Deutschland: Ringen um Laufzeitverlängerungen

Die steigenden Energiepreise und die Klimaschutzdebatte haben auch in Deutschland die Frage der Kernenergienutzung wieder ins Zentrum der politischen Debatte gerückt. Die Unionsparteien CDU und CSU, die FDP sowie Teile der Wirtschaft halten den Ausstieg aus der Kernenergie für überstürzt und plädieren für längere Laufzeiten. Die SPD, die Linke, die Grünen und die Umweltverbände dagegen stehen nach wie vor mehrheitlich hinter dem Ausstiegsbeschluss.

20. Juli 2008

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekannte sich in einem Interview am 13. Juli 2008 mit der deutschen Sonntagszeitung «Bild am Sonntag» erneut zu einer Laufzeitverlängerung: «Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir die Laufzeiten unserer sicheren Kernkraftwerke in Deutschland verlängern.» Weiter stellte sie fest, dass Deutschland in den nächsten Jahren weder auf Kohle noch auf Kernenergie verzichten könne: «Die Frage der Laufzeitverlängerung wird sich deshalb spätestens in der nächsten Wahlperiode stellen.»

Der CSU-Parteivorsitzende Erwin Huber doppelte nach: Die Laufzeiten müssten sich an der Sicherheit orientieren und nicht «an der Ideologie von Rot-Grün», erklärte er einen Tag später bei der Vorstellung des Regierungsprogramm 2008-2013 seiner Partei. Die «CO2-freie, preisgünstige und heimische Atomkraft» habe auch im künftigen Energiemix einen unersetzlichen Platz. Bundespräsident Horst Köhler hält es angesichts der enorm gestiegenen Energiepreise für richtig, dass nun wieder über die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken diskutiert wird. Dies sagte er gegenüber dem Fernsehsender ZDF. Die Kernenergie sei aber nicht «der Weisheit letzter Schluss», sondern eine Übergangstechnologie.

Verantwortbares Energiekonzept nur mit Kernenergie

Auch Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will die Kernenergie angesichts der Energieknappheit beibehalten. «Es gibt derzeit weltweit kein verantwortbares Energiekonzept, das ohne Kernenergie auskommt», sagte er in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung». Derselben Ansicht ist Guido Westerwelle, FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzender. In einem Interview mit dem «General-Anzeiger» hielt er fest, dass es keinen Sinn mache, in Deutschland moderne Kernkraftwerke abzuschalten, um stattdessen Energie aus unsichereren und unsaubereren Anlagen im Ausland einzukaufen. Ein Energiemix einschliesslich der Kernenergie sei der Weg der ökonomischen, ökologischen und sozialen Vernunft.

Dagegen bekräftigte SPD-Vorsitzender Kurt Beck die Gültigkeit des Atomausstiegs und erinnerte an die Vereinbarung mit den Stromkonzernen: «Wenn die Energieversorger jüngere Atomkraftwerke länger laufen lassen wollen, müssen ältere Meiler schneller vom Netz.»

SPD-Vorschlag: Kernenergieausstieg ins Grundgesetz

Im «Spiegel» vom 7. Juli 2008 schlug Erhard Eppler (SPD, ehemaliger Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit) vor, einige Kernkraftwerke länger laufen zu lassen unter der Voraussetzung, dass der Ausstieg aus der Kernenergie im Grundgesetz festgeschrieben werde. In einem Gespräch mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» nannte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) Epplers Vorschlag «spannend». Auf die Frage, ob es sinnvoll sei, ein Atomverbot in das Grundgesetz zu schreiben, meinte Gabriel: «Wenn es auf diese Weise gelingt, in einer der entscheidenden Fragen einen echten gesellschaftlichen Konsens zu erreichen, dann könnte man dies in der Verfassung festschreiben.» Merkel zeigte sich gegenüber dem Vorschlag skeptisch: «Ich bin grundsätzlich sehr zurückhaltend, was Grundgesetzänderungen anbelangt. Die Frage der jeweiligen Energieversorgung ist kein Gegenstand des Grundgesetzes.» Auch Huber ist dagegen, denn «heute den kommenden Generationen im Grundgesetz jede Entscheidungsmöglichkeit zu nehmen, halte ich für nicht klug». Ulrich Maurer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion der Linken bezeichnete die Idee der Laufzeitverlängerung sogar als «unverantwortlich und vor allem zutiefst unsozial».

Eine im Juli 2008 durchgeführte Umfrage des Politbarometers hat aufgezeigt, dass inzwischen eine Mehrheit (54%) einen Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke über die bisher gesetzlich festgelegte Nutzungsdauer (bis 2021) hinaus befürworten.

Quelle

M.A. nach Interviews in verschiedenen deutschen Zeitungen, und Pressemitteilungen, Juli 2008

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