Nachhaltigkeitsfonds entdecken die Kernenergie
Wo Nachhaltigkeit drauf steht, soll auch Nachhaltigkeit drin sein: Gemeint sind grüne, ökologische Anlageprodukte. Als kohlenstoffdioxidfrei produzierte Energie hält Atomstrom mehr und mehr in Nachhaltigkeitsfonds Einzug.

Die Folgen des Verbrauchs fossiler Energiequellen sind heute nicht annähernd fassbar. Das gilt hinsichtlich des Schadenpotenzials der Abgase, die an die Luft gehen, für die Atemwege ebenso wie auch für die Auswirkung auf die globale Erwärmung. Die jüngsten Trendmeldungen deuten eher auf einen dramatischen Klimawandel hin. Mit anderen Worten: Die Treibhausgase würden rascher zur Überhitzung der Erdatmosphäre führen als bisher angenommen.
Bis vor Kurzem hatten bei vielen Nachhaltigkeitsfonds die Ideologen die Überhand. Für sie ist die Kernenergie ein rotes Tuch. Doch mehr und mehr macht sich eine pragmatische Sicht der Dinge breit. Konkret: Nachhaltigkeitsfonds beziehungsweise Sustainability Funds investieren nicht nur in Windräder und Solarpanels sondern auch in Kernkraftwerke.
Konsequent titelt deshalb die Financial Times Deutschland: «Atomkraft ergrünt in Ökofonds» und zeigt einen grünen Kaktus. Gewiss: Der Kaktus ist nicht für jedermann ein Lieblingsgewächs. Das ist eine Frage des subjektiven Geschmacks. Wer sich in der Gärtnerei umsieht, entdeckt allerdings durchaus Kakteen, die vor allem in der Blüte eine erstaunliche Schönheit entwickeln – und der Rose Paroli bieten, ganz zu schweigen von der anspruchslosen Pflege. Die Kakteen verzeihen es gerne, wenn man vergisst, sie einen Monat lang zu giessen. Bemerkenswert: Der in der Financial Times Deutschland gezeigte Kaktus hat die Form eines (grünen) Kernkraftwerks. Diese Analogie hat eine Symbolkraft, die durchaus als revolutionär bezeichnet werden darf.
Klar ist auch: Die Lieblinge der Nachhaltigkeitsfonds-Manager sind weiterhin die Windräder und die Solarpanels, obwohl diese Investments in der Vergangenheit (negative) Performance gekostet haben.
Das gilt einerseits mit Blick auf etablierte Unternehmen wie Solarworld, Conergy oder Nordex. Die Aktie des Windgeneratorenherstellers Nordex notiert nahe am Rekordtief; das Unternehmen ist nur noch 8% dessen wert, was es im Jahr 2001 war. Die Aktie von Solarworld ist auf das Niveau von 2005 zurückgefallen. Und die Aktie der ebenfalls in der Photovoltaik tätigen Conergy tendiert gegen Null: Im Jahr 2007 galt die Aktie noch EUR 23 (CHF 31), jetzt liegt der Wert bei EUR 0,50.
Die bisher genannten Unternehmen gehören zu den so genannten Bluechips der Branche. Noch riskanter und oft verlustreicher waren andererseits Investitionen in Pionierunternehmen erneuerbarer Energien.
Ironischerweise fahren jedoch nachhaltige Investoren mit jenen integrierten Konzernen am besten, die sowohl hohe Investitionen in erneuerbare Energietechniken tätigen wie auch nebenbei noch gute Geschäfte mit der Kernenergie erzielen: Gemeint sind zum Beispiel E.On, RWE, EnBW oder Siemens, Unternehmen also, die zwar die Kernkraft nicht in Deutschland, sehr wohl aber im Ausland wie in Finnland oder Grossbritannien ausbauen.
Martin Reim von der Financial Times Deutschland schreibt: «Die Kernkraft erlebt eine Renaissance. In Deutschland etwa hat die Regierung mit den Versorgern vereinbart, die Laufzeiten zu verlängern. Gibt es zumindest bei nachhaltig orientierten Anlegern noch kollektiven Widerstand gegen Atomkraft? Eindeutig nein.» Viele Anbieter nachhaltiger Aktienfonds würden Unternehmen akzeptieren, solange sich der Umsatz mit Kernkraft in gewissen Grenzen halte. Die wenigsten Investmenthäuser schliessen die Branche komplett aus. Einige würden ihre Kriterien aufweichen. Ein Beispiel ist der Indexbetreiber FTSE. In dessen nachhaltiger Indexfamilie FTSE4Good sind seit kurzem Nuklearfirmen zugelassen. Eine Sprecherin begründet dies mit dem Wunsch vieler Investoren.
Für Analysten ist klar, wer Atomkraft ausschliesst, müsste auf grosse, integrierte Konzerne wie E.on, RWE oder EnBW verzichten. Auch Zulieferer wie Siemens, Alstom, Emerson Electric und diverse Bergbauunternehmen müsste der Anleger konsequenterweise aufgeben. Ob Vontobel oder SAM Sustainability Asset Management: Für sie ist ein Ausschluss von Kernenergie nicht sinnvoll. So wird unter anderem auf die kohlenstoffdioxidfreie Stromproduktion der Kernkraftwerke verwiesen. Gewisse Fonds setzen Limiten von 5 bis 25%. Bis zu diesem Level darf sich der Kernenergie-Umsatz belaufen. Solche Limiten kennen unter anderem UBS, ING und Sarasin.
Jene Fonds, die sich der Kernenergie ganz verschliessen, rechtfertigen ihre Null-Toleranz-Politik mit den ihrer Meinung nach ungelösten Fragen der Entsorgung. Trotzdem zeigt der Trend über die ganze Branche hinweg Richtung mehr Toleranz. Das ist insofern nicht selbstverständlich, als von den Promotoren der erneuerbaren Energien auf Fonds einen starken Druck ausgeübt wird.
Quelle
Hans Peter Arnold