Deutschland als «Geisterfahrer»

Was Vielen lange Zeit klar als die Vorreiterrolle schlechthin erschien, entpuppt sich bei genauer Analyse als einsame Fahrt in die entgegengesetzte Richtung des internationalen Trends. Gemeint ist die Energiepolitik Deutschlands, die im Kontrast zum Ausbau der Kernenergie in Europa und weltweit steht. Das ist das Fazit der diesjährigen Wintertagung des Deutschen Atomforums, die vom 4. bis 5. Februar 2009 in Berlin stattfand.

17. Feb. 2009
Walter Hohlefelder, Präsident des Deutschen Atomforums, erinnerte daran, dass Energieverantwortung alle angeht - Politik, Versorger und Verbraucher. Dies umso mehr in Zeiten einer schweren globalen Rezession und gewaltiger Konjunkturpakete.
Walter Hohlefelder, Präsident des Deutschen Atomforums, erinnerte daran, dass Energieverantwortung alle angeht - Politik, Versorger und Verbraucher. Dies umso mehr in Zeiten einer schweren globalen Rezession und gewaltiger Konjunkturpakete.
Quelle: Henning Lüders, Berlin

Die Zeichen der Zeit - Finanzkrise, Klimaschutz und Energieengpässe - erfordern ein Umdenken und mutige Veränderungen. «Energieverantwortung für Deutschland» war daher das Motto der Wintertagung 2009.

Dass es neben dem alljährlichen Erfahrungsaustausch der deutschen Nuklearbranche bei der Wintertagung um Verantwortung ging, wurde an der Zusammensetzung der Referenten und Podiumsteilnehmer deutlich. So kamen neben renommierten Ökonomen und Energieexperten, wie Prof. Hans-Werner Sinn von der Ludwig-Maximilians-Universität München und Fatih Birol, Chefökonom der Internationalen Energieagentur (IEA), auch Wissenschafter anderer Fachrichtungen zu Wort, die zusammen mit Medienschaffenden aus dem Ausland die deutsche Energiepolitik von einem anderen Blickwinkel diskutierten und konkrete Forderungen an die Energieverantwortlichen im Publikum stellten.

Laufzeitverlängerungen gefordert

«Energieverantwortung geht alle an», sagte Walter Hohlefelder, Präsident des Deutschen Atomforums, in seiner Begrüssungsrede. Diese erfordere eine «ideologiefreie Analyse», Realismus und «mutiges Engagement», so Hohlefelder weiter. Im Zuge der weltweiten Finanzkrise, die sich mehr und mehr zu einer Wirtschaftskrise entwickle, könne Deutschland nicht auf die «preisdämpfende Wirkung der Kernenergie» verzichten. Er forderte daher Laufzeitverlängerungen für die deutschen Kernkraftwerke als Teil eines nachhaltigen Konjunkturprogramms, da sie den Steuerzahler nichts koste.

Alle Technologien nutzen

Trotz der aktuellen Finanzkrise, appellierte Fatih Birol an die Verantwortlichen, dürften die dringend notwendigen Reformen bei der Energieversorgung nicht verzögert werden. Der «World Energy Outlook 2008» der Internationalen Energieagentur (IEA) geht von einem Anstieg der weltweiten Nachfrage nach Energie um 45% bis im Jahr 2030 aus. Bei den Primärenergieträgern steige die Nachfrage nach Kohle am stärksten. Im Jahr 2030 werde die Kohle über einen Drittel der weltweiten Nachfrage decken, so Birol. Mit Wasserkraft, erneuerbaren Energien und der CO2-Abscheidetechnologie, der sogenannten Carbon Capture and Storage (CCS), sowie mit Kernenergie müsse daher dem globalen CO2-Ausstoss bei der Energieversorgung begegnet werden, forderte Birol. «Die Kernenergie kann und soll eine wichtige Rolle in der globalen Energieversorgung spielen.»

Wirkungslose deutsche Klimapolitik

Dass der Klimaschutz eine globale Aufgabe und ein nationaler Alleingang völlig sinnlos sei, verdeutlichte Prof. Hans-Werner Sinn bei seiner Analyse der deutschen Klimapolitik. Eine seiner wichtigsten Thesen: Die vielen Subventionen und Fördermassnahmen wie beispielsweise das Energieeinspeisegesetz (EEG), dank dem Deutschland heute einsamer Spitzenreiter bei Windkraft und Solarenergie sei und seine CO2-Einsparziele schon viel früher als vorgenommen erreichen werde, nützten dem Klima genau genommen gar nichts. Das liege am EU-Emissionshandelssystem, das den Ausstoss von Kohlendioxid je Land limitiere. Übertrifft ein Land seine eigenen Vorgaben, verbilligt dies nur die Zertifikate auf dem Markt für Emissionsrechte. Das führe zu einem erhöhten CO2-Ausstoss der anderen EU-Länder, und zwar um exakt den Anteil, den Deutschland einspare. Denn für die Industrien anderer Länder werde es rentabler, die verbilligten Zertifikate zu kaufen anstatt in teurere, klimafreundlichere Technologien zu investieren.

«Geisterfahrer Deutschland»

Mit seiner Energiepolitik stehe Deutschland aber auch in Bezug auf die Kernenergie alleine da, sagte Sinn weiter. Während dort auf den Ausstieg hingearbeitet werde, planten oder bauten bereits viele Länder Europas neue Kernkraftwerke. Deutschland sei als Geisterfahrer in der Energiepolitik unterwegs, folgerte Sinn.

Auch die internationale Journalistenrunde stellte bei der Podiumsdiskussion fest, dass Deutschland durch den Ausstieg aus der Kernenergie entgegen den internationalen Bestrebungen nach einer vom Ausland unabhängigen, CO2-armen und sicheren Energieversorgung sich stärker in Abhängigkeit von beispielsweise Russland begebe, da Gaskraftwerke zukünftig die entstehende Versorgungslücke decken müssten.

Mangel an sachlicher Information

Die Vertreter der internationalen Medien waren sich einig, dass in Deutschland zu wenig sachlich über die Folgen eines Atomausstiegs diskutiert werde. Stattdessen bediene man sich emotionaler Argumente und schüre so irrationale Ängste, die typisch für das Land seien. Markus Sutter, Auslandskorrespondent der Basler Zeitung in Berlin, bemerkte hier die fehlende Dialogbereitschaft insbesondere der Gegner der Kernenergie. So schien es den über 1000 Demonstranten, die sich vor dem Tagungshotel versammelt hatten, hauptsächlich um mediale Aufmerksamkeit gegangen zu sein. Im Unterschied zur Schweiz, so Sutter weiter, wo man den Kontakt zu den Kernenergie-Befürwortern gesucht hätte, beendeten die Demonstranten ihre Aktion lange vor Ende der Tagung.

Die Berliner Auslandskorrespondenten der Zeitungen Financial Times (Grossbritannien), The Washington Times (USA), Basler Zeitung, Turun Sanomat (Finnland) und Gazeta Wyborcza (Polen) gaben eine Aussensicht auf Deutschland und seine Energiedebatte.
Die Berliner Auslandskorrespondenten der Zeitungen Financial Times (Grossbritannien), The Washington Times (USA), Basler Zeitung, Turun Sanomat (Finnland) und Gazeta Wyborcza (Polen) gaben eine Aussensicht auf Deutschland und seine Energiedebatte.
Quelle: Henning Lüders, Berlin

Fehlendes Vertrauen wiederherstellen

Aber auch auf Seiten der Energiewirtschaft werde zum Teil immer noch versäumt, angemessen zu kommunizieren, hielten die Teilnehmer der zweiten Podiumsdiskussion fest. Vertrauen schaffen durch glaubwürdige Argumente war denn auch eine ihrer Forderungen. Hans Mathias Kepplinger, Professor für Kommunikationsforschung an der Universität Mainz, empfahl den Stromunternehmen nachdrücklich eine eingespielte Krisenkommunikation, die auf ehrlichen Informationen und auf dem zum jeweiligen Zeitpunkt vorhandenen Wissensstand basiert. Dies sei in der Vergangenheit oft nicht der Fall gewesen, weshalb auch noch so unbedeutende Vorfälle grosse und emotional geführte öffentliche Diskussionen ausgelöst und Vertrauen zerstört hätten.

Der Grundtenor nach der Tagung war klar: Angesichts der aktuellen Ereignisse wie Klimawandel und Finanzkrise müsse ein Umdenken in der deutschen Energiepolitik stattfinden, das nicht losgelöst von den Entscheidungen anderer Länder geschehen dürfe. Ein Sinneswandel in den Köpfen der Bevölkerung hin zu pragmatischeren Lösungen müsse über kommunikative Massnahmen angeregt werden. Dies sei auch die Grundvoraussetzung, um die Notwendigkeit einer Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke zu verstehen.

Die Frage der Endlagerung

Ein weiterer Schwerpunkt der Wintertagung 2009 war die Frage der Endlagerung hochaktiver Abfälle.

«In geeigneten geologischen Formationen (Steinsalz beziehungsweise Tonstein) kann ein sicheres Endlager eingerichtet werden.» Zu diesem Schluss kommt Michael Sailer, stellvertretender Geschäftsführer und Koordinator Nukleartechnik und Anlagensicherheit des Öko-Instituts. An der Wintertagung forderte er eine «stabile» politische Entscheidung, die über acht, neun Legislaturperioden halten müsse, damit das Thema nicht immer wieder neu aufgerollt
«In geeigneten geologischen Formationen (Steinsalz beziehungsweise Tonstein) kann ein sicheres Endlager eingerichtet werden.» Zu diesem Schluss kommt Michael Sailer, stellvertretender Geschäftsführer und Koordinator Nukleartechnik und Anlagensicherheit des Öko-Instituts. An der Wintertagung forderte er eine «stabile» politische Entscheidung, die über acht, neun Legislaturperioden halten müsse, damit das Thema nicht immer wieder neu aufgerollt werde.
Quelle: Henning Lüders, Berlin

Quelle

M.R.

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