Neutrinos wohl doch nicht eigene Antiteilchen

Wissenschaftern der Gerda-Kollaboration ist es gelungen, neue Grenzen für den sogenannten neutrinolosen Doppelbetazerfall zu setzen. Die Kollaboration überprüft, ob Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sind. Das Resultat widerlegt eine frühere Entdeckungsmeldung und liefert neue Informationen über die Neutrinomassen.

2. Aug. 2013
Das Modell des Gerda-Experiments zeigt den schalenartigen Aufbau, bei dem zur Minimierung störender Signale aus der Umgebung von aussen nach innen immer reinere Materialien eingesetzt sind. Die Germanium-Dioden im Inneren des mit 64’000 Liter flüssigem Argon (-186°C) gefüllten Kryostaten sind vergrössert dargestellt.
Das Modell des Gerda-Experiments zeigt den schalenartigen Aufbau, bei dem zur Minimierung störender Signale aus der Umgebung von aussen nach innen immer reinere Materialien eingesetzt sind. Die Germanium-Dioden im Inneren des mit 64’000 Liter flüssigem Argon (-186°C) gefüllten Kryostaten sind vergrössert dargestellt.
Quelle: Max-Planck-Institute für Kernphysik

Neutrinos sind neben Photonen die häufigsten Teilchen im Universum. Sie werden oft «Geisterteilchen» genannt, weil sie so extrem selten mit Materie wechselwirken. Daher sind sie ein unsichtbarer, aber bedeutender Bestandteil des Universums und könnten etwa genauso viel Masse wie alle anderen bekannten Formen von Materie beitragen. Dabei bewegen sie sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit über riesige Entfernungen. Ausserdem haben ihre winzigen Massen wichtige Folgen für die Strukturen im Universum, und sie sind die treibende Kraft bei der Explosion von Supernovae. Ihre bemerkenswerteste und wichtigste Eigenschaft aber schlug Ettore Majorana in den 1930er-Jahren vor: Im Gegensatz zu allen anderen Teilchen, aus denen die uns umgebende Materie besteht, könnten sie ihre eigenen Antiteilchen sein.

Mit Gerda auf der Suche nach neutrinolosem Doppelbetazerfall

Das Gerda (GERmanium Detector Array)-Experiment, das im Untergrundlabor Laboratori Nazionali del Gran Sasso des Istituto Nazionale di Fisica Nucleare in den italienischen Abruzzen betrieben wird, soll die Frage klären, ob Neutrinos tatsächlich ihre eigenen Antiteilchen sind, und ihre Masse bestimmen. Gerda untersucht sogenannte Doppelbeta-Zerfallsprozesse des Germanium-Isotops Ge-76 mit und ohne Emission von Neutrinos – letzteren als Konsequenz der Majorana-Eigenschaft. Beim normalen Beta-Minus-Zerfall entsteht aus einem Neutron in einem Kern ein Proton, ein Elektron und ein Antineutrino. Für Kerne wie Ge-76 ist dieser Zerfall energetisch verboten, aber die gleichzeitige Umwandlung von zwei Neutronen unter Emission zweier Neutrinos ist möglich und wurde kürzlich von Gerda mit bisher unerreichter Präzision gemessen. Es handelt sich um einen der seltensten jemals beobachteten Zerfälle mit einer Halbwertszeit von etwa 2 • 1021 Jahren – das rund 100-milliardenfache Alter des Universums. Falls Neutrinos Majorana-Teilchen sind, sollte der Doppelbetazerfall ohne Emission von Neutrinos ebenfalls stattfinden, und zwar mit einer noch geringeren Rate. In diesem Fall wird das Antineutrino des einen Betazerfalls vom zweiten betazerfallenden Neutron als Neutrino absorbiert, was nur möglich ist, wenn Neutrino und Antineutrino identisch sind.

Bei Gerda sind Germaniumkristalle zugleich Quelle und Detektor des Zerfalls. Natürliches Germanium enthält nur rund 8% Ge-76, das deshalb um mehr als das Zehnfache angereichert wurde, bevor daraus die speziellen Detektorkristalle gezogen wurden. Zur Beobachtung des äusserst seltenen Prozesses sind sehr ausgefeilte Techniken erforderlich, um die Hintergrundstrahlung aus kosmischen Teilchen, natürlicher Radioaktivität der Umgebung und sogar dem Experiment selbst auszublenden. Den Wissenschaftlern gelingt dies, indem sie die Detektoren in der Mitte einer riesigen Abschirmung betreiben, die mit extrem reinem flüssigem Argon gefüllt, mit hochreinem Kupfer ausgekleidet und von einem mit Reinstwasser gefüllten Tank von 10 m Durchmesser umgeben ist. Der ganze Aufbau befindet sich unter 1400 m Gestein.

Kein Signal des neutrinolosen Doppelbetazerfalls

Im Herbst 2011 begannen die Messungen mit zunächst acht Detektoren von der Grösse einer Getränkedose und jeweils etwa 2 kg Gewicht; später kamen fünf weitere Detektoren neuer Bauart hinzu. Bis vor kurzem war der Signalbereich in den Daten ausgeblendet und die Physiker konzentrierten sich auf die Optimierung des Verfahrens zur Datenanalyse. Das Experiment hat jetzt seine erste Phase abgeschlossen und 21 Kilogramm-Jahre an Daten gesammelt. Die Analyse, für die sämtliche Kalibrierungen und Filter vor Verarbeitung der Daten im Signalbereich definiert waren, ergab kein Signal des neutrinolosen Doppelbetazerfalls in Ge-76, was zu der weltbesten Untergrenze für dessen Lebensdauer von 2,1 • 1025 Jahren führt. Zusammen mit den Ergebnissen anderer Experimente schliesst dieses Resultat eine frühere Behauptung, ein Signal gefunden zu haben, aus. In einem nächsten Schritt werden zusätzliche neu hergestellte Detektoren eingesetzt und damit wird die Menge von Ge-76 in Gerda verdoppelt. Sobald einige weitere Verbesserungen zur noch stärkeren Hintergrundausblendung umgesetzt sind, soll eine zweite Messphase folgen.

Gerda ist eine europäische Kollaboration, die Wissenschaftler aus 16 Forschungsinstituten und Universitäten in Deutschland, Belgien, Italien, Polen, Russland und der Schweiz umfasst. Die Schweiz ist durch das Physikalische Institut der Universität Zürich vertreten.

Quelle

D.S. nach Max-Planck-Institute für Kernphysik, Medienmitteilung, 16. Juli 2013

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