Jahresversammlung 2011 des Nuklearforums Schweiz: «Kernenergie: eine Glaubensfrage?»
Die diesjährige Jahresversammlung des Nuklearforums Schweiz am 5. Mai 2011 in Bern – mit rund 150 Teilnehmenden aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung – stand ganz im Zeichen der öffentlichen Meinung zur Kernenergie. Im Licht von Fukushima wurden die Kommunikation zu diesem Thema in Deutschland, der Umgang damit in Schweizer Medien sowie die Möglichkeiten der politischen Einflussnahme erörtert. Dabei wurde auch Kritik an Medien und Politik laut.

In ihrer Begrüssungsansprache zur Jahresversammlung des Nuklearforums wies Präsidentin Corina Eichenberger darauf hin, dass sich an den Fakten zur Kernenergie in der Schweiz nach dem Fukushima-Unfall nichts geändert hat. Verändert hat sich einzig die politische Diskussion über diese Fakten. «Die Schweizer Kernkraftwerke sind nach dem Tsunami ebenso sicher wie vorher» betonte Eichenberger. Die Ereignisse in Japan stellen jedoch alles in Frage, was bisher galt, so auch die Energiepolitik des Bundesrates. Bis auf die höchsten Ebenen der Politik ist rationales Nachdenken Emotionalität und Opportunismus gewichen, was viele Schweizerinnen und Schweizer verunsichert. Deshalb rief sie zu Besonnenheit auf. Das Nuklearforum verfügt über die nötigen Fakten, um das Informationsbedürfnis der Bevölkerung zu stillen. Dafür braucht es keine neuen Botschaften: «Wir sagen Ja zur Kernenergie und zur Wasserkraft. Wir sagen Ja zu den neuen erneuerbaren Energien, soweit sie natur- und wirtschaftsverträglich sind. Wir sind offen für alle tauglichen Lösungen unseres Energieproblems». Nationalrätin Eichenberger sprach bei dieser Gelegenheit den Mitarbeitenden der Kernkraftwerke ihren Dank aus – dafür, dass sie trotz medialem Dauerbeschuss Tag und Nacht unsere Stromversorgung sicherstellen. In der aktuellen Verwirrung ist eines sicher: wie auch immer die zukünftige Energiepolitik unseres Landes aussehen wird, es wird kein Spaziergang werden.
Mathias Schuch: Wenn der Kopf versucht, mit dem Bauch zu reden
Im ersten Referat der diesjährigen Jahresversammlung zog der Leiter der Unternehmenskommunikation der deutschen Areva NP GmbH, Mathias Schuch, erste Lehren aus den Ereignissen in Japan. Nach dem Unfall in Fukushima ging laut Schuch in der Berichterstattung deutscher Medien die Verhältnismässigkeit so weit verloren, dass sich sogar der japanische Botschafter öffentlich darüber beklagte. Hinzu kommt, dass die Kampagnen der Kernenergiegegner immer wirkungsvoller werden und gerade in Zeiten der Angst die Kommunikation der Befürworter aushebeln. «Wir müssen uns zumindest in Deutschland eingestehen, dass wir, wenn es um unseren Branchenzweck geht, auf dünner werdendem Eis wandeln. Und gewiss nicht, weil unsere Argumente schlecht sind, sondern die Kampagnen der Gegner wirkungsvoller», so Schuch zu diesem Umstand. Zuvor hatten Energieversorger und Industrie sich über Jahre mit sachlichen Argumenten Gehör verschafft und politische Mehrheiten für die Kernenergie geschaffen. Sprachen sich in Deutschland noch vor Jahresfrist Politiker der Regierungskoalition mehrheitlich für die Kernenergie aus, übertreffen sich nach Fukushima alle Parteien gegenseitig mit ihren Forderungen nach dem schnellstmöglichen Ausstieg.
Die deutsche Atomdebatte im Wandel der Zeit
In Deutschland wurde die Kernenergie bald nach ihrer Einführung zum politischen Zankapfel. In den 1960er-Jahren schwappte die Umweltschutzbewegung aus den USA auf Europa über und es bildeten sich die ersten militanten Gruppierungen. Zukunftsängste begannen, den Technik- und Fortschrittsglauben abzulösen, und in den 1970ern hielt die Umweltbewegung mit der Gründung der Grünen in der deutschen Politik Einzug. Nach dem Unfall von Tschernobyl erhielt die westeuropäische Anti-Atom-Bewegung zusätzlichen Aufwind und in Deutschland wurde das Atomgesetz angepasst. Daneben tauchten in Wellen die Themen Proliferation, Gefährdung durch geringe Strahlung, Entsorgung und nicht zuletzt die Bedrohung durch Flugzeugabsturz auf. All das führte in der deutschen Politik zum Verlust des politischen Konsenses in der Kernenergiefrage. Bei der Frage nach dem Grund für diesen Konsensverlust wurde Schuch selbstkritisch und fragte sich rückblickend, ob die Kernenergiebefürworter die richtigen Bewertungen vorgenommen und die richtigen Themen gesetzt haben. Eine Frage, die Schuch zumindest teilweise verneinte. Zum einen hat man die Anti-Atom-Bewegung unterschätzt. Aber auch die Botschaften sind nicht immer die richtigen gewesen: «Alle Zweifel an unserer Technik und auch Unfälle beantworten wir mit Ingenieur-Sachverstand und erwarten, damit in der Öffentlichkeit durchzudringen». Daneben gelang es der Industrie nicht, wichtige Verbündete wie Gewerkschaften auf ihrer Seite zu halten und die ethische Diskussion über Kernenergie zu ihren Gunsten zu lenken. Für letzteres reicht es nicht, ständig bloss das niedrige Risiko zu betonen. Schliesslich hatte die Branche keine passende Reaktion auf die aggressive Taktik der Antinuklearen parat, was sich nicht zuletzt im breiten Medienecho dieser Angstmacherei ausdrückte.

Herausforderung für die Kernenergiekommunikation
In diesem von irrationalen Zweifeln und gezielt geschürten Ängsten geprägten kommunikativen Umfeld geniessen die Befürworter und Vertreter der Kernenergie nur noch wenig öffentliches Vertrauen. In Deutschland möchten nach aktuellen Umfragen fast 80% der Bevölkerung möglichst schnell alle Kernkraftwerke abstellen. Obwohl sich in all die kritischen Stimmen auch differenzierte Betrachtungen mischen, steht die Branche vor neuen Herausforderungen in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Dabei gilt es, klare Positionen zu verschiedenen Fragen zu beziehen: «Warum ist die Kernenergie weiterhin verantwortbar? Zählt ein Unfall wie Fukushima zum Restrisiko, mit dem sich unsere moderne Industriegesellschaft abfinden muss? Wie wichtig ist die Kernenergie für unsere zukünftige Energieversorgung? Was sind die Alternativen?» An dieser Stelle betonte Schuch, dass ein Entweder-oder zwischen Kernenergie und Erneuerbaren keinen Sinn macht. Wer für Kernenergie einsteht, muss glaubwürdig darstellen können, dass Unfälle wie in Fukushima in deutschen Anlagen nicht geschehen können. Man muss sich der Fragen und Sorgen der Bevölkerung ernsthaft annehmen und den Dialog aktiv anbieten. Dies gilt im Übrigen für alle Energieträger und grosse Infrastrukturprojekte. Es ist deutlich geworden, dass nach Fukushima insbesondere die Kommunikation über Kernenergie anders angegangen werden muss, denn «You can't fight emotions with facts».
Roger Köppel: Die grosse Hexenjagd
Roger Köppel, Verleger und Chefredaktor der Weltwoche, verglich in seinem Referat die Medienberichterstattung zur Kernenergie mit der Hexenjagd auf die Gentechnik in den 1990er-Jahren. Er kritisierte die Schweizer Medien heftig für ihre einseitige Berichterstattung vor und vor allem nach den tragischen Ereignissen in Japan. Nach Köppels Ansicht ging nach dem 11. März 2011 bei Berichten zum Thema Kernenergie jeglicher Massstab verloren, es wurde geradezu eine Katastrophenstimmung verbreitet und die Apokalypse heraufbeschworen. Diese journalistische Katastrophenindustrie bezeichnete die Weltwoche als «Kernschmelze der Vernunft». Gegenhalten gehört zum Programm der Weltwoche und Köppel fühlt sich verpflichtet, mit seiner Zeitschrift dem «journalistischen Mainstream» Gegensteuer zu geben.
Die Schweiz ist nicht Japan
Köppel hielt der Schweizer Medienlandschaft in einer leidenschaftlichen Rede den Spiegel vor. Er bemängelte die fehlende Relativierung der Ereignisse und warf seinen Kollegen Desinformation vor. Die Opfer des Erdbebens und des Tsunamis waren schnell vergessen und im «Einheitsbrei» der Berichterstattung wurden mit dem Mythos Strahlung Angst-Szenarien erschaffen. Der «bösen und verlogenen Atomlobby» standen dabei unkritisierte «Atom-Experten» von Greenpeace und ähnlichen Organisationen gegenüber. Dass die Situation in der Schweiz mitnichten mit Japan zu vergleichen ist, ging dabei meistens unter. Gründe für diese Entwicklung sah Köppel im Umstand, dass die Anti-Atom-Bewegung aus der Friedensbewegung hervorgegangen war und deshalb heute weitgehend gut akzeptiert ist. Darüber hinaus arbeiten heute auf den Redaktionen nicht wenige ehemalige und immer noch aktive Friedens- und Umweltaktivisten. Köppel appellierte weiter an die Verantwortung der Medien aufgrund ihres Einflusses auf Meinungsbildung und Politik. Die kollektive Überschätzung der nuklearen Risiken in Kombination mit der Überschätzung der erneuerbaren Energien im Allgemeinen birgt vor diesem Hintergrund erhebliche Gefahr für die Debatte über die Energiepolitik.
Atomlobby als David im Kampf gegen Goliath?
Abschliessend kam Köppel auf die Atomlobby und die an ihr geäusserte Kritik zu reden. Dabei griff er einen Vergleich seines Vorredners auf, dem er widersprach: In Köppels Augen sind es die Kernenergiebefürworter, die als David dem übermächtigen Goliath in der Person der Anti-Atom-Bewegung und der meisten Medien gegenüberstehen und sich mit «Geschick und Listigkeit» wehren müssen. Das Rezept dafür lieferte Köppel gleich mit: Die sogenannte Atomlobby muss stärker und dezidierter auftreten, sie muss plakativ sein und auch mal provozieren.

Chantal Balet: Der Einfluss politischer Kampagnen auf die öffentliche Meinungsbildung
Chantal Balet, die Präsidentin der Fédération romande pour l'énergie (FRE), erläuterte den Gästen, welchen Einfluss eine politische Kampagne auf die öffentliche Meinung haben kann. Sie stellte von Anfang weg klar, dass eine Kampagne im Meinungsbildungsprozess lediglich ein Element unter vielen ist und die Entscheidung nicht selbst ausmacht, sondern nur beeinflusst. Balet veranschaulichte ihre Ausführungen mit dem Stimmverhalten der Bürgerinnen und Bürger der Romandie bei der Kosa-Initiative (Initiative Nationalbankgewinne für die AHV) von 2006 und bei der Atom-Ausstiegsinitiative von 2003. Gegen beide Initiativen wurden umfangreiche und erfolgreiche Kampagnen geführt. Abschliessend merkte die ehemalige Direktorin der Westschweizer Sektion der economiesuisse an, dass auch politische Kampagnen dem Wandel der Zeit unterstehen und die Mechanismen der immer schnelllebigeren Welt angepasst werden müssen. «Man stimmt heute ab, wie man konsumiert: mit einem Klick» gab sie mit Blick auf das Internet zu denken, und stellte die Frage nach der Zukunft der direkten Demokratie, der Kultur und des Bürgersinns in den Raum.

Quelle
M.Re.