VAE: Neueinstieg nach Plan

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben ihre ersten Kernkraftwerkseinheiten am Standort Barakah in jeweils acht Jahren gebaut. Dabei setzten sie auf akribische Planung und internationale Expertise. Weitere Einheiten dürften folgen.

19. Apr. 2024
Abu Dhabi
Um ihren rasant steigenden Strombedarf zu decken, setzen die Vereinigten Arabischen Emirate (im Bild Abu Dhabi) unter anderem auf Kernenergie.
Quelle: Martin Lewison/Flickr

Während die jüngsten Bauprojekte der westlichen Nuklearindustrie mehrfach mit Überschreitungen von Zeitplan und Budget zu reden geben, sind die VAE mit hohem Tempo in die Kernenergienutzung eingestiegen. Die erste von vier Einheiten am Standort Barakah hat 2020, acht Jahre nach dem Giessen des ersten Betons, ihren Betrieb aufgenommen. Barakah-4 wurde als vierte und letzte Kernkraftwerkseinheit am Standort am 1. März 2024 kritisch gefahren.

Kernenergieprogramm in den VAE
Seinen Ursprung hatte das Projekt 2003, als die VAE ein Safeguards-Abkommen mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) ratifiziert haben. Mitte 2008 ernannte das Land einen Botschafter bei der IAEO. Im April 2008 veröffentlichten die VAE eine umfassende Strategie für die Kernenergie. Darin wurde ein steigender Bedarf an Stromerzeugungskapazität von 15,5 GW im Jahr 2008 auf über 40 GW im Jahr 2020 prognostiziert. Importierte Kohle wurde als zu umweltschädlich und zu unsicher eingestuft und der mögliche Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 auf 6–7% des benötigten Stroms geschätzt. Die Kernenergie bezeichnete das Strategiepapier «als bewährte, ökologisch vielversprechende und kommerziell wettbewerbsfähige Option, die einen bedeutenden Beitrag zur Grundlastversorgung der VAE und zur künftigen Energiesicherheit leisten könnte».

Der Strategie folgten die Schaffung des rechtlichen Rahmens und die Standortwahl, die auf Barakah fiel, 250 km westlich von Abu Dhabi-Stadt. Als Inhaberin und Lizenznehmerin fungierte die 2009 gegründete Emirates Nuclear Energy Corporation (ENEC). Von ursprünglich neun eingeladenen Reaktorherstellern holte die ENEC bis Mitte 2009 von dreien Angebote ein: von der französischen Areva mit Suez und Total, die den EPR vorschlugen, der amerikanischen GE Hitachi Nuclear Energy (GEH) mit dem ABWR und von einem südkoreanischen Konsortium mit dem APR-1400. Im Dezember 2009 gab die ENEC bekannt, das von der Korea Electric Power Corp. (Kepco) geführte Konsortium für vier APR-1400-Reaktoren ausgewählt zu haben. Die Kepco gab später an, dass der Grund für ihre Auswahl angesichts der starken Konkurrenz der nachweislich höchste Kapazitätsfaktor, die niedrigsten Baukosten und die kürzeste Bauzeit unter den Bietern war. Die VAE gehen davon aus, dass die vier 1400-MW-Kernkraftwerkseinheiten in Barakah 25% ihres Stroms zu einem Viertel der Kosten im Vergleich zu Gas erzeugen werden.

Zehn Jahre von der Umweltverträglichkeitsprüfung zur Inbetriebnahme
Im April 2010 reichte die ENEC bei der Federal Authority of Nuclear Regulation (FANR) Genehmigungsanträge und eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Barakah ein. Bei der Standortbewertung für die vier Reaktoren waren zehn potenzielle Standorte in Betracht gezogen worden, wobei die FANR sowie das amerikanische Electric Power Research Institute, die Nuclear Regulatory Commission (NRC) und die IAEO zu Rate gezogen wurden. Im Juli 2010 erhielt ENEC von der FANR eine Standortvorbereitungsgenehmigung für Barakah und eine begrenzte Baugenehmigung zur Herstellung von Hauptkomponenten für vier Blöcke. Die Baugenehmigung der Umweltbehörde von Abu Dhabi folgte und der erste Spatenstich erfolgte im März 2011. Die Anträge auf Baugenehmigung basierten auf der Sicherheitsanalyse für Shin-Kori-3 und -4 von Kepco in Südkorea, die als Referenzanlagen für die Anlagen in Barakah dienen. Das Meerwasser im Golf von Barakah hat eine Temperatur von etwa 35° C, was zu einem geringeren thermischen Wirkungsgrad führt als bei den Referenzanlagen in Shin-Kori, wo das Meer eine Temperatur von etwa 27° C hat. Deshalb waren für Barakah grössere Wärmetauscher und Kondensatoren erforderlich. Unterschiede bestehen neben der Kühlung auch im 50-Hz-Output statt 60-Hz in Südkorea und bei der Nettoleistung. Die Barakah-Reaktoren haben eine Nettoleistung von jeweils 1345 MWe, Shin-Kori-3 und -4 jeweils 1383 MWe.

Im Dezember 2010 reichte ENEC einen 9000 Seiten umfassenden Antrag auf Baugenehmigung für die Blöcke 1 und 2 ein. Die FANR erteilte diese Genehmigung Mitte Juli 2012. An der 18-monatigen Überprüfung waren mehr als 60 FANR-Mitarbeitende und drei internationale Beratungsfirmen sowie die IAEO beteiligt gewesen. Dabei wurden auch Änderungen berücksichtigt, die sich aus dem Unfall in Fukushima ergaben. Der Bau von Block 1 wurde im Juli 2012 lanciert und von Block 2 im April 2013. Für die Blöcke 3 und 4 reichte die ENEC im März 2013 einen 10’000 Seiten umfassenden Antrag ein, der auf dem Antrag für die Blöcke 1 und 2 basierte und Mitte September 2014 genehmigt wurde. Mit dem Bau von Block 3 wurde eine Woche später begonnen, Block 4 folgte Ende Juli 2015.

Bakarah
Die vier Einheiten des Kernkraftwerks Barakah wurden in einer Bauzeit von jeweils rund acht Jahren fertiggestellt.
Quelle: ENEC

Sprachbarrieren als Verzögerungsgrund
Der kommerzielle Betrieb der vier Blöcke wurde ursprünglich für 2017, 2018, 2019 und 2020 erwartet. Im März 2015 beantragte die ENEC eine Betriebsgenehmigung für die Blöcke 1 und 2. Ein Pre-Operational Safety Review Team (Pre-OSART) der IAEO gab im Oktober 2017 einen positiven Bericht ab, und die Nawah Energy Company beantragte eine OSART-Folgemission. Die Nawah Energy Company war im Mai 2016 als Betreiberfirma von Barakah gegründet worden und wird zu 82% von ENEC und zu 18% von Kepco gehalten. Block 1 sollte im August 2017 mit Brennstoff beladen werden, aber Anfang 2017 wurde die Inbetriebnahme auf 2018 verschoben. Im Anschluss an einen früheren Sicherheitsbewertungsbericht schloss Nawah Anfang 2018 eine umfassende Überprüfung der Betriebsbereitschaft (ORR) ab. Da jedoch die FANR dabei mehr als 400 negative Feststellungen machte, wurde die Inbetriebnahme weiter verschoben. Ein grundlegendes Problem, das zu einigen der Feststellungen des ORR in Bezug auf die Sicherheit beitrug, beruhte auf der Notwendigkeit, Englischkenntnisse zur Verständigung zwischen Arabisch und Koreanisch sprechendem Personal zu entwickeln.

Im Juli 2018 gewährte das Energieministerium der VAE eine Stromerzeugungslizenz für die vier Blöcke in Barakah. Im Februar 2020 erteilte die FANR die Betriebsgenehmigung für Block 1. Kurz darauf wurde mit der Brennstoffbeladung begonnen, und der Block wurde im August 2020 ans Netz angeschlossen, erreichte im Dezember 2020 seine volle Leistung und nahm im April 2021 den kommerziellen Betrieb auf. Die ENEC gab im Juli 2020 die Fertigstellung von Block 2 bekannt, erhielt im März 2021 die Betriebsgenehmigung und startete sogleich die Brennstoffbeladung. Im August 2021 wurde Block 2 in Betrieb genommen und einen Monat später an das Netz angeschlossen. Im November 2021 war der Bau von Block 3 abgeschlossen. Die Betriebsgenehmigung erfolgte im Juni 2022 und im Oktober 2022 ging der dritte Reaktor erstmals ans Netz. Seit Februar 2023 läuft er im kommerziellen Betrieb. Die Brennstoffbeladung von Barakah-4 wurde im Dezember 2023 abgeschlossen. Somit konnte er am 1. März 2024 erstmals kritisch gefahren werden.

Schnelle Umsetzung, gute Noten
Als die VAE 2008 die Umsetzung ihres Kernenergieprogramm lancierten, war die allgemein vorherrschenden Ansicht, dass solche neuen Programme schrittweise und langsam entwickelt würden. Die VAE sind schneller vorangekommen, indem sie eine Reihe von Massnahmen parallel durchgeführt, anfangs erfahrene ausländische Fachkräfte eingesetzt und mit Fortschreiten des Projekts eigenes Personal ausgebildet haben. Zusätzlich vorteilhaft war ein erfahrener Reaktor- und Kraftwerksbauer, der zuvor bereits nachweislich pünktlich und innerhalb des Budgets gearbeitet hatte. Eine IAEO-Mission zur Überprüfung der nuklearen Infrastruktur (Integrated Nuclear Infrastructure Review, INIR) in den VAE berichtete im Januar 2011, dass die VAE den von der IAEO für solche Länder empfohlenen umfassenden «Meilenstein-Ansatz» verfolgt hätten. Zu den von der Mission ermittelten bewährten Verfahren gehörten die Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden und den Versorgungsunternehmen, ohne deren Unabhängigkeit zu beeinträchtigen, die Entwicklung der Human Resources, ein gut strukturiertes Managementsystem und eine starke Sicherheitskultur. Zudem ist die ENEC dem Weltverband der Kernkraftwerksbetreiber (WANO) beigetreten, um von Anfang an von dessen Peer-Review-Verfahren zu profitieren und so hohe Sicherheitsstandards zu gewährleisten. Der ENEC-CEO, Mohamed Al Hammadi, ist Vizepräsident der World Nuclear Association (WNA).

Weitere nukleare Pläne
Ab 2010 setzte die ENEC die Verhandlungen mit den unterlegenen Bietern Areva und GE Hitachi über eine Zusammenarbeit in verwandten Nuklearbereichen fort. Im November 2013 gab die Dubai Electricity & Water Authority bekannt, dass sie sich zum Ziel gesetzt hat, bis zum Jahr 2030 12% ihrer Stromversorgungskapazität aus Kernkraft zu gewinnen, und zwar in erster Linie aus dem Kernkraftwerk Barakah in Abu Dhabi, möglicherweise aber auch aus einem Kernkraftwerk in Dubai. Dieses Ziel ist in Dubais integrierter Energiestrategie 2030 enthalten. Die im Januar 2017 angekündigte neue Strategie für saubere Energie in den VAE sieht bis 2050 Investitionen in Höhe von USD 163 Mrd. vor, um die Hälfte der Energie aus Kernenergie und erneuerbaren Energien, 38% aus Gas und 12% aus Kohle zu gewinnen. Die Strategie für saubere Energie in Dubai 2050 ist weniger ehrgeizig und zielt auf 25% Solarenergie, 7% Kernenergie, 7% Kohle und 61% Gas bis 2030 ab. In einem Interview mit dem Podcast «Decouple» gab Al Hammadi im Übrigen zu verstehen, dass der Standort Barakah ursprünglich für acht Reaktoren ausgelegt und die entsprechende Anzahl Kühlwasserkanäle gebaut wurden.

Am 1. März 2024 gab Enec bekannt, dass sie mit den in Barakah gemachten Erfahrungen und dem hinzugewonnenen Wissen andere Länder beim Aufbau neuer Kernkraftwerkskapazitäten unterstützen werde. Gleichzeitig werde man auch den Kernenergiesektor der VAE ausbauen, indem die Forschung und Entwicklung vorangetrieben und die neuesten Kernenergietechnologien einsetzt werden sollen. Dazu gehören laut Enec kleine, modulare Reaktoren (SMRs) und fortgeschrittene Reaktoren zur Erzeugung von sauberem Strom, Wasserstoff und Ammoniak sowie zur Bereitstellung von Prozesswärme für verschiedene Industriezweige.

Verfasser/in

M.R.

Quelle

WNA, Country Profile, Januar 2024 und ENEC, Februar 2024 und 1. März 2024 sowie Decouple, 10. März 2023

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