Atomkraft? Reflex statt Reflexion
Kaum fällt in der Schweizer Energiepolitik das Wort «Atomkraft», läuft bei manchen das altbekannte Programm ab. Der Knopfdruck-Reflex greift: Empörung, Warnungen, Weltuntergangsszenarien. Dabei zeigt sich immer deutlicher – es geht längst nicht mehr um Klimaschutz oder Energiewende, sondern darum, die eigenen Technologien frei von Konkurrenz zu halten. Erneuerbare Energien drohen so zum Selbstzweck zu werden, statt Mittel für eine saubere, sichere Energiezukunft zu sein.

Der Bundesrat hat vorgeschlagen, das Neubauverbot für Kernkraftwerke aufzuheben. Nicht, um morgen Reaktoren zu bauen, sondern um die Option offenzuhalten, falls die Schweiz eines Tages wieder darauf zurückgreifen will oder muss. Ein Schritt hin zu mehr Technologieoffenheit, also eigentlich zu Vernunft.
Doch schon diese Möglichkeit genügte, um bei vielen Akteure die gewohnten Reflexe auszulösen. GLP-Präsident Jürg Grossen versteigt sich in LinkedIn-Videos zu der Aussage, der Bundesrat wolle jetzt Atomkraftwerke bauen und die Erneuerbaren zurückdrängen. Der Entscheid gefährde die Energiewende und sei sogar mitverantwortlich für den Rückgang neuer privater Solaranlagen, beklagt der Präsident von Swissolar und Mitinhaber eines Photovoltaik-Unternehmens.
Beide Aussagen sind falsch. Der Bundesrat will lediglich neue AKWs möglich machen. Und schon im November 2024 hat Grossens Verband Swissolar im «Solarmonitor 2024» die Erwartung im Hinblick auf neue PV-Anlagen formuliert: «Für 2025 und 2026 rechnet Swissolar allerdings damit, dass sich das Wachstum bei der installierten Leistung in der Schweiz etwas abschwächt. Dieser Umstand ist den vorübergehenden Unsicherheiten geschuldet, die rund um das neue Stromgesetz entstanden sind.» Also kein Wort zur Diskussion um neue Kernkraftwerke als Grund für diese Entwicklung. Auch der Geschäftsführer des Forschungsinstituts Sotomo, Michael Hermann, sagte kürzlich an einer Veranstaltung der Axpo, der Grund für den nachlassenden Zubau von PV-Anlagen von Privaten sei weniger die AKW-Debatte. Vielmehr hätten die meisten der «überzeugten Pioniere» zwischenzeitlich eine PV-Anlage installiert. Es sei nicht ganz einfach, jetzt die anderen zu überzeugen.

Ein weiteres Beispiel ist Nationalrätin Priska Wismer-Felder (Mitte), die mit dem Vorschlag des Bundesrats die Versorgungssicherheit in der Schweiz gefährdet sieht. Dazu muss man wissen: Wismer-Felder engagiert sich seit Jahren für den Ausbau der Windenergie als Vizepräsidentin des Branchenverbands «Suisse Eole». Privat plant sie zusammen mit ihrem Ehemann den Bau von drei Windrädern auf dem Stierenberg im Kanton Luzern.
Energiewende – ja bitte, aber ohne Mitspieler
Ein besonders aufschlussreiches Beispiel liefert die Schweizerische Vereinigung für Sonnenenergie (SSES). Statt sich auf ihre eigentliche Aufgabe – die Förderung der Solarenergie – zu konzentrieren, veröffentlicht sie ein sieben Seiten langes Positionspapier gegen die Kernenergie (das sie aber auch gerne als «Faktenblatt» anpreist). Darin heisst es u.a. «Mit dem Vorwand der Technologieneutralität startet der Bundesrat den Kampf gegen die erneuerbaren Energien.» Man fragt sich: Geht es auch eine Nummer kleiner und warum nimmt sich ein Solarverband Zeit und Energie, eine andere CO₂-arme Technologie zu bekämpfen, statt die eigene voranzubringen?
Erwartbar und doch entlarvend klingt es bei den Grünen, die in ihrer Vernehmlassung zum Gegenvorschlag schreiben: «Anderseits kommt es durch die unflexible Bandenergie zu einer Konkurrenzsituation mit Solarstrom und damit zu Fehlanreizen.» Mit anderen Worten: Kernenergie soll nicht erlaubt sein, weil sie Solar- und Windstrom Konkurrenz machen könnte.
Damit ist der Kern des Problems offengelegt: Hier geht es nicht um Klimaziele, sondern ganz offenbar um Technologieziele. Die wenigsten stellen die Bedeutung der erneuerbaren Energien infrage. Doch sie sollten kein Selbstzweck sein, sondern Werkzeuge auf dem Weg zu einer stabilen, klimaneutralen Versorgung. Wer Sonne und Wind als ideologische Monopoltechnologien betrachtet, widerspricht dem Geist der Energiewende: Denn diese sollte das Klima schützen, nicht Märkte abschotten. Die Aufhebung des Neubauverbots für Kernkraftwerke wäre kein Bauentscheid, sondern schlicht eine Rückkehr zu Rationalität. Niemand plant morgen ein neues AKW, aber künftige Generationen sollten die Freiheit haben, über ihre Energieversorgung selbst zu entscheiden. In einer Zeit steigender Nachfrage, wachsender Importabhängigkeit und ambitionierter Klimaziele wäre es töricht, diese Option aus ideologischen Gründen zu verbieten.
Fazit: Reflexe machen keinen Strom
Die Energiezukunft braucht Kooperation statt Konkurrenzdenken. Kernenergie und Erneuerbare sind keine Gegner, sondern Partner einer sicheren, klimaneutralen Versorgung. Wer beim Wort «Atomkraft» auf den Knopf drückt und das alte Abwehrprogramm startet, zeigt nicht Haltung, sondern Routine. Und wer Klimaschutz und Versorgungssicherheit fordert, sollte den Weg dahin auch mitgestalten, wenn er nicht ins eigene Geschäftsmodell passt. Denn Strom entsteht nicht durch Reflexe – sondern durch Vernunft.
Verfasser/in
Stefan Diepenbrock
Leiter Kommunikation, Nuklearforum Schweiz