Frankreichs Kernenergie im 21. Jahrhundert aus Expertensicht

Trotz rauem Umfeld, das auch vor der französischen Nuklearindustrie nicht halt macht, wird in unserem westlichen Nachbarland nach wie vor mit erfreulicher Energie an mittel- und langfristigen Strategien für die nukleare Stromversorgung gearbeitet.

5. Dez. 2000

Dies wurde an der Tagung «Quelles attentes et quels concepts pour les réacteurs electronucléaires du 21e siècle?», welche die SVA-Schwesterorganisation Société française d'énergie nucléaire (SFEN) am 5. und 6. Dezember 2000 in Paris durchführte, eindrücklich demonstriert.

Eingeführt vom früheren französischen Verteidigungsminister und jetzigen Abgeordneten Robert Galley diskutierten über 150 Fachleute, mit wenigen Ausnahmen französischer Herkunft, mittel- und langfristig mögliche nukleare Stromerzeugungsketten.

Forschungs- und Entwicklungsarbeit zur Optimierung von Brennstoffkreisläufen wird vor allem im Rahmen des französischen Abfallentsorgungs-Gesetzes vom 30. Dezember 1991 vorangetrieben (den Teilnehmern am SVA-Vertiefungskurs «Neue Entwicklungen im Brennstoffkreislauf» vom Herbst 1999 wurde dieses Gesetz von seinem Autor, dem französischen Parlamentarier Christian Bataille, persönlich vorgestellt). Wesentlich ist hier, dass nukleare Brennstoffkreisläufe als Ganzes angeschaut werden und eine Minimierung der resultierenden Inventare an Plutonium und höheren Aktiniden erreicht wird. An der Tagung wurde deutlich, dass trotz wirtschaftlichem und politischem Gegenwind die französische Nuklearindustrie ihre Strategie weiter auf die Wiederaufarbeitung von abgebrannten Kernbrennstoffen baut. Mit einfacher Rezyklierung und Leichtwasserreaktor-Mox-Strategie kann die EDF beispielsweise in den nächsten paar Jahren ihr Plutoniuminventar stabilisieren. Langfristig werden immer noch Schnelle Reaktoren und Mehrfachrezyklierung anvisiert.
Weiter vorgestellt wurden auch detaillierte Konzepte für den Einsatz beschleunigerbasierter Reaktoren («Rubbiatoren»). Sie sollen als Schnelle Systeme zur Verbrennung von unerwünschten Nukliden eingesetzt werden. Das benötigte Beschleunigersystem eines solchen Reaktors führt offenbar zu Mehrkosten gegenüber einem vergleichbaren kritischen Schnellen System in der Grössenordnung der einfachen Errichtungskosten. Dabei scheinen die Sicherheitsvorteile des Rubbiators - ohnehin nur für den Reaktivitätsunfall vorhanden - nicht offensichtlich zu sein. Ein Probabilistik-Experte des Institut de protection et de sûreté nucléaire (IPSN) formulierte es so: «Die äusserst kleine Wahrscheinlichkeit, dass schwerkraftgetriebene Abschaltstäbe nach Abschalten der Haltemagnete den Reaktor nicht unterkritisch machen, wird durch die äusserst kleine Wahrscheinlichkeit ersetzt, dass der Protonenstrahl des Beschleunigersystems nicht abgeschaltet werden kann. Alles andere bleibt im Wesentlichen gleich.» An der Tagung wurde man den Eindruck nicht los, dass ein Rubbiator noch lange ein Papierprodukt bleiben wird.

Ein eigentlicher Tagungshöhepunkt und auch für viele erfahrene Teilnehmer überraschend war die von verschiedenen Vortragenden dargestellte Renaissance der gasgekühlten Hochtemperatur Reaktoren. Noch Ende der 80er-Jahre hatte man zur Kenntnis nehmen müssen, dass diese Technik zwar gut funktioniert, sich aber wirtschaftlich nicht durchsetzen konnte. Nun scheinen eigentliche
Technologiesprünge im konventionellen Bereich eines HTR-Kraftwerks die Wirtschaftlichkeit solcher Systeme wesentlich zu verbessern. So arbeitet der gemeinsam von General Atomics, Framatome ANP, Fuji Electric und russischen Instituten entwickelte GT-MHR (Gas Turbine Modular Helium Reactor) mit einer Hochtemperatur-Gasturbine (850°C am Eintritt), was einen zusätzlichen Wasserdampfkreis
lauf überflüssig macht. Bemerkenswert sind auch konstruktive Details der verwendeten Hochtemperatur-Turbine wie z.B. Magnetlager für die Antriebswelle: Dies vermindert die Verschmutzung des Kühlkreislaufs und Reibungsverluste. Insgesamt sollen Netto Wirkungsgrade von 47% erreicht werden. Mit elektrischen Blockleistungen von 284 MW sind solche GT-MHR gerade für Länder wie die Schweiz
sicher hoch interessant. Dazu kommt ein proliferationsresistenter Brennstoffkreislauf mit sehr hohen Abbränden von deutlich über 100 GWd/t und eine sehr hohe, von der amerikanischen Sicher heitsbehörde NRC anerkannte Systemsicherheit. Im Moment laufen zwei Versuchsreaktoren in China und Japan; eine Realisierung eines GT-MHR-Prototyps in den nächsten zehn Jahren ist denkbar.

Keinesfalls vergessen wurden an der Tagung die evolutionären Leichtwasserreaktoren. Bei der französischen Nuklearindustrie steht hier der European Pressurized Water Reactor (EPR) von Framatome ANP im Vordergrund. Die Electricité de France (EDF) verfolgt aber auch aktiv verschiedene Konkurrenzprojekte von General Electric, Westinghouse und russischen Herstellern. Trotz momentan
genügenden Produktionskapazitäten geht man bei EDF zum Zweck des Know-How-Erhalts von einer
EPR-Bestellung in den nächsten Jahren aus. Illusionsfrei stellt man aber fest, dass eine solche Bestellung kaum vor den nächsten französischen Präsidentschaftswahlen erfolgen wird.

Quelle

H.K.

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Zur Newsletter-Anmeldung

Profitieren Sie als Mitglied

Werden Sie Mitglied im grössten nuklearen Netzwerk der Schweiz!

Vorteile einer Mitgliedschaft