Illusionen

Was die Fasnacht für uns brave Menschen ist, sind die Wahlen für die Politik. Der Wahlkampf treibt farbige Blüten. Kandidaten verkleiden sich als Volkshelden und Parteien liefern sich Schaukämpfe zu allerlei schrägen Themen. Schliesslich als Krönung das grosse Finale, der Polit-Fasnachtssonntag sozusagen, wie zuletzt am 22. Oktober 2023, dem Wahltag für National- und Ständerat.

5. Jan. 2024
Schweizer Parlament
Die Schweiz hat im Oktober 2023 den neuen National- und Ständerat gewählt.
Quelle: Schweizer Parlament

Wir geniessen Jux und Tollerei, es wird gepoltert und gefeiert, sich aufgeplustert und geblufft, in Masken und Kostümen. Aber wir alle wissen, die Fasnacht hat nichts mit dem Alltag zu tun, der nach dem Aschermittwoch wieder einkehrt. Ganz ähnlich in der Politik. Was wurde da während des Wahlkampfs nicht alles behauptet und versprochen, Schauermärchen, Horrorgeschichten und Heile-Welt-Sagas, eine wahre Freude.

Ein paar Wochen nach dem Wahlsonntag kratzen wir uns am Kopf und fragen uns: War da was?

Antwort: Nein, es ist alles wie gäng. Ein paar Rechte mehr, ein paar Grüne weniger, aber die Schweizer Politik geht unbeirrt ihren Weg, austariert, etwas schwerfällig, aber dafür auch gefeit vor allerlei Bocksprüngen.

«Wenn die SVP gewinnt, dann ändert sich unsere Energiepolitik!», habe ich vor den Wahlen oft gehört. «Wenn der Rösti das Uvek bekommt, bauen wir wieder AKW» vor den letzten Bundesratswahlen. Die Erwartung, dass die Schweizer Politik sich mit der parteipolitischen Couleur der verantwortlichen Bundesräte oder des Parlaments ändere, ist weit verbreitet und hält sich hartnäckig… aber sie ist kreuzfalsch, und das lässt sich gerade in der Energiepolitik historisch belegen.

Es war mit Willy Spühler ein SP-Bundesrat, der die Energiebranche in den 60er-Jahren zum Bau von AKW drängte und damit die nukleare Energie-Epoche einleitete. Und es war mit Moritz Leuenberger ein SP-Bundesrat, der mit zwei neuen AKW 2009 die nächste nukleare Epoche starten wollte, ehe die Pläne nach Fukushima von der CVP-Bundesrätin Doris Leuthard aka «Atom-Doris» (sie war zuvor Verwaltungsrätin bei der an AKW beteiligten Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg, EGL) beerdigt wurden.

Die Vorstellung, dass die paar zusätzlichen SVP-Sitze nach den Wahlen 2023 die Schweizer Energiepolitik auf den Kopf stellen wurden, schminken wir uns also ab, wie die fastnächtliche Farbe im Gesicht. Es war nur eine Illusion, der Alltag sieht ganz anders aus.

Weil eben weder einzelne Bundesräte noch einzelne Parteien die Macht haben, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie sind eingebunden. Eine grosse Stärke der Schweizer Politik: Das stete Ringen um Konkordanz, um tragfähige Kompromisse, um Lösungen, die alle nicht wirklich gut, aber doch noch ertragbar finden, hat uns vor manchem Blödsinn bewahrt.

Diese Stärke kann aber auch eine Schwäche sein. Dann nämlich, wenn wir – gedrängt durch externe Einflüsse und ein einmaliges Momentum – glauben, wir müssten jetzt aber wirklich einen grossen Wurf machen und wir holen aus und wir werfen… und merken nicht, dass der Wurf als Bumerang zurückkommt.

Auch in solchen Fällen entwickeln wir eine bemerkenswerte politische Hartnäckigkeit, geradezu eine Aversion gegen eine Umkehr, auch wenn die fundamentalen Fakten uns klar zeigen, dass wir auf dem falschen Weg sind. Neben der inhärenten Schwerfälligkeit und Beschaulichkeit unseres politischen Systems kommt hier noch eine höchst menschliche Komponente hinzu. Für Politikerinnen und Politiker ist der Satz: «Es könnte sein, dass ich mich geirrt habe», der schwerste überhaupt.

Was fallen uns da für Beispiele ein? Nehmen wir mal… ah ja, die Energiestrategie 2050. Ein wunderbarer grosser Wurf! Geboren aus einem starken Momentum, daher auch der ursprüngliche Fokus auf «Atomausstieg», bediente sie 2011 ein politisch und gesellschaftlich breit akzeptiertes Narrativ: Die Versorgung der Schweiz ausschliesslich mit erneuerbaren Energien sicherzustellen. Wer heute die ursprünglichen Pläne aus dem Uvek nachliest, spürt diesen Unternehmergeist, diese Aufbruchstimmung, ja fast Euphorie. «Wir schaffen das!»

Die Realität holte den grossen Wurf schrittweise ein. Erst kam der Klimaschutz, der zum Energie-Ziel Nummer 1 wurde. Weil nukleare Kraftwerke klimafreundlich sind, machte der Atomausstieg aus Klima-Sicht keinen Sinn mehr, im Gegenteil. Ein bis heute nicht aufgelöster Antagonismus der Ziele.

Dann liessen uns die Erneuerbaren im Stich. Die Geothermie hat seit 2006 keinen Meter gut gemacht, Hydro ist ausgebaut, Biomasse bleibt beschränkt, grossflächige Solar- und Windanlagen… quasi ein Komplettausfall. Und dann warf die Strompreis-Krise plötzlich auch einen Scheinwerfer auf die enormen Zusatzkosten, die wir uns mit der Energiestrategie 2050 aufgehalst haben.

Die EU liess eine weitere Illusion platzen, jene, auf die Bundesrätin Leuthard gesetzt hatte. Einer ihrer Spezialisten hat mir mal gesagt: «Eigentlich muss die Schweiz gar nichts tun. Im Norden und Westen haben wir die grössten Volkswirtschaften Europas. Da fallen für uns immer Brosamen ab.» Mit Brosamen meinte er Stromimporte, die wir jederzeit tätigen könnten. Heute wissen wir: Importe sind politisch und technisch keine verlässliche Option für die Schweiz.

So richtig um die Ohren ist uns der Spar-Bumerang geflogen. Statt dass wir den Verbrauch bis 2050 wie geplant stark senken können, steigern ihn neue elektrische Lösungen bei Mobilität und Wärme massiv. Hinzu kommt der Bevölkerungsanstieg in der Schweiz. Die Erkenntnis wächst auch bei den eifrigsten Jüngern der Energiewende: Strom ist die Schlüsselenergie, Effizienz ist zentral… aber Gesellschaft und Wirtschaft werden viel mehr Strom brauchen, mehr noch als heute angenommen. AKW wegsparen… auch so eine geplatzte Illusion.

Schliesslich zeigte uns der Kriegsherr Putin auf, dass die Versorgungssicherheit schneller zum Problem werden kann als gedacht. Wir sollen jetzt fossile Kraftwerke bauen, um dem vorzubeugen. Aber da platzt schon die nächste Illusion: Keiner will die Gaskraftwerke. Die Energie-Unternehmen drehen sich weg.

Statt – nachdem fast alle Annahmen der ES2050 gescheitert sind – einen Plan B zu entwickeln, macht die Politik das Gegenteil: More of the same. Mit dem Mantelerlass werden jetzt grossflächige Solaranlagen und in den Bergen Wind und Alpin-Solar als Winterproduktion subventioniert.

Doch hoppla. So gross die Würfe von Gondo und Grengiols waren, so schnell wurden sie zurechtgestutzt. Schon bevor ein Bagger auffährt, fallen die Dimensionen in sich zusammen. Too little, too late… bis 2050 sind es noch gut 25 Jahre, und das ist in der Stromversorgung übermorgen.

Fast schon lustig, wenn es nicht so ernst wäre, ist die geplatzte Illusion der «grünen Energiewende». Es geht eine Kluft auf zwischen grünen Naturschützern und grünen Energieplanern, die grösste Opposition gegen alles Grossflächige erwächst der Energiestrategie 2050 aus den eigenen Reihen. Mehr Bumerang geht nicht.

Sogar der «Solarboom» auf den Hausdächern droht zum Böömchen zu werden. Fachkräfte wie Solarmonteure fehlen. Axpo will jetzt statt 150 neu 600 Lehrlinge ausbilden. Nur: Schon die heutigen 150 Stellen lassen sich kaum besetzen.

Illusionen über Illusionen. Ich leiste mir übrigens auch eine, und ich hoffe, sie wird dann einmal zur Perspektive: Unsere Jugend wird genug haben von der Dauer-Fasnacht und sehr viel unverkrampfter und pragmatischer an die verschiedenen Technologien herangehen und so Lösungen finden. Deshalb habe ich im Oktober 2023 fast nur junge Politikerinnen und Politiker gewählt. Ich werde es 2027 wieder tun.

Rainer Meier

Verfasser/in

Rainer Meier, Senior Advisor für Reputation Management

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