Bemannte Missionen zu fernen Planeten setzen auf Nukleartechnik
Experten haben an einem Webinar der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) einen Überblick über Nukleartechniken gegeben, die bei zukünftigen Weltraummissionen eingesetzt werden können und ihre Forschungsprojekte vorgestellt. Um zu Planeten wie dem Mars zu gelangen sind Nuklearantriebe unabdingbar, da sie im Vergleich zu chemischen Raketenantrieben höhere Nutzlasten erlauben und kürzere Reisezeiten ermöglichen. Zudem möchten die Forschenden auch Raumschiffe und Basen auf dem Mond und Mars mit Kernspaltungs- und Fusionsreaktoren versorgen.
Experten aus Raumfahrt und Nukleartechnik sind sich einig: «Die Menschheit steht vor einem neuen Zeitalter der Raumfahrt zum Mars, in unser Sonnensystem und darüber hinaus.» Nukleartechnik spiele auch in Zukunft eine wichtige Rolle bei Weltraummissionen und sei aussichtsreich, um interplanetare Missionen schneller, effizienter und wirtschaftlicher zu machen. So lautete die Schlussfolgerung zum IAEO-Webinar «Atoms for Space: Nuclear Systems for Space Exploration» bei denen Forscher einen Einblick in laufende Projekte zum Einsatz von Nukleartechnik für Weltraummissionen gegeben haben.
«Die Kerntechnik spielt seit Langem eine wichtige Rolle bei bedeutenden Weltraummissionen», sagte Michail Tschudakow, stellvertretender Generaldirektor der IAEO und Leiter der Abteilung für Kernenergie. «Künftige Missionen könnten jedoch auf nuklearbetriebene Systeme für ein viel breiteres Spektrum von Anwendungen zurückgreifen. Unser Weg zu den Sternen führt über das Atom». Damit die Projekte umgesetzt werden können, braucht es noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit zur Kernspaltung und -fusion. Beide Technologien lassen sich für Raketenantriebe und zur Energieversorgung von Raumschiffen einsetzen, ermöglichen aber auch als zuverlässige Energiequelle die Versorgung von bemannten Basen und Rovern auf anderen Planeten. Die IAEO beleuchtet die drei Einsatzgebiete in einer News zum Webinar.
Antrieb von Raumschiffen
«Künftige bemannte interplanetare Missionen werden mit ziemlicher Sicherheit Antriebssysteme erfordern, deren Leistungsniveau das der besten chemischen Triebwerke von heute bei Weitem übersteigt», sagte William Emrich, ehemaliger leitender Projektingenieur bei der Nasa. Laut Emrich ist das nuklearthermische Antriebssystem (Nuclear Thermal Propulsion, NTP) ein solider Kandidat für die Raumfahrt: Ein Kernreaktor erhitzt einen flüssigen Treibstoff wie Wasserstoff, damit dieser verdampft und das Gas unter Druck über eine Düse ausgestossen wird. Dies erzeugt Schub, mit dem das Raumschiff angetrieben wird.
Fahrzeuge mit einem NTP müssten weniger Treibstoff für den Flug in den Weltraum befördern und würden höhere Reisegeschwindigkeiten ermöglichen. «Im Vergleich zu herkömmlichen chemischen Raketen könnte die Reisezeit zum Mars dadurch um bis zu 25% verkürzt werden», schreibt die IAEO. Somit wären Astronauten auch weniger lang der kosmischen Strahlung ausgesetzt.
Beim nuklearelektrischen Antrieb (Nuclear Electric Propulsion, NEP) stammt der Schub von einem Ionenantrieb. Dieser wird von einem Kernreaktor mit elektrischer Energie versorgt. Im Gegensatz zu einem NTP müsse aber bei einem NEP kein Flüssigtreibstoff an Bord mitgeführt werden. Beim NEP sei der Schub verglichen mit einem chemischen Antrieb zwar geringer, dafür aber kontinuierlich, und die Treibstoffeffizienz sei weitaus grösser. «Dies führt zu einer höheren Geschwindigkeit und einer potenziell um über 60% kürzeren Transitzeit zum Mars im Vergleich zu herkömmlichen chemischen Raketen», so die IAEO.
Stephanie Thomas, Vizepräsidentin von Princeton Satellite Systems, stellte auf dem Webinar ihr vielversprechendes Reaktorkonzept Princeton Field Reversed Configuration (Präsentation aus 2019) für Fusionsraketen vor. Bei diesem Direct Fusion Drive (DVD) wird der Schub für das Raumfahrzeug direkt aus der Fusionsreaktion erzeugt. Zudem lassen sich mit dem Reaktor Bordsysteme von Raumschiffen oder eine Mondbasis mit Strom versorgen (YouTube-Video). Thomas hob hervor, dass der Reaktor klein ist und ein paar Kilo Treibstoff ausreichen würden, um ein Raumschiff zehn Jahre lang zu betreiben.
Energieversorgungssysteme auf Planeten
Laut IAEO wären Kernreaktoren auch eine zuverlässige Energiequelle für Astronauten bei längeren Erkundungsmissionen und für eine mögliche dauerhafte menschliche Präsenz auf anderen Planeten. Mikroreaktoren würden jahrzehntelang Energie liefern, ohne dass Brennstoff ausgewechselt werden müsse. Die elektrische Leistung liege dabei im Bereich von einigen zehn Kilowatt. Derzeit liege der Schwerpunkt auf der Verwendung von Brennstoffen aus schwach angereichertem Uran (LEU) oder aus hoch angereichertem Uran (HEU).
«Die Nasa konzentriert sich weiterhin vorrangig auf die Entwicklung, den Bau und die Demonstration eines Kernreaktors mit schwach angereichertem Uran, der breite Anwendungsmöglichkeiten für Missionen auf der Mondoberfläche oder mögliche bemannte Marsmissionen bietet», sagte Anthony Calomino, Space Nuclear Technology Portfolio Manager bei der Nasa.
Energie für Bordsysteme von Raumschiffen
Neben der Schubkraft benötigen Raumschiffe elektrische Energie, um Lebenserhaltungssysteme, Kommunikationssysteme und andere Geräte zu betreiben. Radionuklidbatterien – fachsprachlich Radioisotope Thermoelectric Generators (RTGs) genannt – haben die Voyager-Raumsonde mehrere Jahrzehnte lang fernab der Sonne mit Strom versorgt. Gemäss Experten könnten solche Batterien auch die Bordsysteme künftiger Raumschiffe unter den rauen Bedingungen des Weltalls mit den kalten Temperaturen langfristig mit Wärme und Strom versorgen, und zwar ohne jegliche Wartung.
Quelle
B.G. nach IAEO, Medienmitteilung, 18. Februar 2022 und Webinar-Einladung
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