der Vorstellung der Studie auf die Gründe ein, wieso «dieser Schnellschuss» nicht schon früher gestoppt wurde. Zufall und Opportunismus hätten die Erneuerbarkeit, Effizienz und Suffizienz zu Mythen erhoben und «die Ziele wurden moralisch überhöht und die Instrumente gegenüber rationalen Argumenten immunisiert.» Neben Ideologen seien auch Verfechter von Sonderinteressen wie die Clean-Tech-Industrien und «die grün-rötlichen Umweltorganisationen» aktiv geworden. Das Gewerbe glaube, Vorteile zu sehen, und die Industrie habe ihren Widerstand wegen Ausnahmeregelungen aufgegeben. «Nur an die gewöhnlichen Verbraucher und Steuerzahler dachte vorläufig niemand», so Borner weiter. «Die unmittelbare Überdeckung der Grundsatzfragen durch zahlreiche und komplexe Details der Subventionierung und Regulierung» sei «ein gefundenes ‹Fressen› für Interessenvertreter, Experten und Berater». Borner prangerte ausserdem den «riesigen Propagandaaufwand» an, mit dem die Verwaltung die Energiewende «medial fast unangefochten verbreitet, wobei etablierte Gesetze der Physik oder der Ökonomie ausgeblendet werden».

Neuanfang statt Herumflicken

Der Wissenschaft warf Borner vor, sich «politisch korrekt» den Vorgaben des Bundes anzupassen. Das ginge sogar soweit, dass «die Forschung auch vor staatlich angeordneten Umerziehungen und Verhaltensänderungen von uns freien Bürgerinnen und Bürgern nicht zurück schreckt». Verschiedene Kantone und Gemeinden hätten «vorauseilenden Gehorsam oder ideologischen Übereifer» an den Tag gelegt und «lokal schon viele Fehlinvestitionen vorgenommen oder aufgegleist». Zusammenfassend verlangte Borner einen Stopp auf der ganzen Linie: «Wir verlangen kein Herumflicken an der konkreten Umsetzung, sondern einen totalen Neuanfang!» Es brauche objektive Analysen der ökonomischen Konsequenzen und Optionen und anschliessend eine «offene und ehrliche Volksabstimmung auf Verfassungsstufe». Das Volk müsse darüber befinden, ob ein Technologieverbot für Kernenergie in die Verfassung aufgenommen und ob die Stromversorgung in einer staatlichen Planwirtschaft geregelt werden solle. Man dürfe die Zukunft nicht mit langfristigen strategischen Entscheiden vorwegnehmen, denn «im Jahre 2030 oder 2040 werden unsere Nachkommen mit Sicherheit mehr über Probleme und Chancen der Energieversorgung von 2050 wissen als wir heute».

Quelle

M.Re. nach Institut für Wirtschaftsstudien Basel AG, Medienmitteilung, Kurzfassung und Referate vom 27. November 2014

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