Europäischer Gerichtshof: Urananreicherung ist Umwandlung

In einem Grundsatzentscheid hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg entschieden, dass es sich bei der Urananreicherung nicht um die Herstellung eines Erzeugnisses, sondern bloss um die Umwandlung eines vorhandenen Produkts – konkret von Spaltstoff – handelt.

11. Sep. 2006

Somit fällt die Anreicherung gemäss dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) nicht in die Zuständigkeit der Europäischen Versorgungsagentur, wenn sie zwar in der EU erfolgt, aber das spaltbare Material aus einem Drittstaat oder von einer zwischenstaatlichen Einrichtung stammt und dorthin oder einem anderen Empfänger ausserhalb der EU zurückgegeben wird. In einem solchen Fall müssen die Beteiligten lediglich den Vorgang sofort nach Vertragsunterzeichnung der Euratom-Versorgungsagentur melden. Wie der Gerichtshof feststellt, hat er mit seinem Entscheid eine heikle und wichtige Frage geklärt, die seit Jahrzehnten für Uneinigkeit sorgte.

Verwickelte Vorgeschichte

Der Entscheid fiel im Zusammenhang mit zwei zivilrechtlichen Verfahren wegen Streitigkeiten zwischen der Nucleares do Brasil SA (INB), der Siemens AG, der UBSAG und der Texas Utilities Electric Corp. (TUEC) über die Herausgabe von Behältern mit angereichtem Uran. Den Streitigkeiten ging eine Lieferung von Natururan und schwach angereichertem Uran durch die INB an die Urenco voraus, die es auf Rechnung der INB anreicherte und vertragsgemäss zur Siemens AG nach Hanau in Deutschland bringen Hess, wo es eingelagert wurde und sich immer noch befindet.
Da die INB für das Uran vorübergehend keine Verwendung hatte, schlosssie im März 1994 einen Leihvertrag mit der Nuexco Exchange AG in Ölten (Schweiz) ab. Demnach sollte die INB der Nuexco nach und nach angereichertes Uran liefern. Im Gegenzug verpflichtete sich diese, eine Ausleihvergütung zu leisten und später der INB gleichartiges Uran zurückzuliefern. Die Lieferungen erfolgten durch Umbuchung auf den Lagerbeständen bei der Siemens. Für die Rechnung der Nuexco in Ölten wurde in der Folge auch das zur gleichen Gruppe gehörende Unternehmen Nuexco Trading Corp. in Denver (USA) tätig.
Nach einer ersten Zahlung konnte die Nuexco jedoch im Spätsommer 1994 die Rücklieferungsverpflichtung an die INB nicht einhalten. 1995 geriet die Nuexco Trading in den USA in Konkurs und 1996 auch die Nuexco Exchange in der Schweiz. Als Folge erhob die INB in Deutschland gegen Siemens Klage zur Herausgabe eines Teils des eingelagerten Urans. Auch die UBS erhob Klage, da sie 1989 von der Nuexco in Ölten ein Pfandrecht auf allen Uranbeständen dieser Firma erhalten hatte. Schliesslich klagte noch die TUEC auf Herausgabe von Uran, weil sie 1992 mit der Nuexco in Denver einen Leihvertrag abgeschlossen hatte.

Rolle des Euratom-Vertrags

Jede der Übertragungen - von der INB an die Urenco, von dieser an die Siemens, die Ausleihe an die Nuexco, die Verpfändung an die UBS sowie die Übereignung an die TUEC - waren den Bestimmungen des Euratom-Vertrags unterworfen. Demnach mussten die verschiedenen Parteien mindestens die Euratom-Versorgungsagentur über die Vorgänge informieren. Je nach Vertragsauslegung hätte dies indessen nicht genügt und die EU-Kommission hätte die Übertragungen oder mindestens einen Teil davon genehmigen müssen, um rechtens zu sein.
Angesichts dieser Unklarheit setzte der für die zivilrechtliche Auseinandersetzung um das Eigentum angerufene deutsche Obergerichtshof Oldenburg die Verfahren aus, um dem europäischen Gerichtshof verschiedene Fragen zur Vorentscheidung vorzulegen. Die wichtigste war, ob die Begriffe Aufbereitung, Umwandlung oder Formung gemäss Artikel 75, Absatz 1 des Euratom-Vertrags die Urananreichung umfassen. Mit den am 12. September 2006 bekannt gegebenen Entscheiden ist diese Frage jetzt geklärt. Auch hat der europäische Gerichtshof festgestellt, dass ein Unternehmen ohne Sitz in der EU auch dann als nicht in der EU tätig zu betrachten ist, wenn es mit Unternehmen oder Personen in der EU eine Geschäftsbeziehung unterhält. Im Weiteren wird bei einer Übertragung spaltbaren Materials zur Aufbereitung, Umwandlung oder Formung nicht die stoffliche Identität vorausgesetzt. Es genügt laut dem Gerichtshof, wenn die angelieferten Materialien sich in Qualität und Menge entsprechen. Ebenso steht einem Eigentumsübertrag bei der stofflichen Weitergabe nichts entgegen.

Quelle

P.B. nach Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteilspublikationen C-123/04 und C-124/04, 12. September 2006

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