Neue Kernkraftwerke: Was sind die Hürden?
Das Interesse an der Kernenergie ist ungebrochen: bei Politikern, um ihre Versprechen zur CO2-Reduktion zu erreichen, bei der Industrie, um eine jederzeit verfügbare und günstige Stromversorgung sicherzustellen, und nicht zuletzt bei der Wirtschaft, um lukrative Aufträge zu gewinnen. Mit welchen Hürden auf dem Weg zur Umsetzung von Kernkraftwerksprojekten zu rechnen ist und wie diese zu überwinden sind, zeigte die internationale Tagung «European Nuclear Forum – Realising the renaissance: delivering a nuclear future for Europe» am 22. und 23. März 2010 in Paris.
In Grossbritannien sind bereits mehrere Planungsgesellschaften und internationale Joint Ventures aktiv. Nach den Plänen des französischen Stromversorgers Electricité de France (EDF) soll das erste Kernkraftwerk bereits Ende 2017 in Betrieb gehen. Die Horizon, ein Zusammenschluss der deutschen Energiekonzerne RWE und E.On, hat in Grossbritannien zwei neue Kernkraftwerke mit einer Leistung von insgesamt rund 6000 MW bis zum Jahr 2025 angekündigt. Und in Finnland, wo die französische Nukleargruppe Areva ihren ersten Reaktor der dritten Generation in Europa baut, sind die Vorbereitungsarbeiten für einen zweiten Reaktor der dritten Generation bereits im Gang.
Italien: Mehrheit befürwortet Kernenergie
Sogar in Italien ist die Stimmung bezüglich Kernenergie gut. Das Vertrauen der italienischen Bevölkerung in die Kernenergie nehme zu, sagte Francesco de Falco, CEO von Sviluppo Nucleare Italia, einem Joint Venture des italienischen Stromversorgers Enel S.p.A. und der EDF, an der Tagung. 63% stünden der Kernenergie positiv gegenüber, zitierte de Falco eine Umfrage aus dem Jahr 2009. Gesetzliche Grundlagen für den Bau und Betrieb von Kernkraftwerken sowie deren Abfallmanagement hat die italienische Regierung – nach einem Grundsatzentscheid des Abgeordnetenhauses und des Senats im Juli 2009 – im Februar 2010 verabschiedet. Bereits im Sommer 2020 soll nach den Plänen der Sviluppo Nucleare das erste Kernkraftwerk den kommerziellen Betrieb in Italien aufnehmen.
Umsetzung der Neubaupläne: Was sind die Hürden?
Die fortgeschrittenen Planungen werfen konkrete Fragen zur Umsetzung auf. Einige davon diskutierte der atomkritische Prof. Steve Thomas von der University of Greenwich in seinem Vortrag, unter anderen folgende:
- Warum dauern die behördlichen Bewilligungen neuer Kernkraftwerke so lange?
- Wie wichtig ist die Zustimmung der Bevölkerung?
- Bedeutet eine allgemeine Akzeptanz auch die Zustimmung der lokalen Bevölkerung zum Bau eines Kernkraftwerks?
- Wie stark sind die Auswirkungen eines Fachkräftemangels auf die Renaissance der Kernenergie?
- Wo liegen die Schwierigkeiten, Kernkraftwerke für Investoren finanziell attraktiv zu machen?
Einheitliche Regelwerke und mehr Akzeptanz seitens der Bevölkerung
Dass die Beantwortung dieser Fragen ausschlaggebend für den Ausbau der Kernenergie ist, zeigten die Forderungen von Vertretern der Energiewirtschaft. Sie appellierten an die Behörden, ein möglichst einheitliches und – wo sinnvoll – länderübergreifendes Regelwerk für die Lizenzierung neuer Reaktoren, die Standortauswahl und das Abfallmanagement zu schaffen. Weitreichende Akzeptanz in der Bevölkerung sei vor allem deshalb wichtig, um die Risiken politischer Schwankungen (beziehungsweise unschlüssiger Politiker) gegenüber der Kernenergie zu verringern. Hinter diesen Forderungen steckt der Wunsch nach grösstmöglicher Planbarkeit. Bei Kernkraftwerksprojekten wie bei allen anderen Projekten dieser Grössenordnung sind Verlässlichkeit der Behörden sowie gesellschaftspolitische Akzeptanz und Stabilität massgebliche Voraussetzungen.
Mehr Standardisierung und Transparenz
Ein Kostenfaktor, den es zu vermindern gelte, seien die unterschiedlichen Standards von Kernkraftwerken. Philipp Elkuch, Verantwortlicher für Kernenergie bei der Ingenieursberatung Pöyry, forderte von der Industrie mehr Anstrengungen hin zu einer Harmonisierung der unterschiedlichen Kraftwerkstypen. US-Auslegungen für die USA, EU-Auslegungen für Europa und noch mal andere für Asien verkomplizierten sowohl die Lizenzierung, die Planung und den Bau neuer Kernkraftwerke als auch die Ausbildung nötiger Fachkräfte. Hier gelte es, bei der Konzeption so pragmatisch wie möglich vorzugehen und auf internationaler Ebene Synergien zu nutzen.
Finanzierung von Kernkraftwerksprojekten
Intensiv diskutiert wurde an der Tagung die Finanzierung neuer Kernkraftwerke. Steve Thomas behauptete, es werde ohne staatliche Subventionen oder Darlehensgarantien keine neuen Kernkraftwerke in Europa geben. In dem Zusammenhang wurde wiederholt Grossbritannien genannt. Die britische Regierung hatte immer wieder betont, keinerlei Unterstützung bei der Finanzierung der dort geplanten Kernkraftwerke zu leisten. Derzeit ist allerdings eine Steuer auf den CO2-Ausstoss in der Diskussion. Eine solche Steuer würde die Anreize und die notwendige Sicherheit für Investitionen in die CO2-arme Kernenergie erhöhen.
Lange Zeiträume
Es sei für Banken nicht leicht, Investoren zu gewinnen, sagte David Stearns von der Bank HSBC, die auch an der Finanzierung des Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) der Areva in Finnland beteiligt ist. In deregulierten Märkten würden Investitionen in Kernkraftwerksprojekte nicht selbstverständlich getätigt. Die langen Zeiträume der Planungs- und Bauphase bedeuteten unter anderem schwer kalkulierbare Risiken für Kapitalgeber. Mögliche Gewinnausfälle durch die Verzögerung des Baus sowie massive Budgetüberschreitungen – wie in der Vergangenheit öfter geschehen – schreckten viele Kapitalgeber ab.
Hohe Kapitalkosten
Aufgrund dieser Risiken verlangen die Banken einen Zinssatz, der über dem auf dem Kapitalmarkt üblichen Satz liegt. Die Kapitalkosten machen einen Grossteil der gesamten Konstruktionskosten eines Kernkraftwerks aus. Ein weiterer Grund für hohe Kapitalkosten ist die Kreditwürdigkeit der Energieversorger, die Kernkraftwerke planen. Da es sich dabei um sehr hohe Summen von mehreren Milliarden Franken pro Kernkraftwerk handelt, kann es für Unternehmen unter Umständen schwierig werden, ausreichend liquide zu sein und eine gute Bonität vorzuweisen.
Risikotransfer notwendig
Um die Kapitalkosten so gering wie möglich zu halten, müssten laut Stearns die finanziellen Risiken eines Neubauprojekts besser verteilt werden. Dazu müsse man explizit Kapitalgeber als separate Investorengruppe von Anteilseignern und anderen Anspruchsgruppen unterscheiden. Die Kosten der Kapitalgeber, beziehungsweise deren Anspruch auf eine Rendite, müsse bei der Berechnung der Gestehungskosten des Stroms aus dem zukünftigen Kernkraftwerk ausreichend berücksichtigt werden. Weiter sei es notwendig, dass in der Planungs- und Entwicklungsphase eines neuen Kernkraftwerks die Regierung des betroffenen Landes zur Risikominderung beitrage, meint Stearns.
Transparenz auch bei Verträgen
Auch Elkuch plädierte für eine bessere Risikoverteilung, indem Verträge über neue Kernkraftwerke für beide Parteien, also für den Hersteller und für den zukünftigen Betreiber eines Kernkraftwerks, offener gestaltet würden. So könne Transparenz bei spezifischen Kosten einzelner Posten geschaffen werden. Dadurch wäre es beiden Partnern beispielsweise möglich, bei äusseren Umständen wie dem Preisanstieg eines benötigten Rohstoffs, zu einer einfacheren und gerechteren Lösung bei der Kostenbewältigung zu gelangen. Eine solche Risikoverteilung beträfe vor allem Verträge über schlüsselfertige Kernkraftwerke, bei denen sonst die Risiken zu stark beim Hersteller liegen würden.
Quelle
M.R. nach Marketforce European Nuclear Forum, Paris, 22. und 23. März 2010