Deepwater Horizon, Tsunami und Fukushima – Exponentieller Auf- und Abbau der Aufmerksamkeit
Kaum ein anderes Grossereignis hat so viele Menschen in den Bann gezogen, wie die tragische Kadenz der Umweltkatastrophen im März in Japan. Das globale Interesse der Mediennutzer war allerdings nur von kurzer Dauer, wie folgende Analysen zeigen.

Aus den Augen – aus dem Sinn: Am 20. April 2011 jährte sich die global grösste Ölkatastrophe am Golf von Mexiko zum ersten Mal. Doch die wenigsten Medien und Mediennutzer interessierten sich dafür. Dabei machte die Deepwater Horizon deutlich, wie verletzlich die Erde und ihre Bewohner heute sind. 6,93 Mrd. Menschen leben auf diesem Planeten – das sind sieben Mal mehr als vor 200 Jahren. Und wie unschwer festzustellen ist, hat sich zumindest in der westlichen Welt der Lebensstandard exponentiell verbessert.
Seit Deepwater Horizon wissen wir speziell, welchen Risiken die Energiegewinnung ausgesetzt ist. Bis vor Kurzem schienen diese Aspekte in der Gesamtschau bloss Projektmitarbeiter von Technologiefolgeabschätzungen zu interessieren. Dabei liefern diese Studien – zum Beispiel jene vom Paul Scherrer Institut (PSI) – hochspannende Diskussionsbeiträge, die mitunter eine differenzierte Sicht der Vor- und Nachteile der Kernenergie ermöglichen.
Es folgte knapp ein Jahr später die Tragödie in Fukushima: Bereits heute lässt sich sagen, dass kein anderes Ereignis in den vergangenen Jahren in derart kurzer Zeit so viele Menschen in den Bann gezogen hat. Letztmals war dies am 11. September 2001 nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York der Fall.
Das Interesse des Publikums ist einerseits über Einschaltquoten der verschiedenen Fernsehstationen messbar. Andererseits lässt die Statistik der Internet-Zugriffe Rückschlüsse auf die Aufmerksamkeit der Mediennutzer zu. So waren die Zugriffe auf die Website CNN.com in den Tagen nach der Tragödie in Japan doppelt so hoch wie davor. Die Kumulation der Ereignisse – Erdbeben, Tsunami, Reaktorunglück – führte zu einer unheimlichen Dramaturgie.
Aber nicht nur internationale Medien verzeichneten eine enorme Aufmerksamkeit. Im Ver-gleich zum Durchschnittswert wurde auch Newsportale in der Schweiz von – von der «Neuen Zürcher Zeitung» bis «20 Minuten» – massiv intensiver genutzt. Parallel zu diesem sprunghaften Anstieg litten Shopping-Portale unter einem markanten Einbruch an Besucherzahlen. Nach ungefähr einer Woche hatte sich die Situation jedoch bereits wieder deutlich normalisiert. Erste Sättigungstendenzen stellten sich ein.
Weitere Analysen verdeutlichen die enorme Tendenz der Aufschaukelung und des Rückfalls. Am 11. März 2011 wurde das höchste Interesse der Internetnutzer für Fukushima gemessen. Indexiert man diesen Wert mit 100 Punkten, so lag das globale Interesse sechs Wochen danach auf 6 Punkten; das entspricht folglich einem Rückgang von 94%. Erwartungsgemäss bleibt das Ereignis länger in der Agenda eines Mediennutzers, je näher er sich dem Epizentrum befindet. Sechs Wochen nach der Katastrophe beträgt der Index in Japan noch 18 Punkte, in China 11 Punkte und in Russland 8 Punkte. Erstaunlich hoch blieb das Interesse in Frankreich mit 12 Indexpunkten. Auf vergleichbar tiefem Niveau bewegt sich nach sechs Wochen das Interesse in Grossbritannien (5 Punkte), Schweiz (5 Punkte), Indien (4 Punkte) und Deutschland (2 Punkte).
Vergleiche mit der Ölkatastrophe am Golf von Mexiko zeigen folgende Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Das globale Interesse für Fukushima lag in der Spitze über 300 Prozent höher als für Deepwater Horizon im Frühjahr 2010. Zwar waren auch im Katastrophenfall Deepwater Horizon Sättigungstendenzen der Mediennutzer klar ersichtlich, doch baute sich das Interesse langsamer ab als im Fall von Fukushima.
Quelle
Hans Peter Arnold