In dieser Frage herrscht gegenwärtig in der Öffentlichkeit eine grosse Verwirrung. Die einen sagen, dazu seien 25 bis 30 Jahre nötig, andere sprechen von neun bis zehn Jahren. Woher kommen diese unterschiedlichen Einschätzungen? Die einfache Erklärung: Der Zeitraum hängt von den Rahmenbedingungen ab, insbesondere von politischen Faktoren. Der neue Lötschbergtunnel wird innerhalb von acht Jahren gebaut, der Gotthardtunnel wird mindestens 16 Jahre in Anspruch nehmen. Hier hängt die Bauzeit hauptsächlich von der Geologie ab. Die Bauzeit eines neuen Kernkraftwerks wird dagegen von den Genehmigungsverfahren und vom politischen Willen bestimmt.

Die ersten Kernkraftwerke der Schweiz - Beznau und Mühleberg - wurden seinerzeit innerhalb von sechs bis sieben Jahren gebaut. Das jüngste, Leibstadt, benötigte das Doppelte, weil während des Baus von den amerikanischen zu den deutschen Sicherheitsnormen gewechselt wurde, was eine weitgehende Umgestaltung der technischen Auslegung notwendig machte und den Baubeginn stark verzögerte.

Heute definiert das 2005 in Kraft getretene Kernenergiegesetz (KEG) alle Schritte des Genehmigungsverfahrens. Statt einer einfachen «Standortgenehmigung» wie früher verlangt das neue Gesetz aufwendige Verfahren zur Erteilung einer Rahmenbewilligung, einer anschliessenden Baubewilligung und einer Betriebsbewilligung. Diese Bewilligungen sind mit zahlreichen politischen und juristischen Hürden versehen, was die Bauzeit massiv verlängert. Das Gesetz legt für einige Schritte des Verfahrens eine maximale Zeitlimite fest. Missbrauch, um das gesamte Verfahren zu verzögern, ist gleichwohl möglich. Mit diesem neuen KEG und dessen Folgen müssen wir jedoch leben.

Die Frage lautet demnach: Wie lange brauchen wir unter den geltenden gesetzlichen Vorgaben, um in der Schweiz ein neues Kernkraftwerk zu bauen? Auf der Basis des KEG und aufgrund der industriellen Erfahrung versuche ich, eine realistische Antwort auf diese Frage zu geben. Dabei gehe ich davon aus, dass der Missbrauch des KEG durch politische Manöver vom Bundesrat verhindert wird.
Als Punkt Null der Zeitskala wähle ich das Einreichen des Gesuchs für eine Rahmenbewilligung bei den Bundesbehörden. Zuvor hat sich eine Bauherrschaft gebildet, die die finanziellen Anteile und die Federführung unter den Trägern aus der industriellen inländischen und möglicherweise auch ausländischen Strombranche festgelegt und ein internes Planungs- und Engineeringteam ins Leben gerufen hat. Die Ortswahl - an einem bestehenden KKW-Standort - ist erfolgt und die erforderlichen Unterlagen für das Gesuch liegen ausgearbeitet vor.

Phase 1: die Rahmenbewilligung

Das Rahmenbewilligungsgesuch deckt alle Aspekte des Projekts ab, die für die politische Entscheidungsfindung durch den Bundesrat, das Parlament und allenfalls das Volk von Bedeutung sind. Wichtig sind hier die Eckdaten des Standorts und des Kraftwerks; die detaillierte Auslegung der Anlage ist für die Rahmenbewilligung noch nicht relevant. Die Rahmenbewilligung legt fest: den Bewilligungsinhaber, den Standort, den Zweck der Anlage sowie die Grundzüge des Projekts, d. h. die ungefähre Grösse und Lage der wichtigsten Bauten, das Reaktorsystem und die Leistungsklasse. Sie stellt zudem - im Bezug auf die angesprochenen Aspekte - die Umweltverträglichkeit fest.

Die nachfolgenden Zeitschätzungen basieren im Wesentlichen auf den Bestimmungen des KEG und auf verschiedenen Annahmen, insbesondere

  • Die für die Sicherheit relevanten Standortinformationen (Geologie, Meteorologie, externe Gefährdungen) sind beim Gesuchsteller und bei den Behörden bereits vorhanden, da es sich um einen bestehenden KKW-Standort handelt.
  • Bei den zuständigen Behörden - der Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) und dem Department für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) - sind genügend Fachkräfte für die Prüfung der technischen Unterlagen vorhanden. Zudem sind die Verwaltungsstellen angewiesen, mit einer straffen Führung die gesetzlichen Termine einzuhalten.


Die Einzelheiten des Rahmenbewilligungsverfahrens sind im Kasten zusammengestellt. Daraus ergibt sich eine Zeitspanne von 36 Monaten bzw. 3 Jahren vom Rahmenbewilligungsgesuch bis zum allfälligen Volksentscheid. Fällt dieser positiv aus, ist die Rahmenbewilligung mit sofortiger Wirkung erteilt.

Phase 2: die Baubewilligung

Nachdem die Rahmenbewilligung unter Dach und Fach gebracht worden ist, kann der Bauherr das Projekt konkretisieren, die wichtigsten Lieferanten auswählen und aufgrund der gewählten Technologie den Bundesbehörden ein Baugesuch mit ausführlichen technischen Unterlagen und einem vorläufigen Sicherheitsbericht zustellen. Zuständig für die Erteilung der Baubewilligung ist allein das Uvek.

Die Baubewilligung legt anhand von technischen Einzelheiten fest: den Standort, die geplante Reaktorleistung, die wesentlichen Elemente der technischen Umsetzung, die Grundzüge des Notfallschutzes sowie jene Bauten und Anlageteile, die erst nach Freigabe durch die Aufsichtsbehörden ausgeführt bzw. eingebaut werden dürfen.

Ich gehe davon aus, dass die Bauherrschaft während der vorausgegangenen Rahmenbewilligungsphase alle erforderlichen zusätzlichen Standortunterlagen zusammengestellt und die technischen Spezifikationen zum Einholen von Offerten für einen standardisierten Reaktortyp erarbeitet hat. Darüber hinaus unterstelle ich, dass Einsprachen oder Beschwerden gegen die vom Uvek erteilte Bau- oder Betriebsbewilligung keine aufschiebende oder sonstige projektverzögernde Wirkung haben.

Die Einzelheiten sind im Kasten erklärt. Daraus ergibt sich eine Spanne von 44 Monaten von der Erteilung der Rahmenbewilligung bis zur Erteilung der Baubewilligung.

Phase 3: Bau, Betriebsbewilligung und Inbetriebnahme

Diese Phase erstreckt sich von der Erteilung der Baubewilligung durch das Uvek bis zum Beginn des kommerziellen Betriebs. Während der Bauphase liefert der Bauherr schrittweise die erforderlichen zusätzlichen Sicherheitsunterlagen wie beispielsweise den abschliessenden Sicherheitsbericht und die erforderlichen Unterlagen für die Erteilung der Betriebsbewilligung. Die Behörde erteilt diese zeitgerecht vor Ende der Bauphase oder sogar bereits zusammen mit der Baubewilligung (gemäss KEG Art. 20 Abs. 2).

Hier gehe ich davon aus, dass der eigentliche Bau 48 Monate erfordert und die Inbetriebnahme 10 Monate, insgesamt also 58 Monate oder knapp fünf Jahre.

Alles in allem …

Vom Rahmenbewilligungsgesuch bis zur Inbetriebnahme des Kernkraftwerks ergibt diese Schätzung total 138 Monate, 11½ Jahre. Dieser Zeitraum ist kein Wunschdenken. Meine Schätzung geht davon aus, dass

  • sich die Bauherrschaft gut organisiert
  • die Genehmigungsbehörden im Rahmen des KEG kompetent und zügig arbeiten
  • die politische Entscheidungsfindung in Bundesrat und Parlament innerhalb normalen Fristen abläuft
  • die Lieferanten die erforderliche Erfahrung mitbringen, um ein solches Projekt zeitgerecht abzuwickeln


Ich erinnere daran: Die grossen Lücken in der Schweizer Stromversorgung drohen bereits ab 2020 - deshalb muss der Weg zum Bau neuer Kernkraftwerke sehr bald unter die Füsse genommen werden! Die Öffentlichkeit und die Politik haben inzwischen wohl verstanden, dass die Zukunft der Stromerzeugung in unserem Land in einem Energiemix liegt, der aus erneuerbaren Energien, einigen Gaskraftwerken als Übergangslösung und mindestens einem neuen Kernkraftwerk besteht. Die Strombranche ist jetzt aufgefordert, die interne Planung eines neuen Kernkraftwerks zu forcieren, damit gegen Ende 2007 das Projekt angekündigt und 2008 das Gesuch für eine Rahmenbewilligung eingereicht werden kann.

Die Bereitschaft und der Wille der Strombranche zum Bau neuer Kraftwerke sind wichtig. Gleichzeitig liegt viel Verantwortung beim Bund. Bundesrat Moritz Leuenberger hat kürzlich erklärt, dass er sich den Bau neuer Kernkraftwerke in der Schweiz vorstellen kann. Ich begrüsse diese Aussage. Sie bedeutet, dass sich der zuständige Bundesrat grundsätzlich gegenüber allen Stromerzeugungsvarianten offen zeigt, einschliesslich der Kernenergie. Um die Option Kernenergie de facto offen zu halten, muss die Landesregierung aber die dazu nötigen Rahmenbedingungen gewährleisten. Die Weichen dazu werden einzig in Bundesbern gestellt - sowohl die politischen wie auch die administrativen. So sind durch Pensionierungen die nuklearen Fachkräfte, allen voran beim Bundesamt für Energie (BFE), fast verschwunden bzw. nicht ersetzt worden, und auch bei der HSK sind sie eher knapp geworden. Diese Tendenz muss korrigiert werden. Die kommende unabhängige Sicherheitsbehörde - das Eidgenössische Nuklear-Sicherheitsinspektorat (Ensi) - benötigt die volle Unterstützung des Uvek, um seine Aufgaben effizient erfüllen zu können. Mehr noch: Im Hinblick auf den voraussichtlichen Bau von einigen Gaskombikraftwerken sollte das BFE eine kleine Sektion «Thermische Kraftwerksanlagen» bilden, um die Planung von Gaskraftwerken, grossen Kombianlagen und Kernkraftwerken begleiten zu können.

Also: Packen wir die Sache an und treten wir an die Öffentlichkeit! Losgehen kann es bereits in diesem Jahr mit der Vorprojektierung eines neuen Kernkraftwerks und mit der Verstärkung der administrativen Infrastruktur beim Bund. 2011 könnte dann das Volk über die Erteilung der Rahmenbewilligung entscheiden. Bisher haben die Stimmberechtigten den weiteren Betrieb der heutigen Kernkraftwerke bei jedem Urnengang gutgeheissen und den heutigen Nuklearanteil von 40% an der inländischen Stromerzeugung gebilligt - im Jahr 2003 sogar mit einer überwältigenden Mehrheit. Bei dieser Ausgangslage und angesichts der drohenden Stromlücke dürfte die Ablösung der drei Anlagen Beznau-1, Beznau-2 und Mühleberg durch ein nächstes grosses Kernkraftwerk bei der Bevölkerung auf ein mehrheitlich positives Echo stossen.

Die Genehmigungsverfahren im Einzelnen

Rahmenbewilligung


Bei der Behörde:

  • formelle Prüfung des Rahmenbewilligungsgesuchs, Auftragserteilung für Stellungnahmen und Gutachten (gemäss KEG 42 und 43.1, ohne vorgeschriebene maximale Zeitdauer): 2 Monate
  • Erstellen von Stellungnahmen und Gutachten (gemäss KEG 43.1, ohne Zeitbegrenzung): 5 Monate
  • Stellungnahmen zu den Stellungnahmen (Zeitlimit gemäss KEG 43.2): 3 Monate.
  • öffentliche Auflage (Zeitlimit gemäss KEG 45.1): 3 Monate
  • Einsprachen und Einwendungen: 1 Monat (min. 0, max. 3 Monate Verlängerung gemäss KEG 46.1)
  • Stellungnahmen zu Einwendungen und Einsprachen (gemäss KEG 47.1, kein Zeitlimit): 3 Monate
  • Prüfung und Entscheid des Departments (gemäss KEG 48, kein Zeitlimit): 3 Monate
  • Beratung des Gesuchs in Bundesrat und Parlament, Entscheid des Parlaments: 6 Monate
  • Referendumsfrist: 6 Monate
  • Referendum eingereicht; bis zum Volksentscheid (Bundesrat setzt Datum auf den nächsten Abstimmungstermin): 4 Monate

Insgesamt: 36 Monate

Baubewilligung

Beim Bauherr: sofortige Offertanfragen an die Lieferanten nach Erteilen der Rahmenbewilligung
Bei den Lieferanten: Vorbereiten und Einreichen der Offerten: 10 Monate
Beim Bauherr: Auswerten der Offerten und Wahl der Lieferanten: 6 Monate
Bei Bauherr und Lieferant: Ausarbeiten des Baugesuchs (inkl. Vorläufiger Sicherheitsbericht und vertiefter Umweltverträglichkeitsbericht): 12 Monate
Bei der Behörde (Sicherheitsbehörde und Uvek sind allein zuständig): Bewertung des Gesuchs (inkl. Auflagen, Einsprachen) und Gesuchserteilung: 16 Monate.

Insgesamt: 44 Monate.

Die Stromlücke bis 2020

Die Eckwerte für 2020 gegenüber heute sind bekannt: zusätzliche Produktion aus erneuerbaren Energien +3 TWh, aus Gaskombikraftwerken +5 TWh, mögliche Stilllegung von Beznau und Mühleberg -8 TWh, möglicher Ausfall der französischen Beteiligungen (eng an die Betriebsdauer der entsprechenden französischen Kernkraftwerke gebunden) -17 TWh. Gleichzeitig steigt der Stromverbrauch um 15 TWh.
Unter dem Strich resultiert ein riesiges Manko von 32 TWh. So weit kommt es zwar bis 2020 nicht, wenn der Wegfall der 25 TWh aus den älteren schweizerischen und französischen Kernkraftwerken durch Laufzeitverlängerungen verzögert werden kann. Mit einem Manko von etwa 12 TWh müssen wir auf jeden Fall rechnen. Das entspricht der Jahresproduktion eines Kernkraftwerks mit einer elektrischen Leistung von 1500 MW.

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