Bayern will Rechtsmittel gegen deutsche Ausstiegspläne ergreifen

Bayern will alle politischen und rechtlichen Möglichkeiten gegen die von der deutschen Regierung geplante Abschaltung der Kernkraftwerke ausschöpfen.

7. Feb. 2000

Das Kabinett hat am 8. Februar 2000 beschlossen, gegen Entscheidungen der Bundesregierung zum Ausstieg aus der Kernenergie die EU-Kommission wegen möglicher Verletzung des EU-Rechts einzuschalten. Ministerpräsident Edmund Stoiber: "Ich habe deshalb den Präsidenten der Europäischen Kommission in einem Brief gebeten, Entscheidungen der Bundesregierung zum Ausstieg aus der Kernenergie im Hinblick auf mögliche Verstösse gegen das EU-Recht zu prüfen."
Die EU hat sich im Rahmen des Protokolls von Kyoto im Dezember 1997 verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen im Zeitraum von 2008 bis 2012 um 8% unter den Stand von 1990 zu senken. Am 17. Juni 1998 hat der EU-Umweltministerrat den endgültigen Verteilerschlüssel für die Reduzierung von Treibhausgasemissionen zwischen den EU-Ländern festgelegt. Deutschland hat sich - so der bayerische Umweltminister Werner Schnappauf - zu einer Reduktion seiner CO2-Emissionen um 21% verpflichtet: "Ein Abschalten der Kernkraftwerke stellt die innerhalb der EU bestehende verbindliche Lastenverteilung bei der Reduzierung der Treibhausgase in Frage."
Nach dem Bayerischen Wirtschaftsminister Otto Wiesheu steht die Ausstiegspolitik der Bundesregierung auch im Widerspruch zu den europarechtlichen Verpflichtungen aus dem Euratomvertrag. Hauptzweck des für die EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Vertrags ist die Entwicklung und Förderung der Kernenergie. Nach Art. 1 des Euratomvertrags ist es Aufgabe der EU-Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen für die Entwicklung der Kernenergie zu schaffen, und nach Art. 2 müssen Investitionen erleichtert und die Schaffung der Anlagen, die für die Entwicklung der Kernenergie in der Gemeinschaft notwendig sind, sichergestellt werden. Nach Art. 192 müssen die Mitgliedstaaten alle Massnahmen unterlassen, welche die Verwirklichung der Vertragsziele gefährden können. Das Abschalten der Kernkraftwerke könne europarechtlich nicht nur ein Verstoss gegen den Euratomvertrag, sondern auch gegen den EG-Vertrag sein. In dem von der Bundesregierung geplanten Wiederaufarbeitungsverbot, das auch in Verträge deutscher Betreiber mit britischen oder französischen Wiederaufarbeitungsunternehmen eingreife, könne ein Verstoss gegen die Freiheit des Warenverkehrs nach Art. 93 Euratomvertrag und Art. 28 EG-Vertrag und gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EG-Vertrag liegen.
Bayern und die anderen unionsgeführten Länder werden - so der Ministerpräsident Stoiber - einem Kernenergieausstiegsgesetz auch im Bundesrat nicht zustimmen. Da ein rot-grünes Abschaltgesetz nicht nur entscheidende Folgen für die Energiebranche, sondern massive negative Auswirkungen für die gesamte ökonomische und ökologische Entwicklung des Landes hat, behalte sich Bayern vor, gegen ein Ausstiegsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu klagen.
Ein Ausstieg aus der Kernenergie hätte - so Umweltminister Schnappauf - verheerende Folgen für Umwelt und Klima. In Deutschland würden bei einem Ersatz durch Kohlekraftwerke jährlich zusätzlich 100'000 t Schwefeldioxid, 120'000 t Stickoxide, 6000 t Staub sowie 160 Mio. t Kohlendioxid emittiert. Das entspricht nahezu dem gesamten CO2-Ausstoss des Strassenverkehrs mit 181 Mio. t. Derzeit werden in Deutschland 160 Mrd. kWh Kernenergie-Strom pro Jahr erzeugt. Wirtschaftsminister Wiesheu: "Ein Ersatz dieses Stroms durch Einsparung und erneuerbare Energien ist völlig utopisch. Um die Grössenordnungen klar zu machen: Wasserkraft liefert derzeit rund 16 Mrd. kWh, die Windkraft rund 3 Mrd. kWh und die Photovoltaik 0,01 Mrd. kWh. Um auch nur ein einziges Kernkraftwerk durch Photovoltaik zu ersetzen, sind Investitionen von DM 180 Mrd. erforderlich. Notwendig ist eine Fläche von 150 km2, das ist fast das Zweifache des Chiemsees."
Die Lücke in der deutschen Stromversorgung, die durch das Abschalten der Kernkraftwerke gerissen würde, könne realistischerweise nur durch den Ausbau fossiler Kraftwerke oder durch Stromimporte aus dem Ausland geschlossen werden. Durch den Einstieg der Electricité de France bei der Energie Baden-Württemberg würde der deutsche Markt nach Ansicht von Experten bei Abschalten der Kernkraftwerke mit billigem Atomstrom aus Frankreich überschwemmt werden. Die Bundesregierung müsse dem auch mit einem Ausstiegsgesetz tatenlos zusehen.

Quelle

M.S. nach Pressemitteilung der Bayerischen Staatskanzlei, 8. Februar 2000

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