Erstmalige chemische Untersuchung von Bohrium

Die Forschung auf dem Gebiet der schwersten Elemente beschäftigt sich mit der Frage, ob noch unentdeckte chemische Elemente existieren und falls ja, welche physikalischen und chemischen Eigenschaften sie besitzen.

30. Sep. 1999

Diese Forschungsrichtung hat in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt. Der Grund liegt in den theoretischen Vorhersagen, dass es erstens noch langlebige Isotope dieser Elemente geben soll, die viele Jahre, wenn nicht sogar Jahrtausende existieren, und dass zweitens wegen so genannter relativistischer Effekte die chemischen Eigenschaften derart schwerer Elemente nicht mehr dem Ordnungsprinzip des Periodensystems gehorchen. Damit würde sozusagen das Grundprinzip der Chemie, das dem Aufbau des Periodensystems zu Grunde liegt, verletzt.
In der Tat haben kürzlich Wissenschaftler aus Dubna (Russland) in Kollaboration mit Kollegen aus Livermore (USA) Isotope der Elemente 110, 112 und 114 mit Lebensdauern von bis zu 15 Minuten entdeckt (Nature 1999, 400, 242-245). Da sich die identifizierten Isotope noch nicht im Zentrum der vorhergesagten maximalen Lebensdauern befinden, sind die Chancen gross, in zukünftigen Experimenten noch längerlebige Isotope zu finden.
Bei den Entdeckungsexperimenten neuer Elemente wird nur deren Existenz bewiesen, ohne Aussagen über chemische Eigenschaften gewinnen zu können. Will man also ein neues Element im Periodensystem positionieren - und es damit in den Verbund der chemischen Elemente aufnehmen - so müssen dazu chemische Untersuchungen durchgeführt werden.
Das schwerste Element, mit dem bisher Chemie gemacht wurde, ist Seaborgium (Element 106). Aus chemischer Sicht endet deshalb zur Zeit das Periodensystem bei diesem wolframähnlichen Element (Seaborgium ist ein Übergangselement der 6. Gruppe, zu der Molybdän und Wolfram gehören).
In einer internationalen Kollaboration von Radiochemiegruppen der Schweiz (Paul Scherrer Institut und Universität Bern), des Lawrence Berkeley National Laboratory aus den USA, des Flerov Laboratory for Nuclear Reactions aus Dubna, Russland, der Gesellschaft für Schwerionenforschung aus Darmstadt und dem Forschungszentrum Rossendorf, Deutschland, wird an einem Beschleuniger des Paul Scherrer Instituts zur Zeit erstmals erfolgreich ein Chemie-Experiment mit Bohrium (Element 107) durchgeführt. In dem noch laufenden Experiment wurden nach der Hälfte der etwa einmonatigen Strahlzeit bereits vier Atome von Bohrium nach einer chemischen Trennung eindeutig identifiziert. Frühere Versuche, dieses Element in Berkeley und Dubna zu untersuchen, waren fehlgeschlagen.
Bei dem PSI-Experiment wird das chemische Verfahren OLGA verwendet. Dabei handelt es sich um eine kontinuierliche gaschemische Verflüchtigungstechnik (OLGA: On-Line Gaschemistry Apparatus). Im Falle des Elements Bohrium wird ausgenützt, dass sich dieses voraussichtlich zur 7. Gruppe des Periodensystems gehörende Element ähnlich verhält wie die leichteren Homologen Rhenium und Technetium, die beide in einem geheizten, sauerstoffhaltigen und chlorierenden Gasstrom (Salzsäuregas) sehr flüchtige Moleküle bilden.
Technetium ist im System OLGA unter diesen Bedingungen bereits bei 50°C und Rhenium bei 75°C flüchtig. Im laufenden Experiment mit Bohrium konnte gezeigt werden, dass unter identischen chemischen Bedingungen Bohrium bei 180°C flüchtig ist. Vorexperimente haben gezeigt, dass dabei kein anderes schweres Element flüchtig ist.
Dank einer extrem empfindlichen Messtechnik, bei der jedes isolierte Atom mittels hoch auflösender Alphaspektroskopie auf seine Zerfallseigenschaften hin untersucht wird, konnte diese Untersuchung mit nur wenigen Atomen erfolgreich durchgeführt werden. Dies war notwendig angesichts der geringen erwarteten und nun gefundenen Produktionsrate dieses Elements von etwa drei Atomen pro Tag Strahlzeit am Beschleuniger. Zur Synthese des für die Untersuchung gewählten Isotops (Bohrium mit der Massenzahl 267, Halbwertszeit ca. 20 Sekunden) wurde die Verschmelzungsreaktion (Fusion) von hochenergetischen Neonionen (Massenzahl 22) mit einer hochradioaktiven Zielscheibe (Target), bestehend aus Berkelium (Massenzahl 249) gewählt. Das in Europa nicht erhältliche Berkelium wurde nach Genehmigung durch das Department of Energy (DOE) der USA durch das Lawrence Berkeley National Laboratory gratis für dieses Experiment zur Verfügung gestellt. Der kommerzielle Wert dieses exklusiven Materials beträgt für die zur Verfügung gestellten Targets (weniger als 1 Milligramm) einige hunderttausend Schweizer Franken. Für das Experiment wurden am PSI-Zyklotron erstmals über mehrere Wochen hochintensive Ionenstrahlen von Neon erfolgreich beschleunigt (Intensität 3 x 1012 Teilchen pro Sekunde). Erwähnt sei auch die exzellente Zusammenarbeit zwischen den Experimentatoren und dem Strahlenschutz des PSI, galt es doch, ein hochradioaktives Target unter höchsten Sicherheitsanforderungen einem intensiven Ionenstrahl auszusetzen.

Quelle

H. Gäggeler

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