Bonn dämpft Hau-Ruck-Ausstiegspläne

"Die Abgabe bestrahlter Kernbrennstoffe an Dritte zum Zwecke der Aufarbeitung ist ab dem 1.1.2000 unzulässig." Dieser Satz steht im Entwurf des neuen deutschen Atomgesetzes, auf den sich der Koalitionsausschuss der Regierung am 13. Januar 1999 einigte. Der geplante Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung innert Jahresfrist löste heftige Proteste in Deutschland wie im Ausland aus, und die für den 26. Januar geplante erste Runde der sogenannten Konsensgespräche zwischen der Regierung und der Energiewirtschaft drohte zu platzen.

25. Jan. 1999

Am 25. Januar trafen sich der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder und Repräsentanten der Kernenergie zu einer kurzfristig anberaumten Krisensitzung. Im Anschluss daran wurde bekannt, dass die Regierung darauf verzichte, den Atomgesetzentwurf noch in der gleichen Woche in den Bundestag einzubringen. Und nach dem ersten Konsensgespräch tags darauf erklärte Schröder, das Ende der Wiederaufarbeitung könne entschädigungsfrei nur realisiert werden, "wenn bis zum Inkrafttreten des Verbots eine Zwischenlagerung an den Kraftwerken für die Dauer der auszuhandelnden Restlaufzeiten, also anlagenbezogen, als Entsorgungsmöglichkeit technisch realisiert … ist". Mit anderen Worten: am Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung wird zwar festgehalten, einen festen Zeitplan dafür gibt es aber nicht.
Einmal mehr hat sich die Atompolitik als Stolperstein für die rot-grüne Regierung in Bonn entpuppt. Schröder musste eingestehen, dass die Umsetzung der Atomgesetznovelle in ihrer jetzigen Form technisch nicht machbar wäre. Die deutschen Kernkraftwerke verfügen heute nur über beschränkte Zwischenlagerkapazitäten und sind darauf angewiesen, abgebrannte Brennelemente im Rahmen der bestehenden Verträge in die Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague und Sellafield abzutransportieren. Deren Betreiber, die französische Cogema und die britische BNFL, pochen mit Unterstützung ihrer Regierungen auf die Erfüllung der Verträge oder auf Kompensationen in Milliardenhöhe. Die Behauptung des deutschen Bundesumweltministers Jürgen Trittin, im Falle einer Gesetzesänderung könnten "höhere Gewalt" geltend gemacht und die Abkommen entschädigungsfrei gekündigt werden, wurde vom französischen Premier Lionel Jospin mit deutlichen Worten zurückgewiesen. Ein abruptes Ende der Wiederaufarbeitung hätte zudem zur Folge, dass der in Sellafield und La Hague zwischengelagerte bestrahlte Kernbrennstoff und die radioaktiven Abfälle in kurzer Frist nach Deutschland zurückbefördert würden. Dies hätte eine massive Zunahme der Transporte zur Folge, die notabene von Rot-Grün bisher aufs Schärfste kritisiert wurden.
Die nächste Runde der Konsensgespräche, bei der über die Restlaufzeiten der Kernkraftwerke diskutiert werden soll, ist für März geplant. Derzeit prüft das Justizministerium die Atomgesetznovelle auf Verträglichkeit mit deutschem und EU-Recht und hat Trittin bereits mit einem umfangreichen Fragenkatalog zu den "problematischen Bereichen" des Gesetzesentwurfs konfrontiert. Der Versuch, die Wiederaufarbeitung ungeachtet internationaler Verpflichtungen und technischer Machbarkeit abzuwürgen, hat jedenfalls dem Vertrauen in die Verlässlichkeit deutscher Politik geschadet. Darüber sind sich die meisten Beobachter einig. Oder wie es das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" ausdrückt: "... den Entwurf (des Atomgesetzes) hätte der Kanzler seinem Ressortleiter schon viel früher um die Ohren hauen müssen."

Quelle

M.K.

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Zur Newsletter-Anmeldung

Profitieren Sie als Mitglied

Werden Sie Mitglied im grössten nuklearen Netzwerk der Schweiz!

Vorteile einer Mitgliedschaft