Was sagt der «Stromgeneral»

Militärisches interessiert mich – trotz der aktuellen Weltlage – eher am Rand. Für meine Tätigkeit in der Krisenkommunikation erhalte ich aber oft wertvolle Impulse von den Militärs, vor allem Oren Hararis Buch «The Leadership Secrets of Colin Powell» ist immer wieder eine Quelle der Inspiration.

14. Apr. 2023
Strommasten

Colin Powell, vor zwei Jahren verstorben und seit seiner Rede zu Saddam Husseins angeblichen Massenvernichtungswaffen 2003 vor der UNO in der Kritik, hatte Anfang der 1990er-Jahre die Operation «Desert Storm» als US-General geführt. Seine Strategien bauten auf drei einfachen Prinzipien auf:

  1. Setze Dir klare Ziele.
  2. Setze Deine Kräfte so massiv wie möglich ein.
  3. Stelle sicher, dass Du jederzeit eine Exit-Möglichkeit hast.

Mich fasziniert, wie universell diese drei Prinzipien angewendet werden können. Sie gelten für jede Art von Krise, aber auch für alle Strategien und strategischen Projekte, die gegen starke Widerstände umgesetzt werden müssen.

Ein solches Projekt ist die Energiestrategie 2050. Sie muss Widerstände und Ängste überwinden und immer wieder auf Unvorhergesehenes reagieren können. Versetzen wir also Powell mal in die Rolle des «Stromgenerals». Was würde er zur Umsetzung der ES2050 sagen?

«Setze Dir klare Ziele»
Die Ziele der Energiestrategie waren von Anfang an sehr ambitioniert. Aber waren sie auch klar? Am klarsten vielleicht ganz am Anfang: AKW abschalten, Erneuerbare ausbauen, dafür auf Importe (Stromabkommen mit der EU) und als Backup auf Gaskraftwerke setzen. Letzteres wurde dann obsolet, weil die Komponente Klimaschutz plötzlich sehr viel stärker in den Vordergrund drängte. Schnell wurde der Antagonismus zwischen den zwei Hauptzielen, Atomausstieg und Klimaschutz, offensichtlich. AKW produzieren grosse Mengen an klimafreundlichem Strom, mit dem man fossil erzeugte Kapazitäten ersetzen kann. Das Dilemma ist durch die immer umfassendere Dekarbonisierung heute für alle offensichtlich geworden. Die Frage drängt sich auf: Macht es Sinn, zwei sich konkurrenzierende Hauptziele zu verfolgen?

«Setze Deine Kräfte so massiv wie möglich ein»
Auf den Einsatz massiver Kräfte warten wir noch immer. Zwar haben die jüngsten Entscheide des Parlaments Hoffnungen geweckt, dass es jetzt vorwärts geht mit dem Ausbau von Wind und Solar in den Alpen. Der Realist aber zweifelt. Erstens weil St. Florian eben ein guteidgenössischer Heiliger ist, zweitens weil Natur- und Landschaftsschutz in der Schweiz zurecht einen hohen Stellenwert haben. Eigentlich nur dort, wo der Widerstand gering war, bei Hausdach-Solaranlagen mit Eigenverbrauch, war der Fortschritt bisher spürbar. So erfreulich dieser Zubau sein mag, er hilft nicht über das Winterproblem hinweg. Wenn – wie an vielen Tagen in diesem Winter – Wolken und Nebel liegen, wie viel Strom liefern dann die Solaranlagen im Unterland?

Wie der renommierte Energieexperte Georg Schwarz im Januar in einer ausgezeichneten Analyse in der NZZ nachgewiesen hat, wäre es möglich, alle Ziele der Energiestrategie 2050 klimafreundlich zu erreichen, allerdings eben nur mit massiven Mitteln und dort, wo es weh tut. 700 Anlagen von der Grösse von «Gondosolar» müssten in den Alpen gebaut werden, und 5000 Windturbinen – beide Technologien haben den Vorteil, dass sie im Winter wesentlich mehr Energie liefern als die sozial viel besser akzeptierten Hausdach-Solaranlagen. Macht es Sinn, exklusiv auf eine Lösung zu setzen, die zwar beliebt ist – aber nicht ausreicht?

Es gibt weitere kritische Entwicklungen. Die Preise für Solaranlagen steigen, es gibt Lieferprobleme bei chinesischen Panels, jüngst hatte der ehemalige ETH-Forscher Walter Rüegg in der NZZ aufgezeigt, welche Umweltimmissionen der massive Ausbau von Solaranlagen mit sich bringt. Kommt hinzu, dass die Wasserkraft als Backbone der Schweizer Energieversorgung wegen Restwassermengen eher schwächelt. Und jetzt schlägt auch der Netzbetreiber Swissgrid Alarm. Wir sind viel zu langsam im Ausbau und Umbau unserer Höchstspannungsnetze. Wo Spannungserhöhungen probeweise durchgeführt wurden, regte sich sofort Widerstand.

Auch beim letzten zentralen Punkt der Energiestrategie 2050 sind wir keinen Schritt weiter als vor elf Jahren. Importe werden ab 2025 sogar sehr viel unsicherer. Zur Erinnerung: Um ein Stromabkommen mit der EU abschliessen zu können, müsste die Schweiz zwei Bedingungen erfüllen, ein Rahmenabkommen, wie es der Bundesrat abgelehnt hat, und die vollständige Strommarktöffnung. Von beidem sind wir heute Galaxien entfernt.

«Stelle sicher, dass Du jederzeit eine Exit-Möglichkeit hast»
Da haben sich also eine ganze Menge Fragezeichen angesammelt. Wäre es da nicht wichtig, einmal über das dritte Prinzip von Colin Powell zu sprechen? Haben wir denn eine Exit-Strategie? Ich habe keine Anzeichen dafür gefunden.

Die Schweizer Strombranche hat zwar gute Verbesserungsvorschläge gemacht und auch warnend eingegriffen, wenn die verschiedenen politischen Lobbys in Bern anfingen, vom Weg abzukommen. Und sie versucht, mit Investitionen auch in neue Speichertechnologien Lücken zu füllen. Zudem rechnen die Energiewirtschafter und Risikospezialisten bei den Energiekonzernen verschiedene Szenarien hoch. Was passiert, wenn der Ausbau in den Alpen stockt? Wenn Wasserstoff langsamer kommt und teurer wird? Wenn Importe immer unsicherer werden?

Der Fokus der Energiekonzerne liegt dabei auf der Betriebswirtschaft. Denn stellt sich ein Unternehmen im heutigen Energiemarkt falsch auf, geht es schnell einmal um das eigene Überleben, wie wir spätestens seit der aktuellen Strompreiskrise wissen. Deshalb hat jedes gut geführte Unternehmen neben seiner verfolgten Strategie auch einen «Plan B».

Volkswirtschaftlich, im Sinne einer sicheren Landesversorgung und einer prosperierenden Schweizer Wirtschaft, braucht es den Plan B auch auf nationaler Ebene. Nicht als Konkurrenz zur Energiestrategie 2050. Sondern als Alternative, dann, wenn unsere immer noch sehr optimistischen Annahmen sich nicht realisieren lassen sollten. Dann wäre es nämlich zu spät, nochmals ans Zeichenbrett zurückzukehren.

Möglichkeiten für einen Plan B haben sich ergeben. Schneller als erwartet haben sich die kleinen, modularen Reaktoren (SMR) etabliert, nukleare Anlagen von der Stange bis zur Leistung eines Beznau-Blocks. Vor Ende des Jahrzehnts sollen sie in den USA und Kanada laufen, auch Estland ist gerade eingestiegen. Schaut sich das jemand an? Gibt es dazu einen Auftrag? Nur für den Fall, dass …? Rechnet jemand durch, welche Möglichkeiten eine nukleare Unterstützung der Erneuerbaren bieten würde? Oder rümpfen wir die Nase und überlassen das weiterhin pensionierten Ingenieuren und emeritierten Professoren?

Spreche ich mit Promotoren der Energiewende über einen Plan B, dann winken sie meist verärgert ab. «Sinnlos. Wir haben keine Zeit dafür, lass uns jetzt Plan A mit aller Energie umsetzen!» Da würde sich Colin Powell wohl im Grab umdrehen … Selbst wenn man klare Ziele habe und diese mit massivsten Mitteln umsetzen könne, so der ehemalige US-General über militärische Operationen, blieben die Unwägbarkeiten gross. «Dinge könnten geschehen, an die wir nie gedacht haben. Es ist kein Schachspiel mit begrenzten Möglichkeiten. Wir müssen auch auf das Undenkbare vorbereitet sein.» Deshalb sei es so zentral, immer eine Exit-Strategie, einen Plan B, bereit zu haben und umsetzen zu können. Ich hoffe also, dass es trotz Hindernissen und Widerständen gelingt, die Energiestrategie 2050 nach Plan umzusetzen. Und dass – falls doch nicht – dann jemand den Plan B aus der Tasche ziehen wird.

Rainer Meier

Verfasser/in

Rainer Meier, Senior Advisor für Reputation Management

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