Eine Studie warnt – aber wovor eigentlich?  

Was die neue SES-Analyse behauptet und was die Realität dazu zu sagen hat. 

Wenn Annahmen zu Argumenten werden, lohnt sich ein genauer Blick. Die neue Studie der Schweizerischen Energiestiftung (SES) ist ein gutes Beispiel dafür. Sie warnt davor, dass schon die Möglichkeit neuer Kernkraftwerke den Ausbau der erneuerbaren Energien gefährden könnte. Diese Schlussfolgerung wirkt jedoch weniger wie eine Auswertung realer Erfahrungen und mehr wie eine Konstruktion auf Basis eigener Modellannahmen. Genau hier beginnt die eigentliche Schwäche der Analyse. 

18. Nov. 2025
Modellannahmen und Realität können auseinanderliegen
Die SES-Analyse zeigt vor allem, wie weit Modellannahmen und Realität auseinanderliegen können.
Quelle: Nuklearforum Schweiz (KI-generiertes Bild)

Im Kern arbeitet sich die SES in ihrer Studie «Politikfolgenabschätzung zur Aufhebung des AKW-Neubauverbots» an hypothetischen Reaktionen von Investoren, Behörden und Bevölkerung ab. Investoren sollen zögern, Behörden langsamer arbeiten, die Bevölkerung sich polarisieren und das alles ausgelöst durch eine Option, die frühestens in den 2040er-Jahren technisch relevant wäre. Nachprüfbar ist davon wenig. Länder wie Finnland, Schweden oder Grossbritannien zeigen im Gegenteil, dass erneuerbare Energien und Kernenergie parallel wachsen können. Die Logik der Studie lautet dennoch: Erneuerbare würden gebremst, weil im Modell angenommen wird, dass sie gebremst werden. Das ist ein politischer Gedanke, aber kein energiewirtschaftlicher Befund.

Die Realität ausserhalb des Modells

Besonders deutlich wird die methodische Schwäche beim Thema Marktpreise. Die SES behauptet, ein neues Kernkraftwerk würde künftig häufiger zu negativen Preisen führen und damit den Ausbau der erneuerbaren Energien schwächen. Das Argument basiert jedoch auf den heutigen Marktbedingungen und ignoriert, dass ein neues Kernkraftwerk frühestens Mitte der 2040er-Jahre einspeisen würde – in einem dann stark weiterentwickelten Stromsystem mit mehr Speichern, flexibleren Märkten und robusteren Netzen. Die Preisbildung der Zukunft wird nicht die Preisbildung der Gegenwart sein.

Vor allem aber: Selbst wenn solche Preisdynamiken eintreten würden, wären sie kein Argument für ein Technologieverbot. In der Energiepolitik werden Technologien nicht ausgeschlossen, weil sie andere beeinflussen könnten. Beispiel: Photovoltaik drückt an sonnigen Tagen die Preise, ohne dass jemand ein PV-Verbot fordert. Kurz gesagt: Die SES leitet ein dauerhaftes Kernkraftwerksverbot aus hypothetischen Marktreaktionen ab, die in der Energiepolitik nie als Verbotsgrund dienen.

Auch die Annahme, neue Kernkraftwerke würden den Ausbau der erneuerbaren Energien bremsen, bleibt spekulativ. Internationale Beispiele zeigen das Gegenteil: Wo politisch klare Ziele gelten, wachsen beide Technologien gleichzeitig. Die Vorstellung, erneuerbare Energien könnten nur dann erfolgreich sein, wenn Kernenergie ausgeschlossen wird, offenbart eher ein strategisches Misstrauen gegenüber der eigenen Position.

Noch grösser wird der Widerspruch bei der Versorgungssicherheit. Die SES argumentiert, neue Kernkraftwerke kämen zu spät, bestätigt aber gleichzeitig, dass die Schweiz ab den 2040er-Jahren deutlich mehr CO₂-arme und winterfeste Leistung benötigt. Man beschreibt also eine Versorgungslücke, schliesst aber die Technologie aus, die sie füllen könnte. Energiepolitisch ist das schwer verständlich.

Auch der Hinweis der SES auf eine mögliche gesellschaftliche Polarisierung überzeugt wenig. Energiepolitik kann kontrovers sein, keine Frage. Doch Polarisierung ist kein technisches Problem einer Technologie, sondern ein politisch-kulturelles Phänomen. Ob eine Debatte gespalten oder konstruktiv verläuft, hängt von Kommunikation, politischen Rahmenbedingungen und dem Umgang der Akteure miteinander ab – nicht von der Existenz respektive Absenz einer bestimmten CO₂-armen Technologie. Konflikte zu moderieren, ist eine politische Aufgabe, kein Argument, um eine Option grundsätzlich auszuschliessen.

Ähnlich verhält es sich mit der Klimaperspektive. Die SES spricht ausführlich über mögliche Verzögerungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien, lässt aber ausser Acht, dass ohne zusätzliche grundlastfähige CO₂-arme Leistung zwangsläufig fossile Back-ups häufiger zum Einsatz kommen. Wer Lücken durch Gas schliesst, erreicht keine Klimaziele.

Wie die Schweiz ihre Energiewende wirklich schaffen kann

Über 80 Prozent der CO₂-armen Stromproduktion der Schweiz stammen heute aus Wasser- und Kernenergie. Dieses Zusammenspiel hat das Land jahrzehntelang zuverlässig versorgt, und genau dieses Zusammenspiel wird künftig wichtiger.

Die Schweiz steuert auf einen stark steigenden Strombedarf und ein strukturelles Winterstromdefizit zu. Eine Energiewende, die im Voraus festlegt, welche Technologien ausgeschlossen werden, erhöht die Risiken. Eine Energiewende, die alle CO₂-armen Quellen nutzt, reduziert sie. Sie wird klimafreundlicher, günstiger und stabiler sein als eine Strategie, die auf Verbote setzt, um technologische Konkurrenz auszuschliessen.

Die SES-Studie liefert dazu wenig. Sie ist weniger eine energiewirtschaftliche Analyse als ein politisches Plädoyer gegen eine Technologie. Und wer so viel Energie darauf verwendet, eine Möglichkeit vorsorglich auszuschliessen, zeigt vielleicht ungewollt, dass er der eigenen Argumentation nicht ganz traut.

Verfasser/in

Stefan Diepenbrock
Leiter Kommunikation, Nuklearforum Schweiz

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