Atome für den Frieden - Präsident Eisenhowers Vision

Dr. Bruno Pellaud, Präsident der SVA, von 1993 bis 1999 stellvertretender Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation

23. Dez. 2003

Beim Anflug auf New York am 8. Dezember 1953 hiess Präsident Eisenhower den Piloten vor der Landung auf dem Flughafen La Guardia noch einen Augenblick Long Island überfliegen. Dies erlaubte es ihm, einige zusätzliche Korrekturen an der Rede vorzunehmen, die er vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen halten würde. Den Text hatte er mit seinen Mitarbeitern sorgfältig vorbereitet, doch schien er noch etwas zu hochgestochen: Auf der ersten Seite ersetzte er die Wörter "In der Position, die ich einnehme..." durch "In der Funktion, die ich ausübe...". Der Präsident wollte nicht beeindrucken. Er wollte überzeugen.
Die Rede mit dem Titel "Atome für den Frieden" eröffnete in der friedlichen Nutzung der Kernenergie und der Nichtverbreitung von Kernwaffen ein neues Zeitalter. Die UNO-Delegierten nahmen sie mit Begeisterung auf. Selbst der sowjetische Botschafter applaudierte. Nach den Amerikanern 1945 war den Sowjets 1949 die erste Atombombenexplosion gelungen. Aber die Beschleunigung der Militärprogramme anfangs der 50er-Jahre führte zu einer völlig anderen strategischen Lage. Nur neun Monate nach den Vereinigten Staaten war die Sowjetunion im August 1953 bereits so weit, ihre erste Wasserstoffbombe zur Explosion zu bringen. Die amerikanische Vorherrschaft war in Frage gestellt. Um die amerikanische Öffentlichkeit auf Verhandlungen mit den Sowjets vorzubereiten, entschied Eisenhower, daraus ein grosses Ereignis zu machen und die Einbildungskraft vor dem Schreckensbild der Wasserstoffbombe zu schärfen. Aber der Präsident wollte nicht nur Ängste wecken. Er wollte auch Friedensperspektiven aufzeigen. Er selber hatte die zündende Ideefür das, was aus seiner Rede "Atome für den Frieden" hervorging: die Hinterlegung von Kernmaterialien durch die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion bei den Vereinten Nationen, um die friedliche Verwendung zu fördern. Das schrittweise Übertragen von Materialien an diese "Nuklearbank" sollte unvermeidlich zur nuklearen Abrüstung hinführen. Im Herbst 1953 kam Eisenhower nach und nach zur Überzeugung, dass seine Botschaft an das amerikanische Volk eine internationale Dimension anzunehmen hatte und das schreckliche Risiko eines Atomkriegs in den Vordergrund zu stellen war. Aber er wollte auch auf die Vorteile einer internationalen Lösung und den Nutzen einer friedlichen Verwendung dieser neuen Energieform aufmerksam machen.
Vor den Vereinten Nationen zeichnete der Präsident zuerst das düstere Bild eines Atomkriegs und einer in der Bedrohung durch die Ost-West-Konfrontation aufgeriebenen Welt. Er schlug die Schaffung einer "Internationalen Atomenergie-Organisation" vor. Sie sollte die Kernmaterialien in Obhut nehmen und die Entwicklung der Kerntechnik in der Medizin, der Landwirtschaft sowie der Stromversorgung fördern. Eisenhower fasste seine Gedanken im Satz zusammen: Die menschliche Kreativität hat dem Leben und nicht dem Tode zu dienen. Pragmatisch wusste auch der Präsident, dass der Vorsprung Amerikas in der militärischen wie auch der friedlichen Verwendung der Kernenergie nicht andauern konnte. Die Sowjetunion, Grossbritannien, Frankreich arbeiteten unermüdlich daran. Umso mehr war die Federführung bei der Schaffung und Beeinflussung einer neuen internationalen Ordnung zu übernehmen, dies um sowohl die Kernwaffenverbreitung zu begrenzen wie auch das Gebiet der friedlichen und kommerziellen Verwendung - besonders den potenziellen Markt für Kernkraftwerke - zu besetzen. Fazit: Mit seiner Rede legitimierte Präsident Eisenhower 1953 die friedlichen Anwendungen, versuchte, die anderen einzugrenzen und verlieh seinem Land zusätzlich eine einzigartige diplomatische Stellung.
Mit der ersten Atomkonferenz der Vereinten Nationen im August 1955 in Genf begann das Programm "Atome für den Frieden" konkrete Formen anzunehmen. Dank der gemeinsamen Anstrengungen von Ike Eisenhower und Dag Hammarskjöld akzeptierten die Wissenschaftler der amerikanischen, russischen und europäischen Laboratorien widerwillig, das Schweigen zu brechen und ihr Wissen in Genf vorzustellen. Im Endeffekt war die wissenschaftliche Ernte auf den verschiedensten Gebieten ausserordentlich. Neugierige, Schüler sowie Studenten aus der Schweiz und von anderswo mischten sich unter die offiziellen Teilnehmer, um den Vorträgen zuzuhören und vor allem in der Ausstellungshalle wissenschaftliche Experimente mit einem echten Reaktor sowie kosmischen und künstlichen Strahlen aus der Nähe zu beobachten.
Zur Gründung der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) kam es 1957 in Wien. Mit Meisterhand gestaltete sie ein brillanter stellvertretender Generaldirektor, der junge Schweizer Diplomat Paul Jolies, später Staatssekretär in Bern und Präsident von Nestlé. Trotz Präsident Eisenhowers Vision einigten sich die Mitgliedstaaten nie auf die Schaffung einer von der IAEO verwalteten Kernmaterialbank. Erst 1970 gab der neue Atomwaffensperrvertrag der Organisation eine wirklich politische Aufgabe: Die weltweite Verifikation, dass die Unterzeichnerstaaten entsprechend den eingegangenen Verpflichtungen mit ihren Tätigkeiten nur friedliche Ziele verfolgen.
Was bleibt von der Vision Präsident Eisenhowers in der Rede vom 8. Dezember 1953 übrig? Die Bilanz ist im Grossen und Ganzen auf beiden Seiten der Medaille - der zivilen wie der militärischen Nutzung der Kernenergie - positiv. Die zivile Nutzung nahm einen bemerkenswerten Aufschwung sowohl auf dem Energiegebiet (mit über 100 Kernkraftwerksblöcken allein in den USA) wie auch auf anderen Gebieten, so der Medizin und Industrie, wobei den letzteren in den USA ein höherer wirtschaftlicher Umsatz zukommt als allen Kernkraftwerken. Nach Jahren der Stagnation zeigt der zivile Nuklearsektor Zeichen eines Wiederaufschwungs in Europa, Asien und den Vereinigten Staaten. Im Bereich der Weiterverbreitung spitzte sich die Lage nach Eisenhower zunächst zu, denn die Anzahl Kernwaffenstaaten stieg von zwei auf acht. Aber im Widerspruch zu den Voraussagen Präsident Kennedys von 1963 stieg diese Zahl bis Ende des letzten Jahrhunderts nicht auf an die 20. Länder wie Argentinien, Brasilien, Südafrika und die Ukraine zogen sich unter internationalem Druck zurück. Mit dem Zugang zum Zusatzprotokoll haben sich jetzt der Iran und Libyen strengeren internationalen Kontrolen unterstellt. Nordkorea könnte bald folgen.
Um die Eisenhower-Initiative 50 Jahre später im Einzelnen zu diskutieren, veranstaltete das grosse -zivile und militärische - Kernforschungszentrum Livermore (Lawrence Livermore National Laboratory) in Kaliforniern auf Wunsch der amerikanischen Regierung eine Reihe von Seminarien, die zu einem Gesamtbericht, sowie Mitte November 2003 zu einem Abschlusssymposium mit amerikanischen wie internationalen Vertretern verschiedener Ausrichtung führten.
Das Livermore-Symposium zog eine erste Schlussfolgerung bezüglich der nuklearen und konventionellen Stärke der USA: Diese müsse auf einem besseren Verständnis von dem, was "beteuert, vereitelt, abschreckt, schützt und besiegt", ausgehen, um "die Sicherheit der Freunde und Verbündeten zu verbessern sowie bei den möglichen Gegnern zu einem Abbau der Feindseligkeit zu führen". Mit anderen Worten: es genüge nicht, die Welt zu beherrschen und die Kernwaffenverbreitung durch Verbote zu verhüten, sondern es seien auch günstige internationale Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die nukleare Versuchung aufhöre. Der Atomwaffensperrvertrag und die Überwachung durch die IAEO sollten die ersten Mittel zur Verhütung der Proliferation bleiben. Doch diese Mechanismen wären zu verstärken, indem einerseits das neue "Zusatzprotokoll" verallgemeinert werde und andererseits klare Regeln auf der oberen Entscheidungsebene - dem Sicherheitsrat - geschaffen würden, damit dieser bei einer Verletzung ohne Verzug handle (über Nordkorea ist noch kein Entscheid gefallen, obschon die internationalen Überwacher ausgewiesen wurden).
Der Bericht und das Symposium "Atome für den Frieden -50 Jahre danach" sehen eine verstärkte Rolle der Kernenergie vor, vorausgesetzt, sie sei wirtschaftlich (das neue finnische Kernkraftwerk wird keine Subventionen erhalten), sie werde wirklich akzeptiert (der günstige Entscheid des Schweizer Volks vom letzten Mai ist ein gutes Vorzeichen), die radioaktiven Abfälle würden im geologischen Untergrund beseitigt (Schweden und Finnland habenden Weg geöffnet) und die Vorteile der Kernenergie für die Umwelt (das Fehlen von Kohlendioxidemissionen) würden besser in eine wohl verstandene Energiepolitik eingebunden. Alle diese Schlussfolgerungen entsprechen dem Geist von Präsident Eisenhowers Rede vor 50 Jahren.
Am Schluss des Symposium verpasste es ein Teilnehmer nicht, die taktlose Frage zu stellen: "Wie hätte Präsident Eisenhower die politische Lage nach dem 11. September gehandhabt?" Die teilnehmenden Historiker legten Nachdruck darauf, wie wichtig dem Präsidenten die Beratung mit seinen Alliierten und die Mitwirkung der Vereinten Nationen gewesen waren. Trotz seiner militärischen Ausbildung hatte Eisenhower erfasst, wie wichtig es war, den anderen intensiv zuzuhören, und er behandelte die Vereinten Nationen, die er für ein zentrales Instrument der amerikanischen Politik hielt, mit grossem Respekt. Die Grosse der politischen Vision Eisenhowers zu erklären, hiess, die Frage zu beantworten... Und die anwesende Grosstochter und Politologin Susan Eisenhower ergänzte mit dem scharfen Kommentar: "Für viele im heutigen Washington besteht die einzige Vision darin, eine Aussenpolitik ohne die Ausländer zu führen!" Als Truman, Eisenhower und Kennedy den kalten Krieg gegen den Kommunismus führten, achteten sie stets darauf, Europa und der Welt Begleitprogramme anzubieten, die Hoffnung, Beistand und wirtschaftliche Entwicklung verhiessen. Diese Anliegen standen ganz im Zentrum der "Atomrede" Präsident Eisenhowers am 8. November 1953 vor den Vereinten Nationen.

Genf 1955

Die erste Atomkonferenz der Vereinten Nationen zog rund 4000 Delegierte und 1000 Journalisten an. Einige - darunter Präsident Eisenhower - hatten eine Brücke mit dem Vierergipfeltreffen (Eisenhower, Bulganin, Faure und Eden) geschlagen, das soeben in der Rhonestadt stattgefunden hatte. Eine grosse technische Ausstellung begleitete die Konferenz. Namentlich gab es am Standort der Vereinten Nationen einen wirklichen Reaktor. Er stand wie die ganze Konferenz dem Publikum offen. Tausende von Menschen beugten sich über den blau schimmernden Kern des Reaktors, den die Eidgenossenschaft in der Folge für die Kleinigkeit von USD 180'000 erwarb. Nach Jahren der Geheimhaltung wurde das nukleare Wissen öffentlich, was der Forschung und Entwicklung einen enthusiastischen Auftrieb gab. In der Schweiz wurde der Genfer Reaktor im Kanton Aargau unter dem Namen Saphir zum Rückgrat der Forschung. Einige Jahre später - zu Beginn der 60er-Jahre - wurden mit Beznau und Mühleberg die ersten Kernkraftwerke bestellt. In Genf fanden drei weitere Atomkonferenzen statt, 1958, 1964 und 1971. Nachher verliessen die Konferenzen des Nuklearsektors die Stadt, eine Stadt, die sich als "international" versteht, aber keine Veranstaltungen mehr zu empfangen wünschte, die den lokalen Behörden nicht gefielen...

Ike Eisenhower: General und Präsident

Als Kommandant der alliierten Truppen in Europa war er über den wahrscheinlichen Erfolg des amerikanischen Atomprogramms (Manhattan Project) bereits im Sommer 1944 informiert. Er war sich auch einer möglichen Gefahr bewusst: Würde der grosse Physiker Werner Heisenberg dem deutschen Atomprogramm einen entscheidenden Vorsprung verschafften? Heisenberg hatte bei der Begegnung mit seinem grossen Lehrer Niels Bohr im September 1941 nichts von seinen Arbeiten verraten. (Mit dem Theaterstück "Kopenhagen" versuchte Michael Frayn, Licht in diese Begegnung zu bringen.) Am 18. Dezember 1944 hielt Heisenberg nämlich auf Einladung von Professor Paul Scherrer am Physikalischen Institut der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich einen Vortrag über theoretische Physik. Unter den Zuhörern befanden sich zwei (ausser für Scherrer) anonyme amerikanische "Beobachter". Auch hier verriet Heisenberg nichts. Es fielen nicht einmal Brosamen aus seinem embryonalen Programm ab, ein Programm das ohne Folgen blieb. Er hätte Deutschland sicherlich nicht für eine ganze Woche verlassen dürfen, wäre das Programm anders als wenig bedeutend gewesen.
General Eisenhower hatte als Chef und Diplomat grosses Talent bewiesen und führte die Alliierten zum Sieg - mit so schwierigen Persönlichkeiten wie Churchill und de Gaulle. Im gleichen Geist der Toleranz und Offenheit führte er die ersten Verhandlungen mit Nikita Chruschtschow, indem er diesen im Weissen Haus empfing. Verhandeln hiess für ihn, die Entschlossenheit und militärische Kraft der USA zu unterstreichen und zugleich Türen für die Kommunikation zu öffnen. Und vor allem wusste er stets, zwischen seiner Person, seiner Politik und der amerikanischen Technologiemacht Abstand zu bewahren. Als er 1961 seine Funktion abgab, prangerte er den "militärisch-industriellen Komplex" in warnenden Worten an: "Bei der Regierungsberatungen müssen wir uns vor dem unberechtigten und - gewollt oder ungewollt - wachsenden Einfluss des militärischindustriellen Komplexes hüten. Das Potenzial für eine verheerende Verstärkung dieser ungehörigen Macht gibt es und wird es immer geben."

Quelle

Bruno Pellaud, Nachdruck und Übersetzung des Artikels aus dem Le Temps, 24. Dezember 2003

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