Blackout 2025: Realitätsschock für Europas Versorgungssicherheit

Der grossflächige Stromausfall auf der Iberischen Halbinsel am 28. April 2025 hat eindrucksvoll vor Augen geführt, wie schnell kritische Infrastrukturen und die Versorgung zusammenbrechen können, auch wenn das viele bis dahin für unmöglich gehalten haben. Innerhalb weniger Sekunden waren fast 60 Millionen Menschen für bis zu 18 Stunden von der Stromversorgung abgeschnitten. Und nicht nur von dieser, sondern von fast allem, was von dieser abhängig ist. Also fast alles.

24. Juli 2025
Eine Strasse bei Nacht
Calle Rosalía de Castro in Vigo, der grössten Stadt in Galicien (im Nordwesten Spaniens), am Abend des 28. April 2025.
Quelle: Seoane Prado – eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

Spätestens jetzt sollte klar sein, dass es keine hundertprozentige Ausfallsicherheit gibt, auch wenn sehr viel Aufwand betrieben wird, um die sehr hohe Versorgungsicherheit auch weiterhin zu gewährleisten. Uns muss aber bewusst sein, dass wir uns im grössten Infrastrukturumbau aller Zeiten befinden. Operiert wird quasi am offenen Herzen und ziemlich unkoordiniert, ohne systemisch notwendiges Vorgehen und vor allem ohne Sicherheitsnetze.

Die Ursachen sind unklar

Über die Ursachen des Stromausfalls wird noch gerätselt und es wird wohl Monate dauern, bis ein halbwegs valides Bild über den tatsächlichen Verlauf präsentiert werden kann. Die sehr hohe solare Einspeisung bei gleichzeitig geringer Momentanreserve steht im Verdacht, das System fragil gemacht zu haben. Aber auch der zunehmende Einsatz von Leistungselektronik sowohl auf der Erzeuger- als auch auf der Verbraucherseite erhöht die Komplexität und Verwundbarkeit des Systems und auch das hat wohl eine wichtige Rolle beim Ausfall gespielt. Mit der Komplexität entstehen systemische Risiken, die mit unserem linearen Denken nicht erfassbar sind und daher viel zu wenig Beachtung finden.

Systemkollaps wie aus dem Lehrbuch

Die Geschwindigkeit, mit der die Stromversorgung kollabiert ist, deutet eindeutig auf eine Komplexitätsüberlastung in einem eng vernetzten System hin, das an seine Grenzen gestossen ist und einen Kipppunkt überschritten hat. Gleichzeitig kann man von einem erwartbaren «normalen Unfall» nach Charles Perrow sprechen, wie er im Lehrbuch steht: mehrere Ausfälle, die fast gleichzeitig auftraten und sich gegenseitig verstärkten und zum schlagartigen Zusammenbruch führten. So etwas kommt völlig überraschend, fast aus dem Nichts, und gleichzeitig war seit Jahren absehbar, dass die anhaltende Komplexitätsüberlastung zu einem Systemkollaps führen muss.

Kaskadeneffekte

Die Kaskadeneffekte setzten sich erwartungsgemäss in allen anderen Sektoren fort. Die Telekommunikation brach zusammen, Rettungsketten funktionierten nicht mehr. Ampeln blieben dunkel, Züge und U-Bahnen standen still, Supermärkte mussten schliessen oder waren schnell leer. Menschen sassen in Aufzügen fest. Probleme bei der Wasserver- und Abwasserentsorgung und vieles mehr.

Wurde am Abend des ersten Tages in Portugal noch damit gerechnet, dass die Wiederherstellung der Stromversorgung eine Woche dauern könnte, so hat sich dies glücklicherweise nicht bewahrheitet. Das wäre fatal gewesen. Denn mit jeder Stunde, die der Stromausfall länger dauert, nehmen die externen Effekte exponentiell zu, und das Gleiche gilt für die Dauer der Wiederherstellung und für das Wiederhochfahren, nicht nur der Stromversorgung, sondern insbesondere der gesamten hoch vernetzten Versorgung und Logistik. Die finanziellen Schäden werden nach den ersten Tagen bereits mit 2 bis 5 Milliarden Euro beziffert. Vieles wird sich jedoch erst nach und nach zeigen.

Wiederanlaufzeiten unterschätzt

Grundsätzlich ist bei einem Blackout damit zu rechnen, dass die eigentliche Krise erst nach dem Stromausfall beginnt, wenn es nicht – wie in diesem Fall – gelingt, einen Grossteil der Stromversorgung innerhalb eines halben Tages wiederherzustellen. Denn dann kann die Wiederinbetriebnahme der Telekommunikationssysteme deutlich länger dauern, wenn vermehrt Schäden und Störungen auftreten, die nicht einfach zu beheben sind. Ohne Telekommunikation gibt es keine Produktion, keine Logistik und keinen Warenverkehr, womit ein Teufelskreis beginnt.

Denn wie aus verschiedenen Umfragen und Studien bekannt ist, sind die Bevölkerung und damit auch die Mitarbeiter in den Unternehmen, aber auch viele Organisationen und Unternehmen, nur unzureichend auf grossflächige Versorgungsausfälle vorbereitet. Und wenn die Mitarbeiter zu Hause ein Problem haben und sich nicht ausreichend selbst versorgen können, werden sie wahrscheinlich nicht zur Arbeit kommen, um die Systeme wieder hochzufahren.

Von einem geordneten Wiederanlauf in den verschiedenen Sektoren kann erst dann ausgegangen werden, wenn die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen wieder einigermassen geordnet und ausreichend funktioniert. Und hier gibt es erhebliche Unsicherheiten, wie lange das wirklich dauern könnte, was wiederum davon abhängt, wie lange der Stromausfall dauert, welche Region konkret betroffen ist und welche Schäden auftreten. Auf jeden Fall besteht die potenzielle Gefahr, dass der Wiederanlauf nicht immer so «reibungslos» funktioniert, wie in Spanien und Portugal oder beim letzten Blackout vor nicht einmal einem Jahr, am 21. Juni 2024, auf dem Balkan, wo der Stromausfall deutlich kürzer dauerte. Für ein Ereignis, das häufig als unwahrscheinlich eingestuft wird, ist die Häufung doch etwas auffällig. Tatsächlich gab es neben dem Blackout im Juni 2024 in unseren Breiten nur zwei weitere Blackouts: 1976 und 2003.

Fazit: Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit

Die grösste Gefahr ist die Illusion, dass es schon nicht oder nicht so schlimm kommen wird. Denn die letzten fünf Jahre haben immer wieder gezeigt, dass sich die Realität nicht an unsere Wunschvorstellungen hält. Also besser Vorsorgemassnahmen treffen und diese nicht oder deutlich weniger brauchen, als böse überrascht zu werden.

Das Risiko derartiger Ereignisse nimmt mit der in vielen Ländern nicht systemisch vorangetriebenen Energiewende deutlich zu. Es reicht bei weitem nicht aus, konventionelle Kraftwerke durch wetterabhängige Erzeugungsanlagen zu ersetzen, um die Stromversorgung mit der gewohnten und notwendigen sehr hohen Versorgungssicherheit aufrechterhalten zu können. Wer das Thema CO2-Reduktion ernst nimmt, kann die Kernenergie als Teil der Lösung nicht ausschliessen. Denn mit den heutigen und absehbaren technischen Möglichkeiten ist es nicht möglich, die benötigten Energiemengen so zwischenzuspeichern, dass sie auch dann zur Verfügung stehen, wenn Sonne und Wind nicht zur Verfügung stehen. Die Schweiz tut sich hier mit ihren vielen Speicherkraftwerken zwar wesentlich leichter als viele andere Länder, aber auch hier gibt es saisonale Grenzen. Darüber hinaus brauchen wir wieder systemische Substrukturen in Form von zusätzlichen dezentralen Funktionseinheiten mit einem sektorübergreifenden Energiemanagement («Energiezellensystem») und mit einer übergeordneten Orchestrierung. Denn der heutige Weg, jeder macht etwas zur Selbstoptimierung und die Marktinteressen zählen mehr als die physikalischen Erfordernisse, kann aus systemischer Sicht auf Dauer nicht gut gehen. Wir werden die zunehmende Komplexität damit nicht beherrschen können, es sei denn, wir hebeln die Naturgesetze und Erkenntnisse der Evolution aus. Deshalb sollten wir auch beginnen, die zunehmende toxische Polarisierung, auch zwischen Kernenergie und wetterabhängigen erneuerbaren Energien, zu überwinden, wenn wir nicht in weiteren Katastrophen enden wollen.

Herbert Saurugg, MSc, ist ein international anerkannter Experte für Blackout- und Krisenvorsorge sowie der Präsident der Gesellschaft für Krisenvorsorge (www.gfkv.org). Saurugg ist Autor zahlreicher Fachpublikationen, Keynote-Speaker und gefragter Interviewpartner zu diesen Themen. Sein umfangreicher Fachblog (www.saurugg.net) bietet viele Hintergrundinformationen und ist eine wertvolle Quelle für Blackout-Vorsorgeaktivitäten.

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