Kommt sie: die Wende der Wende?
Rolf Schweiger – Präsident des Vereins «Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz (Aves)» und bis 2011 Ständerat des Kantons Zug – erklärt, weshalb er der Auffassung ist, dass eine Wende der Energiewende zurück zur Option Kernenergie in der Schweiz alles andere als unwahrscheinlich ist.

Ich war, bin und werde auch weiterhin der Meinung sein, dass der Nuklearstrom eine optimale Energieart ist und auch langfristig unverzichtbar sein wird. Wer so denkt, muss sich die Frage gefallen lassen, ob seine Haltung nicht diejenige eines Utopisten ist, dem jeglicher Realitätsbezug fehlt. Ich sehe dies nicht so, bin mir aber bewusst, dass dies einer Begründung bedarf. Nun denn – sie sei versucht:
Allgemein scheint der Eindruck zu bestehen, das Parlament habe den Atomausstieg beschlossen. Dem ist nicht so. National- und Ständerat haben Motionen überwiesen, also dem Bundesrat Auftrag erteilt, dem Parlament Vorschläge für einen Ausstieg zu unterbreiten. Ob, wann und wie solchen dereinst entsprochen wird, ist völlig offen. Ja selbst bei einem Ja des Parlaments ist die Sache noch alles andere als entschieden. Es warten Referenden – fakultative und obligatorische, Letzteres dann, wenn über einen Kernenergieausstieg auf Verfassungsebene zu entscheiden ist. Dies muss meines Erachtens zwingend so sein. Eine Verfassungsabstimmung durch Bundesrat und Parlament zu torpedieren, wäre eine Missachtung fundamentaler Volksrechte und liesse den Verdacht aufkommen, dass das offizielle Bern Angst vor dem Volk hat.
Für mich ist durchaus realistisch, dass Abstimmungen von den Befürwortern der Option Kernkraft gewonnen, definitive Atomausstiegs-Szenarien also abgelehnt werden können. Viele Indizien sprechen nach meiner Beobachtung nämlich dafür, dass Gelassenheit, kühle Köpfe, Vertrauen in die Kernkraft und Verantwortung für einen gedeihlichen Weiterbestand vorab des schweizerischen Industriesektors eine Renaissance erleben werden. Grund hiefür sind Fakten und Plausibilitäten, die den Himmel der vom Bundesrat als vermeintlich besser propagierten Energiewelt zu verdunkeln beginnen.
Noch immer haben wir eine sehr sichere Energieversorgung, dies nicht zuletzt wegen derzeit noch möglicher klarer Aufträge an die grossen Versorgungsunternehmen und der Tatsache, dass diese Aufträge kompetent erfüllt werden. Nach einer Energiewende aber wären Versorgungsaufträge nicht mehr umfassend möglich. Einerseits behindern dies dezentrale Kleinstproduktionsstätten und gewaltig zunehmende Auslandsabhängigkeiten, die vorab in Notzeiten nicht mehr beeinflussbar wären. Andererseits haben sich schon jetzt als Folge der entstandenen Unsicherheiten die finanziellen Gegebenheiten vorab der grossen Versorgungswerke massiv verschlechtert. Die Kurse ihrer Aktien haben sich mehr als halbiert. Dividenden werden gekürzt. Die Gewinne sind eingebrochen.
Energiewende-Vorbild des Bundesrates und der letztjährigen Parlamentsmehrheit war nur ein Land – Deutschland. Deshalb liegt nahe, dass auch dessen negative Erfahrungen uns nicht unbeeinflusst lassen. Vorab ist dies die massive Verteuerung der Strompreise, die in Ansätzen schon jetzt eine signifikante Evasion deutscher Industriebetriebe als Ganze oder mit produzierenden Teilbereichen Richtung Ost und Fernost erkennen lässt. Mit ihnen entschwinden nicht zuletzt niederschwellige Arbeitsplätze. Weniger niederschwellige Arbeitsplätze aber werfen soziale Fragen auf, ein Aspekt, den vorab Linke nicht ausblenden können. Es sind ihre Leute, die betroffen wären. Zu meinen, in der Schweiz werde sich trotz vergleichbarer Energiepolitiken die Zukunft völlig anders als in Deutschland entwickeln, verkennt wirtschaftliche Realitäten.
Weit verbreitet ist die Auffassung, den der Energiewende innewohnenden Risiken stünden bedeutende Chancen gegenüber. Freilich gibt es solche Chancen, diese aber vorab für hoch wertschöpfungsintensive Grossunternehmen. Chancen aber bekommen diese – überproportionale Kompetenz vorausgesetzt – so oder so. Die für den gewerblichen Bereich erwarteten Chancen dagegen könnten zu Phantomen werden. Auch hierzu gibt uns Deutschland Anschauungsunterricht. Solarfirmen schliessen, Bankrotte häufen sich, die staatliche Förderung im Fotovoltaikbereich wird reduziert, ja minimiert, dies nicht etwa als Folge politischer Opportunitäten, sondern schlicht deshalb, weil selbst ein finanziell noch relativ gesunder Staat die bisherigen Milliardenaufwendungen nicht mehr stemmen kann. Warum dies in der Schweiz, wo schon 20 Flugzeuge das staatliche Finanzgefüge zu erschüttern vermögen, anders sein soll, entbehrt der hiefür notwendigen Plausibilität.
Bei uns kann jedes neue Subventionsgefäss vors Volk getragen werden. Bei jeder Abstimmung kann und wird sich unsere Bevölkerung die Frage stellen, warum wir etwas bezahlen sollen, das in der überwiegenden Zahl anderer Staaten überhaupt nicht zur Debatte steht. Und dieser über Deutschland hinausgehende Ausblick wird sich uns die Frage stellen lassen: Handeln Staaten wie die USA, Indien, China, Russland, Frankreich oder das uns so wesensverwandte Schweden wirklich unverantwortlich, wenn sie für sich die Option Kernkraft aufrechterhalten? Können wir so anmassend sein, all das, was in anderen hoch industrialisierten Ländern als richtig erachtet wird, für uns in Bausch und Bogen zu verdammen? Schwächen gewaltige Subventionszahlungen, welche andere Länder sich ersparen, nicht die Qualität des Industriestandortes Schweiz?
Die Rückkehr auf den Boden der weltweiten Realitäten, wird spätestens dann erfolgen, wenn bei uns erste Abstimmungen anstehen. Fakten, Zahlen und Erfahrungen anderer werden dann das «Vorbild» Deutschland ersetzen. Es wäre nicht das erste Mal, dass wir in entscheidenden Phasen zu demjenigen Pragmatismus zurückfinden, der uns bisher von unüberlegten Schnellschüssen abgehalten hat.
Es sind solche Überlegungen, die mich glauben lassen, dass die derzeit in aller Munde stehende Energiewende alles andere als festgezurrt ist. Die Erkenntnis wird wachsen, dass eine gesicherte und wirtschaftliche Energieversorgung zu wichtig ist, als dass wir hierauf vorschnell verzichten wollen. Eine Wende der Energiewende zurück zur Option Kernenergie ist deshalb alles andere als unwahrscheinlich.
Rolf Schweiger
Rolf Schweiger ist Rechtsanwalt und war von 1999 bis 2011 Ständerat des Kantons Zug. Während seiner Zeit im Parlament war er Mitglied der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerates (Urek-S) und präsidierte diese in seinen letzten beiden Amtsjahren. Er ist Präsident des Vereins «Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz (Aves)».
Quelle
Rolf Schweiger, Jahresbericht 2011 des Nuklearforums Schweiz