Europas Nuklearbranche erlebt einen frischen Innovationsschub
In Europa gewinnt die Nuklearbranche durch eine wachsende Zahl von Start-ups an Dynamik. Neue Akteure arbeiten an innovativen Reaktorkonzepten, digitalen Technologien und Anwendungen wie Prozesswärme oder Wasserstoffproduktion. Dies zeigt, dass Kernenergie zunehmend auch als Bereich für unternehmerisches Handeln und private Investitionen verstanden wird.

Start-ups und neue Akteure drängen mit SMR-Projekten in den Markt – teils sogar aus Ländern ohne eigene Kernkrafttradition. Im Rahmen eines Interviews für das Bulletin 3/2025 ordnet Kamen Kraev, Generalsekretär der internationalen Kernenergie-Nachrichtenagentur NucNet, diese Entwicklung insbesondere in Europa ein.
Nuklearforum: Beobachtet NucNet ein verstärktes Engagement von Start-ups oder neuen Akteuren im europäischen Nuklearsektor, etwa in Bereichen wie SMRs oder digitale Reaktortechnologien? Wenn ja, wie beurteilen Sie dies?
Kamen Kraev: Ja, wir beobachten definitiv eine verstärkte Beteiligung von Start-ups und neuen Akteuren im europäischen Nuklearsektor, insbesondere im Bereich SMRs und fortgeschrittenen Reaktortechnologien. Tatsächlich sind die meisten heute in Europa aktiven SMR-Entwickler Start-ups oder vergleichsweise neue Marktteilnehmer und nicht etablierte Kernkraftwerksanbieter. Diese Unternehmen entstehen in Europa auch in Ländern ohne traditionelle Kernkraftwerke wie Dänemark, Estland, Italien und Norwegen. Dies spiegelt einen allgemeinen Wandel in der Einstellung zur Kernenergie wider – sie wird nicht mehr nur als staatlich getragene Infrastruktur betrachtet, sondern als Raum für Innovation und Unternehmertum.
Beispiele hierfür sind das dänische Unternehmen Copenhagen Atomics, das kompakte Flüssigsalzreaktoren für industrielle Wärme und Abfallverwertung entwickelt, oder Seaborg Technologies, ebenfalls aus Dänemark, das an einer schwimmenden, modularen Kernkraftwerksauslegung für den Einsatz in Küsten- und abgelegenen Regionen arbeitet. In Frankreich treibt das ursprünglich aus Italien stammende Unternehmen Newcleo die Entwicklung von schnellen Reaktorauslegungen voran, die Blei als Kühlmittel nutzen. Zudem plant Newcleo die Brennstoffwiederaufarbeitung zu integrieren, um langlebige Abfälle zu behandeln – ein vielversprechender Schritt hin zu einem geschlossenen Brennstoffkreislauf. Der Projektentwickler Norsk Kjernekraft in Norwegen fördert die Idee des Einsatzes von SMRs zur Erzeugung von Strom und Wärme, obwohl Norwegen noch nie ein kommerzielles Kernkraftwerk betrieben hat. Auch das estnische Unternehmen Fermi Energia entwickelt keinen eigenen Reaktor, arbeitet aber aktiv an der Einführung kommerziell einsetzbarer SMRs mit Fokus auf den BWRX-300 von GE Vernova Hitachi). Somit konzentriert sich der neue Projektentwickler, eher auf die Integration und Lizenzierung als auf die technologische Auslegung.
In Frankreich ist neben dem staatlich geförderten Nuward-Projekt unter der Leitung von Électricité de France (EDF) ein wachsendes Ökosystem von SMR- und Mikroreaktorentwicklern entstanden. Start-ups wie Hexana, Naarea, Blue Capsule und Calogena verfolgen jeweils neuartige Reaktorauslegungen für verschiedene Anwendungen, darunter industrielle Wärme, städtische Fernwärme und dezentrale Stromversorgung. Diese Initiativen wurden im Rahmen des Innovationsprogramms «France 2030» finanziell und strategisch unterstützt, was das Engagement der Regierung für eine heimische Innovationsbasis im Nuklearbereich unterstreicht. Das niederländische Start-up Thorizon treibt ein Konzept für einen Flüssigsalzreaktor voran, dessen Schwerpunkt auf der Wiederverwertung langlebiger Abfälle und passiver Sicherheit liegt, mit dem Ziel, sowohl zur sauberen Energieerzeugung als auch zur Nachhaltigkeit des Brennstoffkreislaufs beizutragen.
Diese Initiativen decken ein breites Spektrum von Anwendungen ab, von der Stromerzeugung über Hochtemperatur-Prozesswärme und Wasserstoffproduktion bis hin zur Netzstabilisierung. Viele Start-ups entwickeln zudem digitale Werkzeuge für Reaktorsimulation, Lebenszyklusmanagement und Sicherheitsnachweise, häufig unter Verwendung von KI und cloudbasierten Plattformen. Bemerkenswert ist, dass dieses Ökosystem nicht nur Technologieentwickler umfasst, sondern auch Unternehmen, die sich ausschliesslich auf die Einführung, Lizenzierung und Finanzierung konzentrieren – ein Zeichen für die wachsende Spezialisierung und Reife in diesem Bereich. Die meisten dieser Start-ups sind noch nicht börsennotiert, ziehen jedoch erfolgreich privates und Risikokapital für die Entwicklung ihrer Geschäfte an. Einige haben, wie bereits erwähnt, auch staatliche Fördermittel erhalten.
Auch hier ist wieder Realismus angebracht. Die europäische Start-up-Szene ist zwar dynamisch, doch die USA sind bei der Entwicklung und Marktreife von SMRs und fortgeschrittenen Reaktoren deutlich weiter. Amerikanische Unternehmen wie NuScale Power, TerraPower, Oklo und X-Energy haben sich umfangreichere öffentliche und private Finanzmittel gesichert, verfügen über klarere regulatorische Verfahren seitens amerikanische Nuklearaufsichtsbehörde NRC und haben in einigen Fällen bereits frühe Einsatzvereinbarungen unterzeichnet. Mehrere von den USA unterstützte Auslegungen werden bereits für den Einsatz in Europa lizenziert oder ausgewählt, was als Zeichen dafür gesehen werden könnte, dass die heimische Innovation bei der Einsatzreife noch im Rückstand ist. Um diese Lücke zu schliessen, wären in Europa eine stärkere Abstimmung zwischen Politik, Reform der Genehmigungsverfahren und Zugang zu Kapital unerlässlich. Ohne diese Abstimmung könnten viele vielversprechende europäische Konzepte Schwierigkeiten haben, über die Demonstrationsphase hinauszukommen, oder letztlich auf ausländische Einsatzpfade angewiesen sein.
Ich würde sagen, dass die zunehmende Präsenz von Start-ups in der europäischen Kernenergielandschaft eine ermutigende Entwicklung ist, die Dynamik und Innovation mit sich bringt. Ihr langfristiger Einfluss wird jedoch davon abhängen, ob sie in der Lage sind, zu skalieren, stabile Unterstützung zu sichern und über das Konzeptstadium hinauszugehen – in einem nach wie vor hochkomplexen und stark regulierten Sektor.
Kamen Kraev ist leitender Redaktor und Generalsekretär bei NucNet, einer der weltweit führenden englischsprachigen Nachrichtenagenturen für Kernenergie mit Sitz in Brüssel. Kraev kam 2015 als Autor und Researcher zu NucNet und ist seit 2018 auch für die Leitung der Agentur verantwortlich. Er hat Masterabschlüsse in Europapolitik und Betriebswirtschaftslehre von der Katholischen Universität Löwen (KU Leuven) in Belgien. Energie, Politik und globale Angelegenheiten sind seit seiner Jugend zentrale Themen seines beruflichen und privaten Interesses. Durch seine fast zehnjährige Tätigkeit als Berichterstatter für die Nuklearindustrie hat Kraev einen tiefen Einblick in die Entwicklungen und wichtigen Trends im europäischen und globalen Nuklearsektor gewonnen. Er ist der Ansicht, dass die Kernenergie nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Energiewende betrachtet werden sollte, sondern auch langfristig eine stabilisierende Rolle im Energiemix Europas spielen sollte.
Verfasser/in
Übersetzt aus dem Englischen: M.A.
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