Position der Schweizer Elektrizitätswirtschaft zum neuen Kernenergiegesetz

Carl Mugglin, Vorsitzender der Geschäftsleitung, Centralschweizerische Kraftwerke, Präsident des Ausschusses der Konferenz der Überlandwerke; Referat an der Sessionsveranstaltung des Energieforums Schweiz und der SVA vom 21. Juni 2001 in Bern

20. Juni 2001

In der Botschaft vom 28. Februar 2001 zu drei Kernenergie-Geschäften stellt der Bundesrat seinen Entwurf für ein neues Kernenergiegesetz (KEG) als Gegenvorschlag den beiden Volksinitiativen "Moratorium plus" und "Strom ohne Atom" gegenüber. Die Elektrizitätswirtschaft stellt sich wie der Bundesrat klar gegen die beiden Volksinitiativen, die letztlich eine vorzeitige Abstellung der bestehenden Kernkraftwerke und damit eine Kapitalvernichtung enormen Ausmasses erzwingen wollen. Das Ziel meines Referates ist es, Ihnen die Haltung der Elektrizitätswirtschaft und besonders der Kernkraftwerkbetreiber zum KEG-Entwurf des Bundesrates vorzustellen.
Für den sicheren Betrieb der bestehenden Kernkraftwerke wäre die bestehende Gesetzgebung zwar grundsätzlich eine genügende Grundlage. Handlungsbedarf besteht aber wegen erheblicher Unzulänglichkeiten bei den Bewilligungsverfahren für Entsorgungsanlagen, weshalb ein aktualisiertes Kernenergiegesetz auch aus der Sicht der Elektrizitätswirtschaft zweckmässig ist. Dabei setzen wir voraus, dass ein neues Gesetz dem sicheren und wirtschaftlichen Betrieb der bestehenden Kernkraftwerke keine sachlich unbegründeten Hindernisse in den Weg legt, und dass es die Bewilligung von Entsorgungsanlagen tatsächlich praxisnaher regelt.

Position der Kernkraftwerkbetreiber zum KEG-Entwurf des Bundesrates
Zum bundesrätlichen Gesetzesentwurf nehmen Elektrizitätswirtschaft und Kernkraftwerksbetreiber die folgende Haltung ein:

  • Der Entwurf enthält Elemente eines guten, zukunftsgerichteten Kernenergiegesetzes. Er schreibt - wie das bestehende Atomgesetz von 1959 - keine zeitliche Beschränkung der Betriebsdauer der Kernkraftwerke fest. Mit der Ablehnung der Forderung nach einer zeitlichen Begrenzung der Betriebsbewilligungen unterstreicht der Bundesrat seine Politik, die Option Kernenergie in der Schweiz als Teil der langfristigen Energieversorgung offen zu halten. Die Betriebszeit der Kernkraftwerke soll nach dem Willen des Bundesrates durch den Gesichtspunkt der Sicherheit bestimmt und nicht durch neu im Gesetz festgeschriebene politische Kriterien zusätzlich eingeschränkt werden.
  • Darüber hinaus enthält der Entwurf Verbesserungen gegenüber der bestehenden Gesetzgebung: Die vorgeschlagene Zusammenfassung der Bewilligungsverfahren beim Bund könnte - nach Bereinigung widersprechender Bestimmungen - die Realisierung geologischer Tiefenlager für radioaktive Abfälle ermöglichen.
  • Das vom Bundesrat vorgesehene fakultative Referendum für die Rahmenbewilligung für neue Kernkraftwerke versteht die Elektrizitätswirtschaft als politisches Gegengewicht zur Nichtbegrenzung der Betriebsbewilligung. Mit dieser Erweiterung der Volksrechte unterstellt der Bundesrat in Zukunft die politische Grundsatzfrage, ob in der Schweiz neue Kernkraftwerke erstellt werden sollen, dem Entscheid des Volkes.
  • Hingegen enthält der Entwurf des Bundesrates auch eine Reihe von Punkten, die vom Parlament zu bereinigen sind, damit ein Gesetz entsteht, dem auch die Elektrizitätswirtschaft zustimmen kann.


Hauptforderungen
Die Schweiz braucht ein Kernenergiegesetz, mit dem der sichere und wirtschaftliche Betrieb auch in der Praxis möglich ist. Hier liegt noch ein langer Weg vor dem Parlament. Der Weg ist aus unserer Sicht jedoch überblickbar. Die Hauptpunkte, die im Entwurf geändert werden müssen, damit die Elektrizitätswirtschaft zustimmen kann, sind die folgenden:
Das Verbot der Wiederaufarbeitung ist aus dem Gesetz zu streichen
Im Gesetz sind beide Optionen - Entsorgung mit oder ohne Wiederaufarbeitung - offen zu lassen. Ein Verbot der Wiederaufarbeitung würde insbesondere auch dem Verfassungsgrundsatz der Nachhaltigkeit widersprechen.
Ein gesetzliches Verbot der Wiederaufarbeitung ist klar abzulehnen, denn es führt insbesondere zu

  • einer Einschränkung der Handlungsfreiheit bei der Entsorgung durch Verzicht auf den industriell erprobten und bewährten Wiederaufarbeitungspfad mit klar definierten Endprodukten,
  • einem Verzicht auf das Recycling von Energierohstoffen durch einen geschlossenen Kernbrennstoffkreislauf.

Die Transporte abgebrannter Brennelemente ins Ausland entfallen durch einen Verzicht auf die Wiederaufarbeitung nicht. Vor der Endlagerung müssen die hochradioaktiven Brennelemente in einer industriellen Konditionierungsanlage in eine endlagerfähige Form gebracht werden. Im Fall eines Wiederaufarbeitungsverbots treten an Stelle der Transporte in die Wiederaufarbeitung dann eben die Transporte der abgebrannten Brennelemente in die - ausländische - Konditionierungsanlage.
In der Vernehmlassung zum Kernenergiegesetz sprach sich eine Mehrheit der Vernehmlasser - namentlich auch eine sehr klare Mehrheit der Kantone - gegen ein Verbot der Wiederaufarbeitung aus.

Kein dreifaches kantonales Veto gegen Tiefen- bzw. Endlager
Das dreifache kantonale Veto gegen ein geologisches Tiefen- bzw. Endlager widerspricht der vom Bund stipulierten Pflicht zur Entsorgung.
Obwohl der Bund den Abfallverursachern die Aufgabe der Entsorgung überträgt, lässt das KEG zu, dass ein Kanton diese Aufgabe dreimal ohne jede Rechtssicherheit blockieren kann. Dies ist eine unbillige Zumutung: Jeder Schritt ist mit hohen Kosten verbunden, ohne dass ein Rechtsanspruch auf den nächsten besteht.
Weil es sich um ein laufendes Verfahren unter dem bestehenden, durch einen Bundesgerichtsentscheid sanktionierten kantonalen Recht handelt, muss das Projekt Wellenberg/Nidwalden als Ausnahme behandelt werden.

Die soldiarische Nachschusspflicht ist aus dem Gesetz zu streichen
Eine solidarhaftungsähnliche, beschränkte (oder auch unbeschränkte) Nachschusspflicht der andern KKW-Betreiber brächte eine Diskriminierung gegenüber andern Wirtschaftzweigen und ist strikte abzulehnen.
Der Betrieb der Kraftwerke über 40 und mehr Jahre garantiert die ausreichende Vorsorge der für die Stilllegung und Entsorgung nötigen Mittel. Je länger die KKW im Betrieb bleiben können, desto kleiner wird das Risiko einer Unterdeckung.
Die im Gesetzesentwurf des Bundesrates vorgesehene Solidarhaftung unter allen Kernkraftwerksbetreibern hat den Charakter einer ungerechtfertigten Sippenhaftung, die dem Grundsatz der Eigenverantwortung widerspricht und sich auch nicht mit dem Verursacherprinzip begründen lässt.
Konkret bedeutet eine solidarische Nachschusspflicht für den einzelnen Betreiber ein zusätzliches, ausservertragliches, gesetzlich auferlegtes Risiko für ein Verhalten Dritter, auf das er selbst keinen Einfluss hat. Diesem wirtschaftlichen Risiko muss der Betreiber im Rahmen seines Geschäftsbetriebes Rechnung tragen, ohne dass dieses Risiko aus dem eigenen Geschäftsbetrieb resultiert. Die Aufbürdung eines solchen zusätzlichen Risikos verstösst gegen Grundsätze der Handels- und Gewerbefreiheit und verschlechtert die im Rahmen der Liberalisierung auch vom Gesetzgeber angestrebte Wettbewerbsfähigkeit.

Die Entschädigungspflicht gehört auch ins neue Gesetz
Die Bestimmung aus dem bestehenden Gesetz, wonach der Bund bei Entzug der Bewilligung aus Gründen, für die der Bewilligungsinhaber nicht einzustehen hat, eine angemessene Entschädigung für den aus dem Entzug erwachsenen Schaden leistet, ist in das neue Gesetz zu übernehmen. Das Fehlen dieser Bestimmung im bundesrätlichen Entwurf ist besonders im offenen Strommarkt ein einschneidendes Manko.
Die Entschädigungspflicht als Konsequenz aus dem zentralen Grundsatz der verfassungsmässigen Eigentumsgarantie muss im Kernenergiegesetz verankert bleiben.
Anders als im Monopolbetrieb kann der Bewilligungsinhaber die zur Deckung des Schadens aus einem Bewilligungsentzug erforderlichen Mittel im liberalisierten Strommarkt nicht durch eine Erhöhung des Energiepreises beschaffen. Die Entschädigungspflicht hat deshalb in Zukunft noch grössere Bedeutung als im geschlossenen Markt der Vergangenheit.

Internationale Entsorgungslösungen offen lassen
Das Gesetz ist so zu formulieren, dass die Entsorgung radioaktiver Abfälle in ausländischen Anlagen, die internationalen Standards genügen, möglich ist. Die von der Schweiz ratifizierte und seit dem 18. Juni 2001 gültige Konvention über die Sicherheit der Entsorgung radioaktiver Abfälle gewährleistet die sichere Abwicklung internationaler Entsorgungsprojekte.
Für schwach- und mittelradioaktive Abfälle ist der Bau eines eigenen geologischen Lagers in der Schweiz sinnvoll. Das Projekt Wellenberg hat daher Priorität.
Ein geologisches Lager für hochradioaktive Abfälle wird erst in einigen Jahrzehnten aktuell. Bis dahin werden hochradioaktive Abfälle und abgebrannte Brennelemente zwischengelagert. Das zentrale Zwischenlager Würenlingen (Zwilag) schafft den entsprechenden Freiraum. Für hochradioaktive Abfälle wären gemeinsame internationale Endlager besonders für Länder wie die Schweiz mit ihren vergleichsweise sehr kleinen Abfallmengen sinnvoll.
Ein lösungsorientiertes Gesetz hat alle sicheren Entsorgungsvarianten als Optionen offen zu halten. Im Bereich der politisch ohnehin schwierigen Entsorgung radioaktiver Abfälle verbietet der Verfassungsgrundsatz der Nachhaltigkeit, die Handlungsfreiheit künftiger Entscheidungsträger aufgrund heutiger politischer Befindlichkeiten zusätzlich einzuschränken.

Dies sind unsere Hauptforderungen zur Ertüchtigung des in seinen Hauptzügen richtigen bundesrätlichen Entwurfs. Dieser enthält im Übrigen eine Reihe weiterer Einzelheiten, die zu bereinigen sind, um das Gesetz in der Praxis umsetzen zu können.
Unsere Branche teilt die Beurteilung des Bundesrates, welcher in seiner Botschaft der Bundesversammlung beantragt, Volk und Ständen die Ablehnung beider Initiativen zu empfehlen.
Falls die aufgezeigten Verbesserungen gelingen, kann den beiden Ausstiegsinitiativen ein zukunftsorientiertes Gesetz als Gegenvorschlag gegenübergestellt werden: Ein Gesetz, in dessen Zentrum erstens eine Erweiterung der Volksrechte steht und zu dem zweitens die für den sicheren und wirtschaftlichen Betrieb der Kernkraftwerke verantwortliche Elektrizitätswirtschaft ja sagen kann.

Von der Option Kernenergie zum wichtigen Pfeiler der Stromversorgung
Ganz zum Schluss eine zentrale Feststellung zum Verständnis des Begriffs "Option Kernenergie". Der bundesrätliche Entwurf erweckt den Eindruck, dass die Option Kernenergie nur als "Übergangsenergie" administriert werden müsse. Dies steht im Widerspruch zu Aussagen des Bundesrates in seiner Botschaft, dass "der Strom aus schweizerischen Kernkraftwerken mindestens mittelfristig auch in einem liberalisierten Markt ein wichtiger Pfeiler der Stromversorgung bleibt" und dass die Kernenergie einen wichtigen Beitrag zur Einhaltung der CO2-Ziele liefert, wobei zu beachten sei, "dass aus Sicht des Klimaschutzes über 2010 hinaus weitergehende Reduktionen angestrebt werden sollten". Dies wird bekräftigt durch die neusten Berichte der Klimaexperten, die auch die besondere Betroffenheit des Alpenraums durch die Klimaänderungen hervorheben.
Als Fazit ergibt sich, dass die Kernenergie nicht nur als eine "Option" administriert werden darf, sondern vielmehr als ein auf längere Sicht wichtiger Pfeiler der Stromversorgung zu fördern ist. Dafür sind vor allem verlässliche, für neue Entwicklungen und internationale Zusammenarbeit offene gesetzliche Regelungen notwendig, d.h. ein schlankes, zukunftsoffenes Kernenergiegesetz.

Quelle

Carl Mugglin

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