Die Zukunft der Atomenergie

28. Nov. 1999

Dr. Jacques Rognon, Präsident des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen und Generaldirektor der Electricité Neuchâteloise S.A., Kurzfassung seines Referats an der gleichnamigen Tagung vom 29. November 1999 an der ETH Zürich


Die Zukunft der Atomenergie kann nur im weltweiten energetischen Zusammenhang untersucht werden. Regelmässig werden zahlreiche Studien realisiert. Die jüngsten Schätzungen, die am Weltenergie-Kongress von 1998 in Houston vorgestellt wurden, weisen alle auf eine Zunahme des Weltenergieverbrauchs bis zum Jahr 2050 hin. Das Szenario "ökologisch" rechnet mit einer Zunahme von rund 40%. Die nachfolgende grobe Schätzung beruht auf vier ganz einfachen Annahmen:
Im Jahr 2050

  1. haben die Industrieländer 3 Mrd. Einwohner.
  2. haben die Entwicklungsländer 7 Mrd. Einwohner.
  3. wird der Energieverbrauch pro Einwohner in den Industrieländern auf das Niveau der Schweiz von 1970 reduziert.
  4. erreicht der Energieverbrauch pro Einwohner in den Entwicklungsländern das Niveau der Schweiz von 1950.

Wenn man diese vier Parameter kombiniert, kommt man auf eine Zunahme des Weltenergiebedarfs von 40% gegenüber heute. Nun sind die Annahmen für dieses Szenario drastisch. Die USA müssten ihren heutigen Energiekonsum dritteln! Auch China erreicht bereits einen Wert in der Gegend des Pro-Kopf-Verbrauchs der Schweiz von 1950.
Zur Stabilisierung des Weltenergieverbrauchs auf dem aktuellen Niveau müsste eine echte "kulturelle Revolution" durchgeführt werden. In dem Fall muss man bereit sein, die Konsequenzen daraus zu tragen. Ich denke, es ist vernünftiger, eine willentliche Evolution hin zu einer rationelleren Energienutzung zu unternehmen. Akzeptiert man die Annahmen zur demographischen Entwicklung, ist bis zum Jahr 2050 eine Zunahme des Energieverbrauchs um 30-50% zu erwarten.
Welche Rolle kann hier die Kernenergie spielen? Ich konzentriere mich auf die westlichen Industriestaaten und die Schweiz.
Falls die Vertragsparteien der Kyoto-Übereinkommen den politischen Willen haben, diese auch zu respektieren, wird es ihnen extrem schwer fallen, in den nächsten Jahrzehnten ohne Kernenergie auszukommen. Mit dieser Aussage bin ich in guter Gesellschaft, denn Frau Loyola de Palacio, die neue EU-Kommissarin für Energie, kam anlässlich einer Rede vor dem Europaparlament in Strassburg zum selben Schluss.
Was die Situation in der Schweiz betrifft, kann ich ohne Vorbehalte die Thesen von Bundesrat Moritz Leuenberger anlässlich der letzten Sitzung des "energiepolitischen Dialogs über die langfristige Energie- und Elektrizitätsversorgung" im Juni 1997 unterschreiben. Was die Kernenergie betrifft, kann man in Punkt 10 nachlesen:
"Die bestehenden Kernkraftwerke sollen weiter betrieben werden, solange ihre Sicherheit gewährleistet ist. Der Bau neuer Kernkraftwerke soll dem fakultativen Referendum unterstellt werden, wobei die Modalitäten dieses Referendums im Rahmen der Totalrevision des Atomgesetzes zu klären sind. Die Option für neue Kernenergietechniken mit ausgeprägter passiver und inhärenter Sicherheit soll langfristig offen gehalten werden."

Ich möchte meine Ausführungen mit zwei Wünschen abschliessen:
Erstens ist es an der Zeit, dass die Schweiz ein Lager für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle realisiert. Während man in der Schweiz in den Studien versinkt, haben andere Staaten wie Schweden oder Finnland solche Einrichtungen verwirklicht. In unserem Land fehlt dazu der politische Mut. Ich appelliere an jene, die die Kernenergie aus ethischen Gründen ablehnen. Ich denke, es wäre Beweis einer ethischen Haltung, denjenigen, die die Verantwortung und den Willen haben, die notwendigen Einrichtungen zur Lagerung der bereits vorhandenen Abfälle zu realisieren, dies auch zuzugestehen.
Mein zweiter Wunsch betrifft die Ausbildung in diesem Bereich. Seit mehreren Jahren nehmen die Forschungskredite für die Kernenergie (Kernspaltung) kontinuierlich ab. Für das Paul Scherrer Institut ist das Minimum erreicht. Die Besitzer der Kernkraftwerke haben diese Ausfälle kompensiert. Aber deren Mittel sind, vor allem im Vorfeld der Elektrizitätsmarktöffnung, begrenzt. Auch da hoffe ich, dass unsere Parlamentarier den Mut zu einer Reaktion haben werden, um die Kredite, die für einen sicheren und umweltverträglichen Betrieb unserer fünf Kernkraftwerksblöcke notwendig sind, zu sprechen.

Quelle

Dr. Jacques Rognon, Übersetzung SVA

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