Wenn Klimaziele und Kernkraft dieselbe Sprache sprechen

In London habe ich erlebt, dass über Kernenergie nicht nur kontrovers, sondern auch respektvoll, pragmatisch und mit einem klaren Blick in die Zukunft diskutiert wird. In der Schweiz dagegen blockieren alte Denkmuster und ideologische Gräben die Energiedebatte. Wir brauchen den Mut, Tabus zu hinterfragen und wieder ehrlich miteinander zu sprechen. Denn nur so können wir die Chancen einer sicheren, klimafreundlichen Energiezukunft nutzen.

6. Okt. 2025
Steingletscher
Ausblick auf den Steingletscher von der Tierberglihütte im Jahr 2023
Quelle: E.B.

Die WiN Global Conference 2025 in London hat mir die Augen geöffnet. Women in Nuclear (WiN) ist ein weltweites Netzwerk von Frauen in der Nuklearbranche, das sich für Austausch, Sichtbarkeit und die Förderung von Frauen einsetzt. Drei Tage lang diskutierten Ingenieurinnen, Forscherinnen, Unternehmerinnen und Politikerinnen aus aller Welt über Kernenergie. Nicht nur über Reaktoren, sondern auch über Mentoring, Gleichstellung, technische Innovationen und politische Akzeptanz. Besonders inspirierend waren die Beiträge von Grace Stanke, die als Miss America 2023 das gängige Bild der Kernenergie herausfordert: jung, weiblich, glamourös und zugleich Nuklearingenieurin, die ihre Reichweite nutzt, um für Klimaschutz und Technologieoffenheit einzutreten. Ebenso eindrücklich war die zweifache Olympiasiegerin Dame Kelly Holmes. Sie hat mit Kernenergie beruflich nichts zu tun, nahm sich aber die Zeit, die Frauen in unserer Branche zu motivieren. Mit ihrem offenen Bericht über Hindernisse und Chancen als queere Frau im Sport zeigte sie, dass Mut, Resilienz und Zusammenhalt über Branchen hinaus verbinden.

Zurück in die Schweiz wirkt das wie ein Kontrastprogramm. Hier ist die Debatte um Kernenergie stark von Ideologie bestimmt. Wer dafür ist, gilt schnell als rechts, wirtschaftsnah oder konservativ. Wer dagegen ist, darf sich fortschrittlich nennen, selbst wenn die Argumente längst in den 1990er-Jahren stehen geblieben sind. Dieses Schubladendenken verhindert zielführende Diskussionen. Im schlimmsten Fall führt es dazu, dass Menschen, die gleiche Werte teilen – Gleichstellung, Gerechtigkeit, Klimaschutz – sich gegenseitig ausschliessen, nur weil sie beim Thema Kernenergie anderer Meinung sind.

Dabei ist doch klar: Energiepolitik ist kein moralischer Wettbewerb. Es geht nicht darum, wer «richtiger» oder «reiner» denkt, sondern darum, wie wir die grossen Herausforderungen lösen. Die Schweiz muss ihre Stromversorgung sichern, will ihre Klimaziele erreichen und gleichzeitig eine bezahlbare, zuverlässige Energiezukunft gestalten. Ideologische Reflexe helfen dabei nicht. Sie führen zu Schnellschlüssen, die weder technologisch noch gesellschaftlich tragfähig sind.

Das Neubauverbot für Kernkraftwerke ist ein Paradebeispiel. Es ist nicht das Resultat einer nüchternen Analyse, sondern Ausdruck eines politischen Dogmas und historisch bedingten Ängsten. Die Folge: Ein zentrales Instrument für Versorgungssicherheit und Klimaschutz wird ausgeblendet, bevor überhaupt darüber diskutiert werden darf. Während andere Länder investieren, forschen und aufbauen, verharrt die Schweiz im Verbot. So berauben wir uns selbst der Möglichkeit, Chancen und Risiken fair gegeneinander abzuwägen.

Als Mitarbeiterin des Nuklearforums sehe ich täglich, wie stark die Debatte hierzulande von ideologischen Fronten geprägt ist. Selbst wenn man faktenbasiert argumentiert, wird man oft in ein bestimmtes Lager einsortiert und als Propagandasprachrohr abgetan. Doch es geht nicht darum, Kernenergie als perfekte Lösung darzustellen. Sie hat ihre Herausforderungen ebenso wie jede andere Energieform. Aber sie bietet eben auch entscheidende Vorteile: zuverlässige Grundlast, CO₂-arme Produktion und jahrzehntelange Erfahrung im sicheren Betrieb. Eine faktenbasierte Debatte würde anerkennen, dass weder Erneuerbare allein noch Kernenergie allein die Lösung sind. Es geht um ein Mit- und nicht um ein Gegeneinander. Das gilt auch für Teile der Nuklearbranche. Ein permanentes Bashing anderer Energieformen fördert nicht eine gewinnbringende Debatte.

Ob für oder gegen Kernenergie, wir müssen eine Haltung von Pragmatismus, Technologieoffenheit und Generationengerechtigkeit einnehmen, und zwar weit über die Fachwelt hinaus. Besonders in den Gesprächen mit Kolleginnen aus dem Ausland wurde deutlich, dass inzwischen in vielen Ländern darüber gesprochen wird, wie man Kernenergie in die Energiewende integriert. Wir hingegen debattieren noch, ob man überhaupt darüber sprechen darf. Dieser Kontrast macht deutlich, wie sehr die Schweizer Debatte den Anschluss verpasst hat und dabei ist, die Chance zu vertun, Teil einer globalen Innovationsbewegung zu sein. Statt Lösungen zu suchen, verheddern wir uns in ideologischen Gräben. Das spaltet Lager, die eigentlich gemeinsame Ziele verfolgen, und verhindert, dass wir voneinander lernen. Energiepolitik darf kein Glaubenskrieg sein. Sie ist Zukunftsgestaltung für unser Klima und kommende Generationen. Es braucht also Mut: Mut, alte Positionen zu hinterfragen. Mut, im eigenen Lager unbequeme Fragen zu stellen. Und Mut, mit Andersdenkenden ins Gespräch zu kommen. Denn die Schweiz verdient eine Energiezukunft, die nicht von Tabus bestimmt wird, sondern von Ehrlichkeit, Pragmatismus und gegenseitigem Respekt.

Verfasser/in

Elise Beauverd, Kommunikationsmanagerin beim Nuklearforum Schweiz

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