Kernfusion - Stand und Perspektiven

Isabella Milch, Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Garching, Greifswald

14. Nov. 2003

Die Energiequelle von Sonne und Sternen auf der Erde nutzbar zu machen, ist das Ziel der Fusionsforschung: Ein Fusionskraftwerk soll aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie gewinnen. Unter irdischen Bedingungen gelingt dies am einfachsten mit den beiden Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium. Sie verschmelzen zu Helium, dabei werden Neutronen sowie grosse Mengen von Energie frei: 1 g Brennstoff könnte in einem Kraftwerk 90'000 kWh Energie freisetzen - die Verbrennungswärme von 11 t Kohle. Die für den Fusionsprozess nötigen Grundstoffe - Deuterium und Lithium, aus dem im Kraftwerk Tritium hergestellt wird - sind in nahezu unerschöpflicher Menge überall auf der Welt vorhanden: 2 I Wasser und 250 g Gestein enthalten die Rohstoffe für den jährlichen Stromverbrauch einer ganzen Familie.
Wie ein Kohlefeuer setzt auch das Fusionsfeuer nicht selbständig, sondern erst bei den passenden Zündbedingungen ein. Für den Brennstoff - ein extrem dünnes, ionisiertes Gas, ein "Plasma" - bedeutet dies eine Zündtemperatur von 100 Mio. °C. Wegen dieser hohen Temperatur kann das Plasma nicht unmittelbar in materiellen Gefässen eingeschlossen werden. Bei jedem Wandkontakt würde sich das heisse Gas sofort wieder abkühlen. Stattdessen werden magnetische Felder genutzt, die den Brennstoff wärmeisoliert einschliessen und von den Gefässwänden fernhalten.
Dass dies im Prinzip funktioniert, konnte erstmals die europäische Gemeinschaftsanlage Jet (Joint European Torus) in Culham/Grossbritannien zeigen, das weltweit grösste Fusionsexperiment. 1997 ist es hier gelungen, kurzzeitig eine Fusionsleistung von 16 MW zu erzeugen. Mehr als die Hälfte der zur Plasmaheizung verbrauchten Leistung konnte dabei per Fusion zurück gewonnen werden. Für einen Nettogewinn an Energie ist das Jet-Plasma mit seinen 80 m3 Volumen jedoch zu klein; den nächsten Schritt - die Erzeugung eines Energie liefernden Plasmas - soll der internationale Experimentaireaktor Iter (lat. für "der Weg") gehen. In seinem rund 830 m3 umfassenden Plasmavolumen soll er eine Fusionsleistung von 500 MW erzeugen -zehnmal mehr, als zur Aufheizung des Plasmas verbraucht wird.
Iter wurde seit 1988 in weltweiter Zusammenarbeit von europäischen, japanischen, russischen und US-amerikanischen Fusionsforschern vorbereitet. Im Juli 2001 wurden die baureifen Pläne fertig gestellt; wesentliche Bauteile sind als Prototypen gebaut und getestet. Inzwischen haben sich auch China und Südkorea dem Projekt angeschlossen, die USA sind nach ihrem vorübergehenden Rückzug im Jahr 1997 dem Projekt im Frühjahr 2003 wieder beigetreten. Vier Länder - Kanada, Frankreich, Spanien und Japan - bieten einen Standort an; gegenwärtig laufen die Verhandlungen der internationalen Partner über die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen des Projekts..

Anlagen-Typen

Tokamaks

Jet und Iter sind Fusionsanlagen vom Typ "Tokamak", der heute weltweit am weitesten verbreiteten Bauart. In Tokamaks wird der Magnetfeldkäfig zum einen Teil durch äussere Magnetspulen aufgebaut, die ein ringförmiges Plasmagefäss umschliessen. Der andere Teil wird von einem im Plasma fliessenden elektrischen Strom erzeugt, der dort pulsweise von einem Transformator induziert wird.
Im Europäischen Fusionsprogramm, zu dem sich die nationalen Laboratorien in der Europäischen Union und der Schweiz zusammengeschlossen haben, wird an mehreren, unterschiedlich spezialisierten Tokamaks geforscht. Während mit der Grossanlage Jet das Plasmaverhalten in der Nähe der Zündung untersucht wird, bearbeiten die Forscher an kleineren nationalen Anlagen - z. B. Asdex Upgrade im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching, Textor im Forschungszentrum Jülich, der mit supraleitenden Magnetspulen arbeitende Tore Supra in Frankreich sowie FTU im italienischen Frascati - speziellere Fragen.
Mit dem Tokamak Asdex Upgrade, der grössten Fusionsanlage Deutschlands, wird eines der wesentlichen Probleme der Fusionsforschung untersucht - die Wechselwirkung zwischen dem heissen Plasma und den umgebenden Wänden. In einem späteren Kraftwerk darf nämlich weder der Brennstoff die Plasmakammer beschädigen noch das Plasma durch abgelöstes Wandmaterial verunreinigt oder verdünnt werden. Um diesen Problemkreis unter kraftwerksähnlichen Bedingungen untersuchen zu können, sind in Asdex Upgrade wesentliche Plasmaeigenschaften - der Plasmadruck, die Dichte und die Belastung der Wände -den Verhältnissen in einem späteren Kraftwerk angepasst. Vor allem sorgt genügend hohe Heizleistung von 27 MW dafür, dass die Energieflüsse durch die Randschicht des Plasmas auf die Wände denen im Kraftwerk möglichst nahe kommen. Die "Kraftwerksähnlichkeit" der Randschicht wird bestimmt durch das Verhältnis von Heizleistung zum Radius des Plasmarings. Dieser Wert liegt bei Asdex Upgrade doppelt so hoch wie bei Jet und nur noch einen Faktor 2 unter dem Wert des Testreaktors Iter. In die Konzeption von Iter sind zahlreiche Ergebnisse der Tokamakforschung des IPP eingeflossen, insbesondere die Resultate der Divertor-Untersuchungen an Asdex Upgrade.
Diesem "Divertor" verdankt Asdex Upgrade seinen Namen: "Axialsymmetrisches Divertor-Experiment". Um zu verhindern, dass das Plasma in Kontakt mit den umgebenden Wänden gerät und dort Verunreinigungen abschlägt, lenken die Divertormagnete die äussere Randschicht des Plasmas auf Prallplatten an Boden und Decke des Plasmagefässes ab. Die Plasmateilchen und Verunreinigungen -in einem brennenden Plasma auch die "Fusionsasche" Helium -treffen dort abgekühlt auf, werden neutralisiert und abgepumpt. So wird die Gefässwand geschont und zugleich ein Plasmazustand mit guter Wärmeisolation am Plasmarand erreicht, das "High-Confinement Regime" (H-Regime).
Die Optimierung der Wärmeisolation ist ein wichtiges Ziel der Fusionsforschung: Je besser die Wärmeisolation des Plasmas ist, umso kleiner und damit kostengünstiger kann ein späteres Kraftwerk gebaut werden. Ausser dem Plasmavolumen ist sie in komplexer Weise von der Wechselwirkung der Plasmateilchen mit dem einschliessenden Magnetfeld abhängig. 1998 konnte mit Asdex Upgrade das H-Regime- dessen gute Werte durch eine "Transportbarriere" am Plasmarand erreicht werden - mit verbessertem Einschluss im Plasmazentrum kombiniert werden: Die Wärmeisolation stieg nochmals um 30%.
Weitere Steigerungen könnten durch eine Kombination von interner und randnaher Transportbarriere erreicht werden. Um eine interne Barriere aufzubauen, wird das Kurvenprofil des im Plasma fliessenden elektrischen Stroms, der einen Teil des magnetischen Käfigs aufbaut, optimiert. Während sich in der Regel die Stromstärke im heissen Plasmazentrum zuspitzt, wird nun ein flacheres Stromprofil eingestellt. Mit der Plasmaheizung wird dazu dem Strom der richtige Pfad im Plasma vorbereitet.
Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt an Asdex Upgrade ist die Konzeptverbesserung der Tokamaks: Für ein künftiges Tokamak-Kraftwerk ist es wichtig, die Anlagen vom Puls- zum Dauerbetrieb zu bringen. Dazu muss der Plasmastrom von aussen getrieben werden und nicht mehr über den nur pulsweise arbeitenden Transformator: So wurde in den Entladungen mit verbessertem H-Regime der Strom nur noch zu 50% per Transformator erzeugt; 15% trieb die Plasmaheizung und 35% trug der mit dem Plasmadruck verbundene Bootstrap-Strom. Mit den beiden Letztgenannten soll bei allen weiteren Versuchen die Dauerbetriebsfähigkeit des Tokamaks erreicht werden. Mit Asdex Upgrade wird geprüft, wie sich dies mit anderen Anforderungen - Stabilität, Verunreinigungskontrolle und Energieabfuhrvereinen lässt. Dabei arbeitet die Anlage in einem Entladungsbereich, wie er - skaliert - auch für Iter vorgesehen ist. Insbesondere die für Iter wichtigen quasi-stationären Entladungen können unter den Divertor-Anlagen weltweit nur mit Asdex Upgrade und Jet untersucht werden.

Stellaratoren
Im Unterschied zu Tokamaks können Stellaratoren ohne weitere Zusatzmassnahmen im Dauerbetrieb arbeiten: Sie arbeiten ohne Plasmastrom mit einem Feld, das ausschliesslich durch äussere Spulen erzeugt wird, benötigen jedoch deutlich komplexer geformte Magnetspulen als ein Tokamak. In Europa wird der Stellarator TJ-II in Madrid betrieben; im Teilinstitut Greifswald des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik entsteht Wendelstein 7-X.
Mit Wendelstein 7-X soll die Kraftwerkstauglichkeit dieses alternativen Konzepts demonstriert werden. Nach ihrer Fertigstellung wird die Anlage das weltweit grösste Fusionsexperiment vom Stellarator-Typ sein; mit ihrem Plasmavolumen von 30 m3 ist sie jedoch immer noch deutlich kleiner als der Iter. Die Pläne für Wendelstein 7-X entstanden in zehnjähriger Vorbereitung, in der das theoretische Konzept des Stellarators weiterentwickelt und mit dem in Garching bis 2002 betriebenen Vorgänger Wendelstein 7-AS experimentell untermauert wurde: Mit dem verbesserten Magnetfeld von Wendelstein 7-X sollten die Schwierigkeiten früherer Konzepte überwunden werden und die Qualität von Plasmagleichgewicht und -einschluss sollte der eines Tokamak gleichwertig werden.
Bei der Erarbeitung der neuartigen Stellaratoren ging die Forschung im IPP gänzlich neue Wege: Da die wesentlichen Eigenschaften einer Fusionsanlage von der Struktur des Magnetfelds bestimmt werden, wurde systematisch nach der optimalen Magnetfeldstruktur gesucht. Aus dem grossen Bereich möglicher Stellarator-Konfigurationen wurden - mit erheblichem Forschungs- und Rechenaufwand - die besten, d.h. für das Plasma stabilsten und wärmeisolierendsten Felder aussortiert, für die dann eine geeignete Form der Magnetspulen berechnet wurde.
In seinen rund 60'000 Entladungen hat Wendelstein 7-AS alle Stellarator-Rekorde in seiner Grössenklasse gebrochen und die Vorzüge des Stellarators bestätigt: Der Betrieb ohne Nettostrom in Plasma wurde demonstriert und die zugrunde gelegten Optimierungsprinzipien erwiesen ihre Wirksamkeit.
Im Nachfolger Wendelstein 7-X soll nun mit Entladungen bis zu 30 Min. Dauer die wesentliche Stellaratoreigenschaft, der Dauerbetrieb, erreicht werden. Wegen der langen Pulszeiten werden für die Stromleiter der Magnete statt normalleitendem Kupfer - wie beim Vorgänger - nun verlustlose, d.h. supraleitende Stromleiter aus Niob-Titan eingesetzt. Das Spulensystem wird aus 50 nichtebenen Einzelspulen bestehen; 20 zusätzliche ebene Spulen dienen dazu, das Magnetfeld zu variieren. Der erzeugte Magnetfeldkäfig soll ein 100 Mio. °C heisses Plasma einschliessen, das sichere Rückschlüsse auf die Kraftwerkseigenschaften der Stellaratoren ermöglicht. Nicht angestrebt wird allerdings, ein bereits Energie lieferndes Plasma herzustellen. Da sich die Eigenschaften eines brennenden Plasmas vom Tokamak zum grossen Teil auf Stellaratoren übertragen lassen, bleibt dem Tokamak Iter überlassen, ein Plasma mit positiver Energiebilanz zu erzeugen.
Die Magnetspulen im Wendelstein 7-X werden mit flüssigem Helium auf Supraleitungstemperatur von rund 4 K nahe dem absoluten Nullpunkt gekühlt. Dazu werden die Spulen in einem Kryostaten angeordnet, wo sie ein Vakuum von der Umgebung wärmeisoliert. Das innerhalb der Spulen liegende Plasmagefäss ist in seiner Form dem verwundenen Plasmaverlauf angepasst. Durch rund 300 Öffnungen, die thermisch isoliert durch den kalten Spulenbereich geführt werden, kann das Plasma beobachtet und aufgeheizt werden.
Die Plasmaheizung im Dauerbetrieb wird überwiegend mit Mikrowellen - Frequenz 140 GHz, Leistung 10 MW - vorgenommen. Sie werden in zehn speziellen Senderöhren (Gyrotrons) erzeugt, über Metallspiegel umgelenkt und in das Plasma fokussiert. Das gesamte Mikrowellensystem wird vom Forschungszentrum Karlsruhe geliefert, das von weiteren Forschungsinstituten und europäischen Industrieunternehmen unterstützt wird.
Wenn Wendelstein 7-X wie geplant im Jahr 2010 in Betrieb gehen wird - ein Zeitpunkt, der stark von der termingerechten Zulieferung der industriell gefertigten Bauteile abhängt - sollte die Anlage in der Lage sein, die Stellaratoren als attraktive Alternative auf das Niveau der bislang favorisierten Tokamaks zu steigern.

Fusionskraftwerk
Mit dem Tokamak Iter will die internationale Fusionsforschung zeigen, dass ein Energie lieferndes Fusionsfeuer möglich ist. Auf technologischer Seite bestehen weitere Herausforderungen vor allem in der Materialforschung: Parallel zu Iter ist die Entwicklung neutronenbeständiger Baumaterialien mit geringem Aktivierungspotenzial voranzutreiben sowie von hitze- und erosionsbeständigen Materialien für das Plasmagefäss. Nach Iter soll dann eine Demonstrationsanlage folgen, die alle Funktionen eines Kraftwerks erfüllt. Wenn mit Wendelstein 7-X die berechneten guten Eigenschaften experimentell bestätigen werden können, dann könnte dieses Demonstrationskraftwerk auch ein Stellarator sein: Angesichts von je 20 Jahren Planungs-, Bau- und Betriebszeit für Iter und seinen Nachfolger könnte ein Fusionskraftwerk also in rund 50 Jahren wirtschaftlich nutzbare Energie liefern.
Ein künftiges Fusionskraftwerk verspricht günstige Sicherheits- und Umwelteigenschaften, die im Rahmen des europäischen Fusionsprogramms detailliert untersucht werden. Überlegungen zur Sicherheit sind nötig wegen des radioaktiven Tritiums und der energiereichen Fusionsneutronen, die die Wände des Plasmagefässes aktivieren. Eine wichtige, naturgesetzlich gegebene Eigenschaft eines Fusionskraftwerks ist: Die Anlage kann so konstruiert werden, dass sie keine Energiequellen enthält, die - wenn sie ausser Kontrolle geraten - eine Sicherheitshülle von innen zerstören könnten. Als radioaktiver Abfall bleiben die Wände des Plasmagefässes zurück, die nach Betriebsende zwischengelagert werden müssen. Durch die Fusionsabfälle werden nachfolgende Generationen unwesentlich belastet: Die Radiotoxizität des Abfalls klingt innerhalb weniger Jahrzehnte um viele Grössenordnungen ab. Nach ein- bis fünfhundert Jahren Abklingzeit ist ihr radiotoxischer Inhalt bereits vergleichbar mit dem Gefährdungspotential der gesamten Kohleasche aus einem Kohlekraftwerk (bei gleicher Energieerzeugung), die stets natürliche radioaktive Stoffe enthält. Klimaschädigende Emissionen werden nicht auftreten; ein Unfall mit katastrophalen Folgen ist aus prinzipiellen physikalischen Gründen unmöglich.
Mit diesen Eigenschaften und ihrem nahezu unerschöpflichen Brennstoffreservoir wäre die Fusion ein geeigneter Kandidat, zusammen mit den erneuerbaren Energien die fossilen Brennstoffe zu ersetzen: Mit rund 1000 MW elektrischer Leistung würden Fusionskraftwerke vor allem die Grundlast bedienen und könnten so als Puffer für die von der Witterung abhängigen Wind- und Sonnenkraftwerke arbeiten. Auch zur Wasserstofferzeugung könnten Fusionskraftwerke genutzt werden

Quelle

Isabella Milch

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