Elektromobilität: Der Individualverkehr wird elektrisch
Ölpreis-Boom, Megacities und Luftverschmutzung: Diese Faktoren verleihen den Elektrofahrzeugen Schub. Autokonzerne widmen sich verstärkt diesem Thema, wie gerade der 80. Genfer Automobilsalon zeigen wird (4.–14. März 2010). Der in der Schweiz angebotene quasi CO2-freie Strom macht Elektromobile und Hybridfahrzeuge zu einer echten Alternative.
Lange Zeit war es Nischenanbietern vorbehalten, Elektrofahrzeuge auf den Markt zu bieten. Das wird sich ändern. Eine Reihe von Autokonzernen haben Elektrofahrzeuge angekündigt, die bald in Serienproduktion gehen sollen. Vorbei sind die Zeiten, als die elektrisch betriebenene Fahrzeuge belächelt wurden.
Am diesjährigen Autosalon in Genf wird den Elektrofahrzeugen und Hybrid-Autos viel Platz eingeräumt. Dass die Zeit reif ist, verdeutlichte schliesslich das 1. Schweizer Forum Elektromobilität im Luzerner Verkehrshaus, das am 26./27. Januar 2010 über die Bühne ging. Getragen wurde dieses Forum von Touring Club Schweiz, dem Bundesamt für Strassen, Nissan und Swisselectric (Alpiq, Axpo, BKW).
Durchbruch in den Metropolen
Elektro- und Hybridfahrzeuge werden gemäss einer Studie von McKinsey in den nächsten Jahren boomen. Die Automobilindustrie fahre in ein neues Zeitalter, meint Christian Malorny, Mobilitätsexperte von McKinsey. Die Unternehmensberater rechnen mit einem weltweiten Marktpotenzial von bis zu CHF 700 Mrd. für Elektrofahrzeuge, Hybride und Plug-in-Hybride. Während ein Elektromobil mit einem Elektromotor ausgestattet ist, ist in einem Hybrid-Fahrzeug zusätzlich ein Verbrennungsmotor eingebaut. Von einem Plug-in-Fahrzeug ist schliesslich die Rede, wenn die Batterie des Hybrids über eine konventionelle Steckdose aufgeladen werden kann.
In den Ballungszentren New York, Shanghai und Paris sollten sich Elektro- und Hybridfahrzeuge schon innerhalb der nächsten fünf Jahre als realistische Alternative zu Autos mit herkömmlichem Verbrennungsmotor etablieren. Den höchsten Marktanteil werden die Elektroautos gemäss McKinsey in New York erreichen. Hier liegt der prognostizierte Anteil an den Neuzulassungen im Jahr 2015 bei bis zu 16%. Paris folgt mit einem Anteil von 9%, Shanghai mit 5%. Das Potenzial für reine batteriebetriebene Elektroautos ist in New York am grössten. Diese Electric City Cars können der Studie zufolge 2015 einen Anteil von 6% der Immatrikulationen erreichen.
In den Megacities spielt die Frage der «Tankstellen» beziehungsweise der Ladestationen eine untergeordnete Rolle. Die potenziellen Elektroauto-Käufer stellen sich gemäss der Befragungen darauf ein, ihr Fahrzeug zu Hause oder im Parkhaus aufladen zu können. «Die Autofahrer werden ihre Fahrgewohnheiten ganz selbstverständlich daran ausrichten, dass sie bei jeder Fahrt wieder nach Hause zurückkehren müssen», meint McKinsey-Experte Christian Malorny. Im nächsten Schritt seien Initiativen von Dienstleistungs- oder Handelsunternehmen vorstellbar, beispielsweise Supermärkte, Parkhäuser oder Restaurants, die für ihre Kunden eigenständig Lademöglichkeiten schaffen. Zudem sollten grössere Unternehmen den Mitarbeitenden eine entsprechende Infrastruktur bereitstellen. Ladesäulen an der Strasse würden erst in einem nächsten Schritt benötigt. Dann nämlich, wenn auch in ländlichen Gegenden Elektroautos öfters zu einer Option werden.
Mobilität und Umweltschutz unter einen Hut bringen
Allein die deutsche Automobilindustrie muss übrigens auf dem europäischen Markt bis ins Jahr 2020 Mehrkosten von schätzungsweise CHF 43 Mrd. in der Entwicklung und CHF 125 Mrd. in der Produktion einkalkulieren, um die CO2-Grenzwerte der EU zu erfüllen. Mit dem Verkauf von Elektrofahrzeugen können die Automobilhersteller jedoch die Kosten erheblich reduzieren.
«Den Menschen wird ihre individuelle Mobilität immer wichtiger», meint Thomas Straubhaar, Professor am Welt-Wirtschafts-Institut (HWWI) in Hamburg. Diese steigende Nachfrage nach Mobilität belastet vor allem die Städte und wird langfristig einen deutlich erhöhten CO2-Ausstoss mit sich bringen. Straubhaar: «Die Automobilwirtschaft ist also gefordert, Konzepte zu entwickeln, um diesen Problemen zu begegnen.» Das HWWI hat zusammen mit der Behrenberg Bank entsprechende Strategien studiert. Demnach werde das nach wie vor wachsende Mobilitätsbedürfnis sowie die Klimaveränderung die Autobranche verändern. Bisher verhinderte die kostenintensive Entwicklung von Motor, Getriebe und Antriebssystemen den Markteintritt neuer Anbieter. Das Elektroauto bringt nun eine Vereinfachung; es wird kein Getriebe mehr benötigt. Neue Hersteller können Batterie und Elektromotor von Drittanbietern beziehen. Inzwischen sind die grossen Autokonzerne Technologiepartnerschaften eingegangen – so Renault-Nissan mit NEC, Daimler mit Evonik, BMW mit Bosch/Samsung und VW Group mit Sanyo. «Nach heutiger Kenntnis hat die Lithium-Technologie die besten Aussichten bei Batterien der künftigen Generationen von Hybrid- und Elektroautos. Das hohe Innovationspotenzial liegt in der Verbesserung von Reichweite, Energiedichte, Sicherheit, Ladezeit sowie Form und Grösse», so die Studie von HWWI und Behrenberg Bank.
Unterschiedlichste Prognosen
Die Trend-Prognosen zu Elektroautos unterscheiden sich stark. Die Internationale Energieagentur (IEA) sieht im Strassenverkehr das grösste Sparpotenzial – im Sinne einer massiven Reduktion des CO2-Ausstosses. Das entsprechende ambitiöse 450-Szenario im World Energy Outlook 2009 geht davon aus, dass im Jahr 2030 nur noch 40% der weltweit verkauften Autos einen herkömmlichen Verbrennungsmotor aufweisen. 60% der verkauften Autos seien demnach entweder Hybrid- oder reine Elektrofahrzeuge.
Bisherige Schätzungen der Autobranche gehen in den Jahren 2025 oder 2030 weiterhin von einem dominanten Anteil der Benzin- und Dieselverbrennungs-Motoren aus. Über 90% der Verkäufe entfallen demnach auf diese konventionellen, teilweise allerdings stark optimierten Fahrzeuge. VW-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg rechnet im Jahr 2020 lediglich mit einem weltweiten Marktanteil von Elektroautos zwischen 1,5 und 2%. Elektroautos seien vor allem ein Thema in Grossstädten. Hackenberg: «Es wird eine Nische sein. Aber Nischen sind entwicklungsfähig.»
Was sich bereits heute abzeichnet: Elektrizität dürfte als favorisierte Energieform stärker nachgefragt werden. Bundesrat Moritz Leuenberger liess sich jedenfalls am Schweizer Forum Elektromobilität im Verkehrshaus Luzern zu folgendem Gedankenspiel ein: «Der Personen-Wagenpark in der Schweiz umfasst heute rund 4 Mio. Fahrzeuge. Wenn all diese Autos jetzt elektrisch angetrieben würden, würde der totale Strombedarf in der Schweiz um einen Fünftel zunehmen. Falls es Atomstrom ist, bräuchte man rund 1,5 Mal die Leistung von Gösgen. Wäre es erneuerbare Energie, so wären rund 3200 Windräder oder aber 9300 Solaranlagen nötig – mit je der Grösse des Stade de Suisse in Bern», erklärte Leuenberger am ersten Schweizer Forum Elektromobilität am 26. Januar 2010.
Fazit
Künftig ist mit einem anhaltend hohen Erdölpreisen und somit teurem Treibstoff zu rechnen. Dies begünstigt den Trend hin zu elektrischen Mobilfahrzeugen. Weitere Verbesserungen in der Batterietechnologie, der Aufbau von Ladestationen sowie günstigere Verkaufspreise sollten die Verkäufe beflügeln. «Der Trend beim Automobil geht eindeutig in Richtung elektrischer Antrieb», meint Peter de Haan, Dozent an der ETH Zürich für Energie und Mobilität. Der Elektromotor benötige weder Getriebe noch Rückwärtsgang und leiste ab Stand ein hohes Drehmoment – ideal für automobile Anwendungen. Vierradantrieb, Sperrdifferenzial, ABS und EPS sind mit Elektromotoren demnach leicht zu realisieren.
Die Politik wird insbesondere in dicht besiedelten Agglomerationen alles Interesse haben, (steuerliche) Anreize für Electric City Cars zu schaffen. Trotz des Scheiterns der Weltklimakonferenz in Kopenhagen bleibt die Reduktion des Kohlendioxid-Ausstosses ein wichtiges Ziel der Regierungen. In Staaten wie der Schweiz, wo Strom aus CO2-freien Quellen gewonnen wird, sollten Elektroautos noch stärker in der Gunst von Autolenker und Umweltpolitiker stehen. Denn eines ist gewiss: Der Drang nach Mobilität bleibt ungebrochen.
Quelle
Hans Peter Arnold