Amerikanisch-indisches Nuklearabkommen ausgehandelt

Das seit dem letzten Sommer vorbereitete Nuklearabkommen zwischen Indien und den USA hat eine weitere Hürde genommen: Beim Besuch des amerikanischen Präsidenten George W. Bush am 2. März 2006 beim indischen Premierminister Manmohan Singh in New Delhi einigten sich die beiden Länder auf die Einzelheiten eines umfassenden Nuklearabkommens.

7. März 2006

Dieser Vertrag bildet ein Schlüsselelement der neuen strategischen Partnerschaft zwischen Indien und den USA, unterliegt indessen noch der Ratifikation durch die Parlamente. Die praktische Umsetzung hängt zudem von der ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung der in der so genannten Nuclear Suppliers Group (NSG) zusammengeschlossenen 45 Länder ab.

Nicht nur die USA

Das Abkommen ist Ausdruck der Realpolitik, die sich als Kunst versteht, das Mögliche zu verwirklichen. Es soll der Liefersperre für nukleare Güter ein Ende setzen, welche die USA 1974 über Indien verhängten und die seit den indischen Kernwaffenversuchen von 1998 international gilt. Nach Russland, das Indien bisher schon mit Kernbrennstoff für Tarapur und nuklearen Dampferzeugersystemen für Kudankulam versorgte, meldete Präsident Jacques Chirac bei einem Indienbesuch im Februar 2006 das Interesse Frankreichs an, künftig ebenfalls Kernbrennstoffe und Reaktoren zu liefern. Verhandlungen über ein Abkommen analog zu jenem zwischen den USA und Indien haben inzwischen begonnen. Neben Anreicherungsdienstleistungen und der Lieferung von Kernbrennstoffen sowie nuklearen Dampferzeugersystemen durch Areva wollen die beiden Länder auch bei der Entwicklung nuklearer Verfahren in Forschung, Landwirtschaft und Industrie enger zusammenarbeiten.
Keinen Anlass, die nukleare Exportpolitik gegenüber Indien zu ändern, sieht hingegen Australien. Gemäss Aussenminister Alexander Downer wird Australien seine Politik, Uran nur an Länder zu liefern, die dem Nonproliferationsabkommen und dem Zusatzprotokoll beigetreten sind, bis auf weiteres fortführen, obschon das neue Abkommen zwischen Indien und den USA eine gute Sache sei.

Die Hauptpunkte des Abkommens

Gemäss dem Abkommen wird Indien die zivilen und die militärischen Aktivitäten auf dem Nukleargebiet bis 2014 entflechten. Die zivilen Tätigkeiten wird das Land grundsätzlich der Überwachung durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) im Rahmen eines Sonderabkommens unterstellen, das den Nonproliferationsvertrag wie auch das Zusatzprotokoll erfüllt. Das Sonderabkommen wird für alle neuen zivilen Kernanlagen gelten. Hingegen wird die indische Regierung von Fall zu Fall entscheiden, welche der heute in Bau und Betrieb stehenden Kernanlagen sie für Kontrollen öffnen wird. Namentlich wird sie nur einen Teil der 15 in Betrieb und acht in Bau stehenden Kernkraftwerke durch die IAEO überwachen lassen. Dazu gehören die bereits heute von der IAEO kontrollierten Einheiten Tarapur-1 und -2 (beide 150 MW, BWR, seit 1969 in Betrieb) sowie Kudankulam-1 und -2 (beide 917 MW, WWER, im Bau) sowie zehn weitere noch zu bestimmende Einheiten.
Die übrigen Kernkraftwerke wird Indien den lAEO-lnspektoren nicht zugänglich machen, darunter ausdrücklich der Schnelle Brutreaktor PFBR (470 MW, im Bau) in Kalpakkam, der im Forschungszentrum am selben Ort in Betrieb stehende Fast Breeder Test Reactor sowie Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungsanlagen. Der Forschungsreaktor Cirus im Forschungszentrum Bhabha wird bis 2010 stillgelegt und der mit französischem Brennstoff beschickte Forschungsreaktor Apsara von Bhabha an einen neuen Standort verlegt, wo ihn die IAEO kontrollieren kann. Auch wird Indien die eigene Überwachung von Kernanlagen verstärken sowie gemäss einem kürzlich verabschiedeten Gesetz eine umfassende Exportkontrolle für sensitive Güter und Dienstleistungen einführen, die besonders die Anreicherung und Wiederaufarbeitung abdeckt.
Im Gegenzug werden die USA Indien bei der Aushandlung eines erweiterten Kontrollabkommens mit der IAEO unterstützen. Sie sichern eine zuverlässige Versorgung mit Kernbrennstoff für die der Kontrolle unterstehenden Kernkraftwerke zu und werden sich in der NSG dafür einsetzen, dass Indien wieder vollen Zugang zu den internationalen Märkten für nukleare Güter erhält. Die Bedingungen für die Versorgung durch amerikanische Lieferanten wollen die USA in einem bilateralen Zusatzabkommen festhalten. Schliesslich wird es Indien künftig gestattet sein, einen strategischen Vorrat an Kernbrennstoffen anzulegen.

Gemischte Reaktionen

Klar begrüsst hat das Abkommen die IAEO. Generaldirektor Mohammed EIBaradei sagte, es ebne Indien den Weg, den wachsenden Energiebedarf zu decken und eine zuverlässige Versorgung mit Kernbrennstoffen unter internationaler Überwachung zu sichern. Gleichzeitig bringe es das Land als wichtigen Partner näher an das internationale Nonproliferationsregime heran.
Kritiker - besonders in den USA - kommen zum gegenteiligen Schluss: Das Abkommen weiche das Nonproliferationsregime auf. Es decke nur einen Teil des indischen Nuklearprogramms ab und schaffe einen gefährlichen Präzedenzfall für Länder wie Pakistan oder Israel, die wie Indien dem Abkommen nie beigetreten seien, oder Iran und Nordkorea, da es Indien de facto als Kernwaffenstaat anerkenne.

Der Standpunkt des Weissen Hauses

Dem hält das Weisse Haus entgegen, das Abkommen erweitere die Nonproliferationskontrolle wirksam, ohne eine neue Nuklearmacht anzuerkennen. Indien werde künftig sein ziviles Nuklearprogramm klar vom militärischen trennen und eine bedeutende Zahl Kernanlagen der internationalen Überwachung unterstellen. Das Land sei in jeder Hinsicht ein Sonderfall. Im Gegensatz zum Iran und Nordkorea sei Indien dem Nonproliferationsabkommen nie beigetreten, um es dann zu umgehen, und habe die bestehenden Kontrollabkommen stets eingehalten. Das Land habe sich als neutrale Demokratie selber zu einem Teststopp sowie zur Einführung strenger Exportkontrollen verpflichtet.
Was Pakistan und Israel betreffe, verfolgten die USA eine andere Politik. Einerseits hätten diese Länder nicht das gleiche Verhalten in Nonproliferationsfragen an den Tag gelegt wie Indien, andererseits hätten sie andere Bedürfnisse bei der Energieversorgung. Zudem seien sie als direkte Verbündete der USA auf andere Weise in den Kampf gegen den internationalen Terrorismus eingebunden.

Quelle

P.B. nach IAEO, Pressemitteilung, 2. März; NucNet, 21. und 28. Februar sowie 2. März; The Prime Minister of India's Office, Pressemitteilungen, 2. und 7. März; The White House, Pressemitteilungen, 2. und 8. März 2006

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