Kernenergie: unentbehrlicher Baustein im umweltschonenden Strommix

An der Jubiläumsveranstaltung zum 50-jährigen Bestehen des Nuklearforums Schweiz am 29. Mai 2008 im Musée Olympique in Lausanne warnten führende Vertreter der Wirtschaft eindringlich vor unfruchtbaren Grabenkämpfen rund um die Kernenergie. In Anwesenheit von Bundespräsident Pascal Couchepin machten sie deutlich, dass die Kernenergie als Teamplayer in die erneuerbaren Energien eingebettet ist und den unverzichtbaren Grundpfeiler einer zuverlässigen, umweltfreundlichen und wirtschaftlichen Stromversorgung bildet.

9. Juni 2008
Grussbotschaft des Bundespräsidenten Pascal Couchepin: gespannte Zuhörer.
Grussbotschaft des Bundespräsidenten Pascal Couchepin: gespannte Zuhörer.
Quelle: Nuklearforum Schweiz / Thai Christen

In seiner Grussadresse im Namen des Bundesrats beglückwünschte Bundespräsident Couchepin das Nuklearforum Schweiz zu seinem Jubiläum und zu der in den vergangenen 50 Jahren geleisteten Arbeit. Die Landesregierung setze sich konsequent für den Weiterbetrieb der bestehenden Anlagen ein, solange deren Sicherheit gewährleistet ist, versicherte er.

Couchepin machte deutlich, dass die Kernenergie auch in Zukunft ein unverzichtbares Element für die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz bleiben wird. Das Energie- und das Klimaproblem seien enorme Herausforderungen, und der Bundesrat habe dazu eine klare Entscheidung getroffen: «Die Kernenergie ist nicht die alleinige Lösung, aber ein Teil der Lösung.» Die Kernenergie habe ihre Zuverlässigkeit bewiesen und entwickle sich kontinuierlich weiter. Wie die Wirtschaft befürworte auch der Bundesrat den Neubau von Kernkraftwerken. Die Entscheidung liege hier aber zunächst bei der Stromwirtschaft und schliesslich beim Volk.

Aufruf zur Sachlichkeit bei allen Stromerzeugungstechniken

Der Bundesrat unterstütze ohne Vorbehalt die Ziele des Nuklearforums Schweiz und seiner Mitglieder, versicherte der Bundespräsident. Nötig sei jetzt eine von Verantwortung und Sachlichkeit getragene öffentliche Debatte, so wie er sie hier in Lausanne im Nuklearforum angetroffen habe. Diese Sachlichkeit gelte aber nicht nur für die Kernenergie, sondern auch für die Bewertung der neuen erneuerbaren Energien: «Wir sollten nicht in eine unkritische Begeisterung verfallen, wie sie vielleicht vor 50 Jahren bei der Kernenergie herrschte», mahnte Couchepin. «Die neuen erneuerbaren Energien sind zwar nötig, doch wenn wir genau hinsehen, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass ihre Ökobilanz nicht immer günstig ist - auch wenn in der Öffentlichkeit ein anderes Bild vorherrscht.»

Pellaud: Chance für «aufgeklärte Grüne»

In seiner Ansprache erinnerte Nuklearforumspräsident Bruno Pellaud daran, dass in den 1960er-Jahren breite Kreise vehement für den Einstieg in die Kernenergie eintraten - aus Gründen der Versorgungssicherheit, aber auch unter dem Hinweis auf die Schonung der Umwelt. Zu den Promotoren der Kernenergie gehörten damals auch der sozialdemokratische Energieminister Willy Spühler und der Schweizerische Naturschutzbund. An ihre Stelle seien heute die Neinsager getreten, bedauerte Pellaud, «jene, die alles ablehnen - Kernkraftwerke, Gaskraftwerke, Kohlekraftwerke und bald wohl auch Grossparks von Windrädern auf den Jurahöhen und in der Rhoneebene.» Pellaud zeigte sich überzeugt, dass die Schweizer Bevölkerung die grossen Vorteile der Kernenergie für die Versorgungssicherheit und für die Schonung von Umwelt und Klima erkennen und dem Bau neuer Kernkraftwerke zustimmen wird - im Verbund mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien.

Nuklearforumspräsident Bruno Pellaud: Aus Umweltschützern wurden Neinsager.
Nuklearforumspräsident Bruno Pellaud: Aus Umweltschützern wurden Neinsager.
Quelle: Nuklearforum Schweiz / Thai Christen

Im kürzlich eingeleiteten Standortwahlverfahren für die Tiefenlager für radioaktive Abfälle sieht Pellaud die Chance «für aufgeklärte Grüne, die sich von den Opportunisten zur Linken und Rechten absetzen und sich für eine sachbezogene und ideologiefreie Lösung der Langzeitlagerung einsetzen». Vorbild könnten die Grünen in Finnland sein, die 2001 Hand zur Festlegung des finnischen Lagerstandorts geboten hatten. «Welcher Grüne», fragte Pellaud, «wird den ersten solchen Schritt à la finlandaise wagen»?

Leonardi: Kernenergie im Verbund mit Wasser, Wind und Sonne

«Die Kernenergie ist nicht allein auf der Welt, sondern bildet ein starkes Paar mit der Wasserkraft», erklärte Giovanni Leonardi, CEO der Aare-Tessin AG für Elektrizität (Atel). «Und je mehr unregelmässig anfallende Sonnen- und Windenergie dazukommt, desto wichtiger wird das Teamwork von Wasserkraft und Kernenergie zum Ausgleich der Produktionsschwankungen.» Zu diesen Vorteilen komme die gute Ökobilanz der Kernenergie: «Die Luft bleibt rein. Die Kernenergie braucht wenig Platz und lässt der Natur ihren Raum. Sie benötigt vergleichsweise wenig Rohstoffe, sie ist wirtschaftlich und zeichnet sich durch eine hohe Verfügbarkeit aus.»

Giovanni Leonardi: «Der Strommix der Schweiz ist einzigartig. Er ist - wie von der Bundesverfassung verlangt - ausreichend, breit gefächert, sicher, wirtschaftlich, umweltverträglich und effizient.»
Giovanni Leonardi: «Der Strommix der Schweiz ist einzigartig. Er ist - wie von der Bundesverfassung verlangt - ausreichend, breit gefächert, sicher, wirtschaftlich, umweltverträglich und effizient.»
Quelle: Nuklearforum Schweiz / Thai Christen

Im Hinblick auf den geplanten Neubau von Kernkraftwerken betonte Leonardi die Bedeutung der Handlungsfreiheit des Landes: «Je mehr Strom wir im Inland produzieren, desto unabhängiger sind wir.» In seinem Ausblick zur Sicherung der Energiezukunft erteilte er dem Schwarz-Weiss-Denken eine klare Absage: «Wir wissen, dass es die Kernenergie jetzt und auf absehbare Zeit braucht. Wir müssen sie einbetten - zwischen der Wasserkraft und den neuen erneuerbaren Energien.»

Schweickardt: Energieeffizienz und Klimaschutz dank Strom aus umweltschonenden Quellen

Hans Schweickardt, CEO der Energie Ouest Suisse (EOS) und Präsident der Branchenorganisation swisselectric, wies auf die Schlüsselfunktion des Stroms hin: «Energieffizienz und Massnahmen zur CO2-Reduktion führen zu einem Technologietransfer von den fossilen Energien zur Elektrizität», betonte er. Stichworte dazu seien energiesparende Gebäudetechniken oder Hybridautos mit Anschlusskabel ans Stromnetz.

Hans Schweickardt: «Die Stromlücke könnte sogar auf 40 Mrd. kWh jährlich anwachsen.»
Hans Schweickardt: «Die Stromlücke könnte sogar auf 40 Mrd. kWh jährlich anwachsen.»
Quelle: Nuklearforum Schweiz / Thai Christen

Als Folge dieses Mehrverbrauchs sowie des Wegfalls der drei dienstältesten Kernkraftwerke und der Importverträge mit Frankreich rechnet swisselectric bis ins Jahr 2035 mit einer Stromlücke von mindestens 25-30 Mrd. kWh. Das ist die Hälfte der heutigen Stromproduktion. Nach der Einschätzung Schweickardts könnte die Lücke sogar auf 40 Mrd. kWh jährlich anwachsen. Die Schweiz werde den Weg aus der drohenden Versorgungslücke und der Klimaproblematik auf vier Pfaden finden: durch den Ausbau der Wasserkraft, durch die neuen erneuerbaren Energien, durch Gaskraftwerke und durch neue Kernkraftwerke. Letztere werden nach Angaben Schweickardts fast zwei Drittel der bis 2035 bereitzustellenden neuen Stromproduktion ausmachen.

Pascal Gentinetta: dramatische Folgen bei allfälligem Strommangel

Unterstützung erhielt die Strombranche von Pascal Gentinetta, Direktionspräsident des Wirtschaftsdachverbands economiesuisse: «Die Konsequenzen eines Versagens unserer Stromversorgung sind dramatisch und die Kosten wachsen ins Astronomische», warnte er mit Hinweis auf die Blackouts in anderen Ländern. Doch im Unterschied zu Staaten wie Finnland und Grossbritannien und bald vielleicht auch Italien, die zügig die drohende Stromlücke mit dem Bau von Kernkraftwerken abwenden wollen, zögere Bundesbern immer noch, die nötigen politischen Rahmenbedingungen für neue Grosskraftwerke zu schaffen.

Pascal Gentinetta bezeichnete die Schweizer Regierung als zu zögerlich.
Pascal Gentinetta bezeichnete die Schweizer Regierung als zu zögerlich.
Quelle: Nuklearforum Schweiz / Thai Christen

Eindringlich wies Gentinetta auf die grundlegende Bedeutung einer zuverlässigen Stromversorgung für die Schweizer Wirtschaft hin. «Neben der Energieeffizienz und den erneuerbaren Energien spielt die Kernenergie heute wie morgen eine Schlüsselrolle, da sie gleichzeitig eine optimale Versorgungssicherheit bietet, wettbewerbsfähige Strompreise ermöglicht und nur wenig CO2 verursacht.»

ETH Lausanne: wichtige Partnerin in der Kernfusion

Energie- und Ressourcenknappheit, Versorgungssicherheit und Klimaveränderung sprechen für die kontrollierte Kernfusion. Damit eröffnete Minh Quang Tran den wissenschaftlichen Teil der Jubiläumsveranstaltung. Tran ist Professor für Plasmaphysik an der ETH Lausanne und Direktor des Forschungszentrums für Plasmaphysik (CRPP). Das CRPP spiele heute bei der Entwicklung des Internationalen Thermonuklearen Experimentalreaktors Iter eine wichtige Rolle und sei durch die Zusammenarbeit mit der Euratom an allen internationalen Fusionsprojekten beteiligt, erklärte Tran.

Konkret forscht das CRPP in drei Bereichen: Supraleiter, Plasmadiagnostik und Plasmaheizung. Dazu steht den Forschenden der Tokamak TCV (Tokamak à configuration variable) zur Verfügung. Diese Anlage sei zwar kleiner als der zukünftige Iter; die Forscher und Entwickler könnten hier aber die physikalischen Eigenschaften eines Fusionsreaktors erforschen. Mit der Supraleiter-Testanlage Sultan und dem supraleitenden Dipolmagneten Edipo besitzt das CRPP in seiner Zweigstelle am PSI zudem zwei weltweit einzigartige Installationen zur Untersuchung und Charakterisierung der für Iter vorgesehenen supraleitfähigen Kabel.

Tran rief die Energiewirtschaft auf, die Fusion in ihre Langfristvision einzubeziehen und die Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet konkret zu unterstützen. Abschliessend bemerkte Tran, dass in der Fusionsforschung zwar noch viel Entwicklungsarbeit nötig sei. Er betonte aber: «Die Fusion wird bereit sein, wenn die Menschheit sie benötigen wird.»

Prof. Minh Quang Tran (links) erklärt Bundespräsident Couchepin den Fusionsreaktor Iter am Modell.
Prof. Minh Quang Tran (links) erklärt Bundespräsident Couchepin den Fusionsreaktor Iter am Modell.
Quelle: Nuklearforum Schweiz / Thai Christen

Nachwuchssicherung notwendig

Prof. Rakesh Chawla, Leiter des Labors für Reaktorphysik und Systemverhalten an der ETH in Lausanne und am Paul Scherrer Institut, erinnerte daran, dass die Nutzung der Kernenergie sicher, umweltverträglich und wirtschaftlich ist. Eine Herausforderung sei es jedoch in vielen Ländern, in den nächsten Jahren den wissenschaftlichen und technischen Nachwuchs in der Nuklearbranche sicherzustellen. Chawla illustrierte am Beispiel von Daten des französischen Institut national des sciences et techniques nucléaires (INST), dass Frankreich in den nächsten zehn Jahren jährlich 500 Stellen für Nuklearexperten zu besetzen habe. Pro Jahr werden jedoch nur gerade 350 Personen in den gesuchten Bereichen diplomiert.

Auch die Schweiz habe ein Nachwuchsproblem, betonte Chawla. Die ETH Zürich und die ETH Lausanne haben deshalb den gemeinsamen englischsprachigen Masterstudiengang «Nuclear Engineering» lanciert, der im Herbst dieses Jahres zum ersten Mal angeboten wird. Das Herbstsemester wird in Lausanne absolviert, während das Sommersemester in Zürich stattfindet. Die anschliessende Masterarbeit kann an einer der Forschungseinrichtungen des Paul Scherrer Instituts durchgeführt werden. Aus den zahlreichen Kandidaten seien 16 Studierende ausgewählt worden (darunter 3 Frauen), die unterschiedliche Bachelor-Abschlüsse aufweisen. Sie stammen aus Ägypten, Argentinien, China, Frankreich (3), Griechenland, dem Libanon, der Schweiz (4), Sri Lanka und den USA (3). Die internationale und interdisziplinäre Zusammensetzung des ersten Studiengangs sei bewusst vorgenommen worden, sagte Chawla. Er geht davon aus, dass 10-12 Studierende im Herbst den Master in Angriff nehmen werden.

Prof. Rakesh Chawla: neuer Masterstudiengang «Nuclear Engineering» ab diesem Herbst.
Prof. Rakesh Chawla: neuer Masterstudiengang «Nuclear Engineering» ab diesem Herbst.
Quelle: Nuklearforum Schweiz / Thai Christen

Uranquellen heute und morgen

Prof. Horst-Michael Prasser, Leiter des Labors für Kernenergiesysteme an der ETH Zürich, rundete mit seinem Vortrag das Nachmittagsprogramm ab. Er präsentierte «Gedanken» über die Versorgungssicherheit beim Kernbrennstoff Uran und gab einen Ausblick auf die Erschliessung weiterer Uranquellen.

Wenn man die Gewinnung von Uran und die Versorgungssicherheit betrachtet, so muss man sich Gedanken über die Abbauwürdigkeit machen, erklärte Prasser. Dazu verglich er den Energieaufwand für die Brennstoffgewinnung mit der Stromproduktion eines Kernkraftwerks. Je niedriger die Urankonzentration im Erz, desto mehr Energie muss für die Gewinnung eingesetzt werden. Man spricht von einem «Energy Cliff», wenn der Energieaufwand der Mine unverhältnismässig hoch im Vergleich zur nachfolgenden Stromproduktion wird. Die Praxis zeige, erklärte Prasser, dass der Energiebedarf heutiger Uranminen wesentlich tiefer ist, als von Atomgegnern behauptet wird. Somit kann die derzeitige vom «Red Book» der OECD ausgewiesene «statische» Reichweite der Uranreserven von 100 Jahren hypothetisch mit dem Faktor 300-400 multipliziert werden.

Uran kann aber auch aus Meerwasser gewonnen werden, erklärte Prasser. Die auf rund 4 Mrd. t geschätzten Uranreserven liegen jedoch in einer sehr geringen Konzentration vor. Für die Extraktion des Urans ist also ein grosser Wasserdurchsatz nötig. In Japan wurden dazu bereits erfolgreich Tests mit Platten aus Polypropylenfasern durchgeführt. Diese Versuche haben gezeigt, dass mit dieser Methode rund zehn Mal mehr Energie gewonnen werden kann, als mit der heutigen Photovoltaik mit gleicher Fläche.

Zusammenfassend stellte Prasser fest: «Die Versorgungslage mit Uran ist stabil. Bereits heute decken die erkundeten Lagerstätten den Bedarf für Jahrzehnte ab. Aber auch in den folgenden Jahrhunderten wird es kein Urandefizit geben, selbst bei einem weltweiten Ausbau der Kernenergie.»

Prof. Horst-Michael Prasser: «Die Uranvorkommen reichen aus.»
Prof. Horst-Michael Prasser: «Die Uranvorkommen reichen aus.»
Quelle: Nuklearforum Schweiz / Thai Christen

Festschrift zum Jubiläum 50 Jahre Nuklearforum Schweiz

Anlässlich der Jubiläumsfeier vom 29. Mai 2008 im Musée Olympique in Lausanne wurde die Festschrift «Kernenergie in der Schweiz - Die grosse Technologiedebatte» des Nuklearforums Schweiz veröffentlicht.

Wanderausstellung

Die Kernbotschaften der Festschrift und die Meilensteine der Technologiedebatte werden mit einer Wanderausstellung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Quelle

M.S./M.A./M.B. nach Referate, Jubiläumsveranstaltung, 29. Mai 2008

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Zur Newsletter-Anmeldung

Profitieren Sie als Mitglied

Werden Sie Mitglied im grössten nuklearen Netzwerk der Schweiz!

Vorteile einer Mitgliedschaft