Entsorgung nach dem Nidwaldner Nein zum Wellenberg: Jetzt ist die Politik gefordert

Die Volksabstimmung im Kanton Nidwalden vom 22. September 2002 hat das ablehnende Ergebnis des Urnengangs vom Sommer 1995 mit aller Deutlichkeit bestätigt. Die kantonale Bevölkerung lehnt den Bau eines Sondierstollens im Hinblick auf ein geologisches Tiefenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle im Wellenberg mit rund 58 Prozent Nein-Stimmen ab.

21. Sep. 2002

Eine verbreitete Reaktion der politischen Kommentatoren auf diesen Nidwaldner Entscheid war eine Art betretenes Verständnis: Einerseits ist klar, dass die radioaktiven Abfälle entsorgt werden müssen. Anderseits wird vermutet, dass die Nidwaldner kaum die einzigen sein dürften, die nicht bereit sind, an der Urne einem nationalen Endlager auf ihrem Territorium zuzustimmen - unabhängig von technischen, geologischen und auch von volkswirtschaftlichen Erwägungen.
Für die Schweizer Kernenergie ist das Ergebnis höchst bedauerlich. Der Standort Wellenberg wird von der Fachwelt, also auch von der Sicherheitsbehörde, für Sondierungen als einer der bestgeeigneten bezeichnet. Die wissenschaftlich-technische Kompetenz der Nagra gilt in der internationalen Fachwelt als mustergültig. Aber: ist der Nidwaldner Volksentscheid deshalb auch überraschend? Wohl nicht wirklich! Man erinnere sich etwa an die in den Medien eingehend portraitierte Haltung der Bevölkerung der Region Graben zum dortigen Kernkraftwerksprojekt in der ersten Hälfte der achtziger Jahre. Die Ansicht herrschte vor, das Werk sei zu bauen bzw. zu tolerieren, falls es für die Stromversorgung des Landes notwendig sei. Widerstand, besonders gegen ein zeitliches Vorziehen des Projekts vor jenes von Kaiseraugst, wurde wach - sehr wach -, wenn es um die eine Frage ging: Steht die Region, die ein Werk von nationalem Interesse mit all seinen Vor- und Nachteilen auf ihrem Territorium toleriert, in ihrer Solidarität gegenüber dem Land nicht als übertrieben gutmütig, allenfalls sogar als dumm da? Möglicherweise unterstreicht das Abstimmungsergebnis Wellenberg-2 das besondere Gewicht dieser Frage in unserer direkten Demokratie, vor allem, wenn man sie mehrmals stellt.
Aus der Sicht der SVA ist nach diesem Abstimmungsergebnis eine grundsätzliche Standortbestimmung fällig. Die neue Ausgangslage und die realistischen Handlungsoptionen zur Lösung der Entsorgungsaufgabe sind politisch, technisch und wirtschaftlich klarzulegen, breit zu diskutieren und verständlich zu kommunizieren. Folgerichtig haben die Betreiber der Kernkraftwerke am Abend des Nidwaldner Abstimmungssonntags kundgetan, dass sie für die Diskussion der vorhandenen Handlungsoptionen ein Gespräch mit dem Bundesrat verlangen. Sie werden auf die Schaffung klarer gesetzlicher Rahmenbedingungen drängen, welche die Lösung des Entsorgungsauftrags auch politisch ermöglichen.
Zur Standortbestimmung gehört zunächst die zentrale Tatsache, dass der Nidwaldner Entscheid die Sicherheit bzw. die umweltgerechte Lagerung der radioaktiven Abfälle und damit den Betrieb der Kernkraftwerke in keiner Weise tangiert. Die Zwischenlager, einschliesslich das zentrale Zwilag in Würenlingen, bieten genügend Kapazität für die gesamte Lebensdauer der Kernkraftwerke. Aus technischer Sicht, namentlich unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit, besteht keinerlei Zeitdruck. Trotzdem: Aus politischen - einschliesslich umweltethischen - Gründen und im Interesse der wirtschaftlichen Planbarkeit ist die Lösung der Endlagerung bzw. der geologischen Tiefenlagerung weiterhin mit Engagement und zügig voranzubringen.
Es ist verständlich, dass der Nationalrat am Tag nach der Wellenberg-Abstimmung in der Debatte über das Kernenergiegesetz die Mitbestimmung der Region im Bewilligungsverfahren für geologische Tiefenlager in Form einer dreistufigen zusätzlichen Konzessionspflicht der Standortkantone festschrieb. Zweifellos denkt niemand im Ernst daran, in der Schweiz ein Lager für radioaktive Abfälle gegen den Willen der lokalen Bevölkerung zu realisieren. Bei eingehender Abwägung bestehen aber erhebliche Zweifel darüber, ob ein wie auch immer ausgestaltetes gesetzliches Vetorecht der Kantone eine weise Lösung des Problems der demokratischen Abstützung der Lagerung radioaktiver Abfälle sei. Mit Blick auf Benken im Zürcher Weinland kam der Zürcher Kantonsrat im Winter 2001 bemerkenswerterweise mit 99:59 Stimmen klar zum Schluss, ein Vetorecht des Kantons und damit die Möglichkeit der kantonalen Blockade eines nationalen Abfalllagers sei abzulehnen. Zum gleichen Schluss kam der Ständerat, der Gralshüter der Interessen der Kantone, in seiner Kernenergiedebatte im Dezember 2001. Dass es demokratische Wege zur Realisierung von Endlagern tatsächlich gibt, zeigt die Erfahrung im Ausland, namentlich in Finnland und in den USA.
Die sehr umfangreichen Arbeiten der Nagra seit den siebziger Jahren erlauben die Feststellung, dass die Wissenschaft und die Technik ihre Hausaufgaben auf dem Weg zur Lösung der nachhaltigen Entsorgung gemacht haben. Mit dem bevorstehenden Abschluss des Entsorgungsnachweises der Nagra werden diese grundsätzlichen Arbeiten abgerundet. Dagegen muss festgestellt werden, dass die Politik ihre Aufgabe, den praktikablen Rahmen zur Realisierung der nötigen Entsorgungsanlagen bisher nicht gelöst hat. Deshalb ist die gelegentlich vorgebrachte Idee absurd, die Entsorgung der radioaktiven Abfälle sei den Verursachern aus der Hand zu nehmen. Was dagegen zu fordern ist, ist ein ganz anderes, ernsthafteres Engagement der Politik, ein klarer politischer Wille, die Entsorgungsaufgabe im Rahmen der real existierenden Gesellschaft praktisch zu lösen.
Als Gegenpart zu dieser Forderung an die Politik und als Voraussetzung für die Festlegung eines konkreten, praktikablen Bewilligungsverfahrens ist die Erwartung an die Kernkraftwerksbetreiber abzusehen, dass sie in der neuen Lage nach dem 22. September 2002 zügig ein unzweideutiges Entsorgungs-Gesamtprogramm ohne das Projekt Wellenberg festlegen. Dies nicht zuletzt im Interesse der Kostenplanung, namentlich für die Speisung des Stilllegungs- und des Entsorgungsfonds.
Die Kernkraftwerksbetreiber haben seit je engagiert an der Entsorgungsaufgabe gearbeitet. Sie haben nicht nur das nötige Know-how und die erforderlichen finanziellen Mittel, sondern auch den Willen, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Die Fachwelt kann die Entsorgung aber nicht allein, sondern nur zusammen mit der Politik lösen. Besonders von dieser Seite ist jetzt ein seriöses, neues Engagement gefordert, um zu praktisch umsetzbaren Lösungen zu kommen.

Quelle

P.H.

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