Kinderkrebsstudie in Deutschland liefert keine neuen Erkenntnisse

Eine vom deutschen Bundesumweltministerium finanzierte Studie hat erneut ein erhöhtes Auftreten von Leukämieerkrankungen bei Kleinkindern im Umkreis von Kernkraftwerken festgestellt – wenn auch bei einer sehr geringen und damit wenig aussagekräftigen Zahl von Fällen. Die Autoren halten dazu ausdrücklich fest, dass nach heutigem Wissensstand die Strahlung aus den Kernkraftwerken als Ursache der Erkrankungen nicht in Betracht kommt.

9. Dez. 2007

Das Deutsche Kinderkrebsregister (DKKR) am Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) der Universität Mainz hat eine Studie publiziert, in der untersucht wurde, ob Krebs bei Kindern unter fünf Jahren in der unmittelbaren Umgebung der Kernkraftwerke häufiger ist als in grösserer Entfernung. Eine frühere Studie schien darauf hinzudeuten, dass speziell das Leukämierisiko bei jüngeren Kindern erhöht sein könnte.

Die jetzt präsentierte «Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken» (KiKK-Studie) verglich daher die Daten von Kindern unter fünf Jahren, die in der Umgebung von Kernkraftwerken gelebt hatten, als sie an Krebs erkrankten, mit denen von Kindern aus denselben Regionen, die nicht erkrankt waren. Ziel war es herauszufinden, ob die erkrankten Kinder im Durchschnitt näher an den Kraftwerken gewohnt hatten als die nicht erkrankten. Die Studie wurde vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) über das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) finanziert.

Bestehende Daten um neue ergänzt

In die Untersuchung gingen Daten von mehr als 6000 Kindern ein, die in der Umgebung von Kernkraftwerken wohnten. Um das Ergebnis der früheren Studie nochmals zu überprüfen und mögliche Erklärungen zu finden, wurde für die KiKK-Studie ein anderer methodischer Ansatz gewählt. Es handelte sich dabei um eine so genannte Fall-Kontroll-Studie, in der an Krebs erkrankte Kinder («Fälle») mit nicht an Krebs erkrankten Kindern («Kontrollen») aus jeweils derselben Region verglichen wurden.

Die Daten der erkrankten Kinder stammten aus dem Deutschen Kinderkrebsregister (1592 Fälle). Erfasst wurden wie in der früheren Studie die Daten aus den Jahren 1980-1995, ergänzt um die Jahre 1996-2003. Zu jedem Fall wurden aus derselben Region Kontrollen mit demselben Alter und Geschlecht zufällig ausgewählt (insgesamt 4735). Für alle wurde der Abstand der Wohnung zum nächstgelegenen Kernkraftwerk mit einer mittleren Genauigkeit von ungefähr 25 Metern ermittelt.

Die Ergebnisse in Zahlen

Die Autoren halten folgende Ergebnisse fest: «Für den untersuchten Zeitraum (1980-2003) wurde für das Wohnen innerhalb einer 5-km-Zone um eines der deutschen Kernkraftwerke in Bezug auf Krebsleiden insgesamt ein 'attributables' Risiko von etwa 0,2% errechnet. Das heisst, in dieser Zeit wären 29 der insgesamt in Deutschland aufgetretenen 13'373 Krebserkrankungen bei Kindern unter fünf Jahren dem Wohnen innerhalb der 5-km-Zone um ein Kernkraftwerk zuzuschreiben, vorausgesetzt die Modellannahmen, auf denen unsere Berechnungen basieren, sind richtig und es besteht ein ursächlicher Zusammenhang. Das wären 1,2 Fälle pro Jahr.»

Und weiter: «Auf die Untergruppe der Leukämien bezogen errechneten wir ein 'attributables' Risiko von etwa 0,3%. Das wären 20 der 5893 Leukämieerkrankungen bei Kindern unter fünf Jahren in ganz Deutschland in der betreffenden Zeit und damit 0,8 Fälle pro Jahr.»

Kleine Fallzahlen, kaum Daten zu anderen Risikofaktoren

Zur Aussagekraft der Daten betonen die Wissenschafter: «Der für die gesamten Krebserkrankungen beobachtete Effekt kommt im Wesentlichen durch die Erhöhung des Risikos bei der relativ grossen Gruppe der Leukämien zustande. Diese Risikoschätzungen sind allerdings wegen der zugrunde liegenden kleinen Fallzahlen mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet.» Dazu komme, dass zu wenige der Eltern einen Fragebogen zum Lebensstil in der Familie (z.B. Passivrauchbelastung) beantwortet haben. Deshalb, so die Autoren der Studien, könne man keine Aussagen über mögliche andere Risikofaktoren der Kinder machen.

«Unbekannte Faktoren oder Zufall»

Die Autoren weisen bei der Deutung ihrer Resultate darauf hin, dass in Deutschland die jährliche Strahlenbelastung in der Luft für eine Person, deren Wohnsitz sich in 5 km Entfernung von einem Kernkraftwerk befindet, zwischen 0,0000019 mSv (Millisievert) und 0,0003200 mSv beträgt. Dies liegt weit unter dem gesetzlich zulässigen Grenzwert von 0,3 mSv pro Jahr und noch viel tiefer als die mittlere natürliche Strahlenexposition in Deutschland, die etwa 1,4 mSv beträgt.

Zum Vergleich: In der Schweiz liegt die mittlere natürliche Jahresdosis mit 2,8 mSv gut doppelt so hoch wie in Deutschland. Die Gründe dafür liegen in den erhöhten Strahlendosen aus uranhaltigen Gesteinsformationen (insbesondere durch das Edelgas Radon, eines radioaktiven Zerfallsprodukts von Uran) sowie in der Strahlung aus dem Weltraum, die mit der Höhe über Meer zunimmt. Zur natürlichen Strahlenbelastung hinzu kommt noch eine jährliche Strahlendosis von rund 1,2 mSv aus künstlichen Quellen, insbesondere aus der Medizin. Die gesamte mittlere Strahlenbelastung einer in der Schweiz lebenden Person beträgt daher ungefähr 4 mSv pro Jahr.

«Demgegenüber ist die Strahlenbelastung in der Nähe deutscher Kernkraftwerke um den Faktor 1000 bis 100'000 niedriger», halten die Autoren fest und folgern: «Die KiKK-Studie erlaubt keine Aussage darüber, wodurch sich die beobachtete Erhöhung der Anzahl von Kinderkrebsfällen in der Umgebung deutscher Kernkraftwerke erklären lässt. Denkbar wäre, dass bisher noch unbekannte Faktoren beteiligt sind oder dass es sich um Zufall handelt.»

Fazit: «Kernkraftwerke kommen als Ursache nicht in Betracht»

Die Autoren ziehen aus ihrer Studie folgendes Fazit: «In Deutschland lässt sich ein Zusammenhang beobachten zwischen der Nähe der Wohnung zu einem Kernkraftwerk und dem Risiko, dass ein Kind vor seinem fünften Geburtstag an Krebs (vor allem an Leukämie) erkrankt. Warum das so ist, lässt sich mit unseren Daten leider nicht erklären. Allerdings kommt nach heutigem Wissen Strahlung, die von Kernkraftwerken im Normalbetrieb ausgeht, als Ursache nicht in Betracht.»

In einer ersten Stellungnahme bestätigte der deutsche Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), ein erklärter Gegner der Kernenergie, dass «der beobachtete Anstieg der Erkrankungen nicht durch die Strahlenbelastung aus einem Atomkraftwerk erklärt werden kann». Das BfS hat die Studie durch ein 12-köpfiges Expertenteam begleiten lassen. Dieses hat am 9. und 10. Dezember 2007 getagt und festgestellt: «Die Experten teilen alle wesentlichen Ergebnisse der Studie.»

Zu erwartendes Nullergebnis

Demgegenüber kritisierte Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität Dortmund, in der «Weltwoche» die Studie als ein schon nur aus statistischen Gründen zu erwartendes Nullergebnis. Die Krebsliga Schweiz ihrerseits gab bekannt, aufgrund der deutschen Resultate eine entsprechende Studie für die Schweiz in Auftrag gegeben zu haben.

In der Schweiz ist 2001 eine Studie des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich abgeschlossen worden, die im Zeitraum 1969 bis 1998 die Mortalität im Umkreis der Kernkraftwerke Beznau und Gösgen untersucht hat. Diese Daten geben keinen Hinweis auf ein erhöhtes Krebsrisiko in der Umgebung dieser beiden Werke, auch nicht bei jüngeren Personen.

Die Häufigkeit von Krebserkrankungen in der Umgebung von Kernkraftwerken ist seit vielen Jahren Gegenstand von zahlreichen Untersuchungen. Bisher konnte kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Strahlendosen aus Kernkraftwerken und Krebserkrankungen gefunden werden.

Quelle

M.S. nach Deutschem Kinderkrebsregister; Medienmitteilung und Informationsblatt, 10. Dezember 2007, und BMU, Pressedienst, 8. Dezember 2007

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