Das Interesse an der Kernenergie wächst

Präsidialansprache von Dr. Bruno Pellaud anlässlich der 45. ordentlichen Generalversammlung der Schweizerischen Vereinigung für Atomenergie (SVA) vom 14. Oktober 2004 in Bern.

13. Okt. 2004

Sehr verehrte Damen und Herren, geschätzte Mitglieder und Gäste!
Ich freue mich sehr, Sie zur Generalversammlung 2004 im Kursaal Bern begrüssen zu dürfen. Die heutige 45. ordentliche Mitgliederversammlung ist für die SVA in zweifacher Hinsicht ein besonderer Anlass. Erstens haben wir den GV-Tag bereits heute Vormittag eröffnet - mit einer konzentrierten Informationstagung mit drei Gastreferenten, an der die meisten von Ihnen teilgenommen haben. Zweitens steht auf der Traktandenliste der Generalversammlung dieses Nachmittags erstmals in der 46-jährigen erfolgreichen Geschichte der SVA eine Aktualisierung der Statuten, einschliesslich des Übergangs zu einem neuen Namen unserer Vereinigung.
Ich erlaube mir, Sie alle, unsere Gäste, Einzel- und Kollektivmitglieder gesamthaft willkommen zu heissen. Sie kommen aus Wirtschaft und Forschung, aus Verwaltung, Politik und Medien. Ihre Präsenz dokumentiert das Interesse an der Entwicklung der Kernenergie in der Schweiz und in der Welt. Seit unserer letzten Generalversammlung hat sich in der Tat national und international vieles bewegt. Ich verbinde meinen Gruss mit dem Dank der SVA an die zahlreichen Anwesenden, die mit grossem Einsatz an der Zukunft der Kernenergie arbeiten, sei es beim sicheren Betrieb der laufenden Werke oder bei der Vorbereitung ihrer Ablösung durch neue Anlagen, sei es beim Vorantreiben der Entsorgung. Mein Dank richtet sich natürlich auch an die Mitglieder unseres Vorstandes, der Kommissionen, der Kontrollstelle sowie des Sekretariats.

Option Kernenergie offen halten

Meine Damen und Herren, in den letzten Monaten hat das Interesse an der Kernenergie und ihrer möglichen Rolle als notwendiger Pfeiler der heutigen und der künftigen Elektrizitätsversorgung nicht zuletzt als Folge der steigenden Ölpreise erheblich zugenommen. So hat der französische Finanzminister Nicolas Sarkozy vor zehn Tagen am Rande des Finanzministertreffens der G7 angesichts der Rekordpreise für Erdöl eine Rückbesinnung auf die Atomenergie vorgeschlagen. Sie zähle zu den alternativen Energiequellen. Zudem sei die Kernenergie in den vergangenen 30 Jahren weiterentwickelt worden. Wenige Tage zuvor erklärte der designierte EU-Kommissar für Energie, der Ungar Läszlö Koväcs, an einem Hearing vor dem Europäischen Parlament am 30. September 2004, dass er die gleiche Position zur Kernenergie vertrete, wie seine Vorgängerin Loyola de Palacio. Frau de Palacio unterstrich während ihrer Amtszeit, die bis Ende dieses Monats dauert, immer wieder engagiert und konsequent die Notwendigkeit, die Option Kernenergie offen zu halten. Als Hauptgründe stehen dabei der wichtige Beitrag der Kernenergie zur Stromversorgungs-Sicherheit und zur Beherrschung der CO2-Emissionen klar im Vordergrund.

Vorreiter Finnland

Die genannten Positionen von Frankreich und der EU sind aber nur Beispiele, allerdings solche, die die Schweizer Öffentlichkeit nicht unbedingt beeindrucken. Von den zahlreichen Ländern, welche in letzter Zeit erkennbar verstärkt auf die Kernenergie setzen, dürfte vor allem Finnland uns Schweizer zum Nachdenken bewegen. Als kleines europäisches Land kennt es wie die Schweiz die Gratwanderung zwischen zwangsläufiger Auslandabhängigkeit, besonders in der Energieversorgung, und hartnäckig zu verfolgender Eigenständigkeit. Die Teilnehmer des heutigen Vormittags haben im Referat von Dr. Güldner erfahren, wie sich die Finnen in diesem Dilemma, in dem sich die Schweiz genauso befindet, für die weitere Nutzung und sogar für einen Ausbau der Kernenergie entschieden haben.
Es ist eine zentrale Aufgabe der SVA, die Schweizer Öffentlichkeit regelmässig über diese Entwicklungen auf dem laufenden zu halten. Aber wenden wir uns der Entwicklung der Kernenergie im eigenen Land zu. Die dominierenden aktuellen Anliegen sind hier die vor dem Abschluss stehende Kernenergieverordnung, die Arbeiten zur nuklearen Entsorgung sowie die einsetzende Diskussion über die Möglichkeiten zum Ersatz der bestehenden Kernkraftwerke im Zeitraum ab 2020.

Kernenergieverordnung nicht akzeptabel

In unserer Stellungnahme zur Kernenergieverordnung von Mitte August 2004 kamen wir, wie die verbündeten Branchenorganisationen und Unternehmen in unserm Mitgliederkreis, leider zum Schluss, dass der Entwurf der Verordnung dem Geist des Kernenergiegesetzes vom 21. März 2003 in wesentlichen Punkten widerspricht und nicht akzeptiert werden kann. Unser Antrag lautete folgerichtig, der Entwurf sei zurückzuziehen und grundlegend zu überarbeiten. Unsere Haupteinwände gegen den Verordnungsentwurf kritisieren seinen - der Selbstverantwortung der Kernkraftwerkbetreiber abträglichen - zu weitgehenden Detaillierungsgrad und seine Tendenz zu verstärkter Bürokratie ohne Sicherheitsgewinn. Unakzeptabel ist ausserdem die Verwischung der Zuständigkeiten auf der Seite der Aufsichtsbehörden angesichts der quasi als zwei Sicherheitsbehörden wirkenden HSK und KSA. Schliesslich ist unverständlich, dass der Verordnungsentwurf die Schweizer Kernenergie von wichtigen Entwicklungen und Erkenntnissen im Ausland abkoppelt und in entscheidenden Punkten das Rad neu erfindet. Ein überarbeiteter Entwurf der Kernenergieverordnung darf die Interpretationsspielräume des Kernenergiegesetzes nicht strapazieren, indem er der weiteren Nutzung der Kernenergie zusätzliche Hindernisse in den Weg legt, die dem Entscheid von Parlament und Souverän widerspricht, die Option Kernenergie offen zu halten.

Entsorgung Schweiz - nächste Meilensteine

Über die Arbeiten und Pläne zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle hat Dr. Fritschi heute Vormittag referiert. Es stehen namentlich politische Entscheide an, vor allem die im Jahr 2006 erwartete Stellungnahme des Bundesrates zum Gesuch der Nagra. Die SVA hat die Aufgabe, den mit neuem Schwung angelaufenen Meinungsbildungsprozess an der Nahtstelle von Fachwelt und Politik im Hinblick auf die Realisierung der notwendigen sicheren Entsorgungsanlagen mit Informationsdienstleistungen zu unterstützen. Dies werden wir 2005 tun - mit einer der Entsorgung gewidmeten Sondertagung. Herr Dr. Fritschi hat die Lage der Entsorgung in unserem Land kurz und bündig zusammengefasst: "Viel ist auf dem Weg zu einer sicheren Entsorgung auch in der Schweiz bereits realisiert - die Abfälle sind gut bekannt und sicher zwischengelagert. Die abschliessende Tiefenlagerung ist nach 30 Jahren Forschung und Entwicklung umfassend vorbereitet". Wie in Finnland, wie in Schweden ist eine Lösung auch bei uns in Sicht.

Neue Schweizer Kernkraftwerke?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die im letzten Frühling in den Medien aufgegriffene Diskussion über die Notwendigkeit und die Möglichkeiten des dereinstigen Ersatzes der bestehenden Schweizer Kernkraftwerke wurde bemerkenswert sachlich geführt. Dies ermutigt uns. Allerdings ist nicht anzunehmen, dass die künftigen Debatten über einen möglichen Bau von Ersatz-Kernkraftwerken nicht wie in der Vergangenheit nach parteipolitisch und emotional beherrschten Mustern geführt wird. Die Aufgabe unserer Vereinigung, den Meinungsbildungsprozess mit der wahrnehmbaren öffentlichen Präsenz der Fachwelt zu unterstützen, bleibt aktuell.

Neue Statuten - neues Nuklearforum

In dieser Situation hat sich der Vorstand entschlossen, die SVA nach fast 50 Jahren erfolgreicher Arbeit den Bedürfnissen der Zeit sichtbar anzupassen, ihren Auftritt und ihre Wirkungsweise im Umfeld unserer direkten Demokratie weiter zu optimieren. Das Anliegen muss sein, jene Kreise der Öffentlichkeit noch besser zu erreichen, die der Kernenergie weder positiv noch grundsätzlich ablehnend gegenüber stehen. Besonders diese Kreise in der Mitte des Meinungsspektrums sollen in die Lage versetzt werden, die Qualitäten des Dossiers Kernenergie unvoreingenommen zu beurteilen. Dazu soll der Charakter der SVA als Forum aller interessierten Kreise - das sie immer war - künftig stärker betont und auch mit einem neuen Namen unterstrichen werden. Der zielgerichtete und bewährte SVA-Grundsatz der elastischen Unnachgiebigkeit und der geduldigen Dauerpräsenz soll im Zweckartikel der neuen Statuten verstärkt abgestützt werden. Dies ist der Gegenstand der heutigen Generalversammlung, von der ich hoffe, dass sie für den Weg der SVA in die Zukunft die beantragten Entscheide trifft. Ich danke Ihnen.

Quelle

Dr. Bruno Pellaud

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