Kernenergieverordnung (KEV): Vernehmlassungsantwort der Schweizerischen Vereinigung für Atomenergie (SVA)
Die SVA reichte die nachfolgend abgedruckte Stellungnahme per 13. August 2004 beim Bundesamt für Energie, Sektion Recht, ein. Der Anhang zur Stellungnahme ist nicht abgedruckt.
Sehr geehrte Damen und Herren
Wir danken Ihnen für die Einladung zur Stellungnahme im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zur Kernenergieverordnung. Als breit abgestütztes Forum der in der Schweizer Kernenergie engagierten und verantwortlichen Kreise hat die SVA ein sehr ausgeprägtes Interesse an einer praxisorientierten Verordnung zur Umsetzung des neuen Kernenergiegesetzes. Dementsprechend hat die SVA an der Erarbeitung der Stellungnahme der Elektrizitätswirtschaft - die wir vollumfänglich unterstützen und deren Anhang mit den Anträgen der Branche wir als integrierenden Bestandteil unserer Antwort beilegen -aktiv mitgewirkt.
Als Ergebnis unserer Analyse kommen wir zum Schluss, dass der Entwurf der Verordnung dem Geist des Kernenergiegesetzes vom 21. März 2003 in wesentlichen Punkten widerspricht und nicht akzeptiert werden kann. Gestützt auf die im Anhang präzisierten Ausführungen beantragen wir, den Entwurf zurückzuziehen und grundlegend zu überarbeiten.
Abgesehen von den im Anhang aufgeführten konkreten Punkten stützt die SVA ihren Antrag einer umfassenden Überarbeitung auf die folgenden vier grundlegenden Punkte:
1. Grundsatz: Verantwortung statt Dienst nach Vorschrift
Dass Kernanlagen viel stärker beaufsichtigt werden als herkömmliche Industrien, kann solange akzeptiert werden, als diese strenge Aufsicht auch tatsächlich die Sicherheit fördert. Ob der vorliegende KEV-Entwurf dies leisten kann, muss aber stark bezweifelt werden: er setzt auf absolutistisch umfassend vorschreibende und kontrollierende Behörden, die die Verantwortung und Eigeninitiative der Betreiber mit einem Wust von Regulierungen sowie Bewilligungs- und Freigabeprozeduren zu ersticken drohen.
Eine zeitgemässe, effiziente Aufsicht muss die Selbstverantwortung des Betreibers in der Art und Weise, wie er seine Geschäfte führt und seine Anlage betreibt, stärken. Das geltende Atomgesetz trägt dem Stellenwert dieser Selbstverantwortung vollumfänglich Rechnung, und der bisherige erfolgreiche, sichere Betrieb der Schweizer Kernkraftwerke bestätigt die Richtigkeit des Grundsatzes Verantwortung statt Dienst nach Vorschrift.
Das KEG verfügt mit seiner Erweiterung der Volksrechte und der Konzentration der Bewilligungsverfahren durchaus über zeitgemässe Ansätze. Mit der vorliegenden Verordnung, die von überlebten gesellschaftlichen Vorstellungen geprägt ist, können diese aber nicht umgesetzt werden. Die veralteten Ansätze des KEV-Entwurfs sind durch moderne, auch in andern Industrien bewährte Methoden zu ersetzen.
2. Zunehmende Bürokratie produziert nur Papier, aber nicht Sicherheit
Die Tendenz des Entwurfs KEV hin zur veralteten hoheitlichen Überregulierung widerspiegelt sich darin, dass die Bewilligungs- und Aufsichtsverfahren noch papierlastiger werden sollen.
Gemäss KEV-Entwurf müssen die Betreiber von Kernanlagen entschieden zu weit gehende Einzelheiten ihrer Anlagen und ihrer Arbeit regelmässig auf umfangreiches Papier bringen und für jede Kleinigkeit um eine Bewilligung oder Freigabe nachsuchen. Auf diese Weise werden die Betreiber zu Papier- und Checklisten-Robotern erzogen, und die KEV-Bürokratie droht, die Sicherheit zu schmälern. Zielführend wäre hingegen, die (von Automaten nicht übernehmbaren) Fähigkeiten der Betreiber zum Erkennen und Denken auch in unerwarteten Situationen zu fördern.
3. Klare Zuständigkeiten bei den Aufsichtsbehörden verhindern Verzögerungen und unnötige Kosten
Der vorliegende Entwurf der Kernenergieverordnung nimmt die Gelegenheit nicht wahr, die historisch gewachsenen Unklarheiten bei der Regelung der Zuständigkeiten und Kompetenzen der verschiedenen Behördestellen im Interesse einer optimalen Aufsicht zu beseitigen.
Laut KEV-Entwurf sind in den Bewilligungsund Aufsichtsverfahren für Kernanlagen mehrere Gremien involviert (BFE, HSK, KSA), jedoch - im Gegensatz z.B. zu Umweltverfahren - ohne Festlegung der Federführung.
Zudem werden sachlogisch zusammenhängende Gebiete wie Sicherheit und Sicherung von verschiedenen Behörden (HSK resp. BFE) behandelt.
Schliesslich besteht eine störende Verwischung der Funktionen der Aufsicht über die Anlagen und der Beratung der politisch verantwortlichen Organe, solange die Rollen von HSK und KSA in der KEV nicht - wie wir es fordern - präzis geordnet werden. Das Ziel ist, zu vermeiden, dass die KSA als beratendes Organ des Bundesrates und des Departements durch unklare Eingriffe in die Arbeit der HSK die Transparenz der Aufsicht vernebelt und ihre Effizienz ohne Sicherheitsgewinn schmälert.
4. Die Schweiz braucht das Rad nicht neu zu erfinden
Recht erstaunlich ist die Bestimmung, dass die Aufsichtsbehörden die detaillierten Anforderungen an das Qualitätsmanagementprogramm in Richtlinien regeln sollten. Diese Bestimmung ist überflüssig. Das QM-Programm ist in internationalen Industriestandards und in lAEO-Regelwerken enthalten. Es ergibt keinen Sinn, wenn die Aufsichtsbehörden sich anschicken, die Vielfalt der einschlägigen Regelwerke mit detaillierten Anforderungen in Richtlinien zu ergänzen. Auch stellt sich die Frage, ob die Behörden bereit wären, die Verantwortung zu übernehmen, welche sich bei Schäden ergäben, die auf Lücken in einer behördlichen Richtlinie über Qualitätsmanagementsysteme zurückgehen.
Kernschadenhäufigkeits-Werte, die auf sehr komplexen Wahrscheinlichkeitsrechnungen basieren, können allenfalls der zusätzlichen Wertung technischer Faktoren dienen, aber wegen ihres interpretationsbedürftigen Charakters keinesfalls als Abschaltkriterien auf Verordnungsstufe. Die internationalen Sicherheitsgremien anerkennen zwar den Wert solcher Methoden durchaus, raten aber von deren Verwendung als feste Richtlinien oder gar Abschaltkriterien ab.
Bestimmungen, die den unerlaubten Handel mit Nukleargütern unterbinden (Nonproliferation), sind in der Verordnung so zu formulieren, dass sie die betriebsübliche Brennstoffbewirtschaftung der KKW-Betreiber nicht behindern. Der vorliegende KEV-Entwurf schiesst aber deutlich über diese Ziele hinaus, weil er die Anforderungen an gewerbsmässige Vermittlungsgeschäfte von Nukleargütern oder Technologien mit Proliferationsrisiken teilweise auch auf den betriebsüblichen Umgang der Kernanlagenbetreiber mit Kernmaterialien überträgt. Der betriebsübliche Umgang der Kernanlagen mit Kernmaterialien soll - entsprechend der bisherigen, bewährten Praxis - als Globalbewilligung automatisch Bestandteil der Betriebsbewilligung sein, da Kernbrennstoffe zwingend im Ausland beschafft, verarbeitet, transportiert etc., und aus Gründen der Versorgungssicherheit auch dort gelagert und bewirtschaftet werden müssen.
In internationaler Zusammenarbeit haben ausländische Aufsichtsbehörden, Betreiber und Hersteller die Standardisierung von Ausrüstungen und ganzen Reaktoranlagen weit vorangetrieben. Die KEV sollte dieser Entwicklung folgen und vereinfachte Prozeduren für Standardanlagen vorsehen, die die Vorarbeiten international anerkannter Gremien berücksichtigen.
Generell würde der vorliegende KEV-Entwurf mit seiner Tendenz der Abkapselung und der unnötigen Eigenkreationen zum Handelshemmnis, das spürbare wirtschaftliche Nachteile brächte. Für die Berücksichtigung unserer Darlegungen bei der Erarbeitung einer akzeptablen Kernenergieverordnung danken wir Ihnen bestens.
Quelle
SVA, 13. August 2004