Prophet unter der Neutronenlupe

Kunstgeschichte und Physik haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Im Rahmen des europäischen Forschungsprojekt Ancient Charm gehen die beiden Disziplinen jedoch eine enge Zusammenarbeit ein. So werden an der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) der Technischen Universität München (TUM) historisch wertvolle Gegenstände mit Neutronen analysiert. Mithilfe von Neutronen untersuchen die Physiker, Archäologen und Restauratoren am FRM II in Garching zerstörungsfrei, wie die Objekte gefertigt wurden und mit welchen Methoden man sie am besten restauriert.

14. Nov. 2009
Die Paradiespforte des Baptisteriums San Giovanni in Florenz, erstellt von Lorenzo Ghiberti.
Die Paradiespforte des Baptisteriums San Giovanni in Florenz, erstellt von Lorenzo Ghiberti.
Quelle: Gert von Hassel / TUM

Hunderte Touristen bestaunen täglich die bronzene Paradiespforte des Baptisteriums San Giovanni in Florenz. Der Renaissance-Bildhauer Lorenzo Ghiberti zeigt in seinem Meisterwerk aus den Jahren 1425 bis 1442 Szenen aus dem Alten Testament, umrahmt von Propheten- und Evangelistenköpfen. Einen dieser Bronzeköpfe des Florentiner Kunstwerks haben die Physiker Lea Canella (TUM) und Ralf Schulze (Universität zu Köln) am Instrument PGAA (Prompte Gamma-Aktivierungsanalyse) des FRM II mit Neutronen untersucht.

Laser vs. Chemie

Restauratoren aus Florenz hatten am Prophetenkopf zwei verschiedene Reinigungsmethoden ausprobiert: Einen Teil der von den Jahren geschwärzten Bronzefigur mit vergoldeter Oberfläche reinigten sie mit einem Laser, einen anderen Teil chemisch mit Salzen und einen dritten Teil des Kopfes liessen sie ungereinigt. Die Neutronenanalyse im Rahmen des EU-Projekts Ancient Charm sollte ihnen zerstörungsfrei zeigen, welche Reinigungsmethode die bessere ist.

Prophetenkopf von der Florentiner Paradiespforte, der am FRM II untersucht wurde. Der linke Teil des Kopfes wurde mit Lasertechnik gereinigt, der rechte mit einer chemischen Methode und die Mitte ist noch ungereinigt.
Prophetenkopf von der Florentiner Paradiespforte, der am FRM II untersucht wurde. Der linke Teil des Kopfes wurde mit Lasertechnik gereinigt, der rechte mit einer chemischen Methode und die Mitte ist noch ungereinigt.
Quelle: Ralf Schulze / TUM

Bei der Untersuchung am FRM II lenkten die Physiker die Neutronen so auf die jeweilige Stelle am Bronzestück, dass sie das Metall nur leicht an der Oberfläche streiften. Durch vertikales Verschieben des Kopfes drang der Neutronenstrahl unterschiedlich tief in das Material ein. Beim Zusammenstoss mit den Neutronen gaben die verschiedenen Materialien im Prophetenkopf ein charakteristisches Spektrum Gammastrahlen ab. Diese ausfallenden Strahlen massen die Physiker mit einem Spektrometer, sodass sie Rückschlüsse auf die Materialzusammensetzung an der bestimmten Stelle ziehen konnten.

Neutronen dringen weitaus tiefer in die Bronze ein, als es etwa Röntgenstrahlen vermögen. «Für derartige Messungen an wertvollen Objekten ist eine hohe Intensität mit an einem Punkt fokussierten Neutronen erforderlich», erklärt die verantwortliche Wissenschafterin am PGAA, Petra Kudejova, die für die Universität zu Köln am FRM II forscht. «Diese Möglichkeit haben wir nur an der Forschungs-Neutronenquelle in Garching.»

Im Fall der Bronzeplastik von der Florentiner Paradiespforte stellte sich bei der Analyse mit Neutronen heraus, dass die chemische Restaurierungsmethode die effizientere ist. Auf der derart gereinigten Oberfläche fanden die Physiker nämlich mit der Neutronenanalyse weniger Rückstände des Elements Chlor, das Bestandteil der schwarzen Ablagerungen ist. So wissen die Restauratoren nun, wie sie die wertvollen Ghiberti-Plastiken reinigen können.

Prophet mit Loch im Kopf

Ein anderes interessantes Ergebnis für die Kunstgeschichte lieferte eine zweite Untersuchung des Bronzekopfs mit Neutronen am Instrument ANTARES (Advanced Neutron Tomography and Radiography Experimental System) des FRM II. Hier wurde statt der Oberfläche die komplette Plastik mit Neutronen durchleuchtet. Auf dem so entstandenen Bild – der Radiografie – wurde sichtbar, dass der Kopf offenbar beim Erstguss vor fast 600 Jahren ein Loch davongetragen hatte. «Dieses Loch hat Ghiberti später gefüllt», meint Prof. Giuseppe Gorini vom physikalischen Institut der Universität Mailand-Bicocca, der das europäische Forschungsprojekt Ancient Charm leitet.

Radiografie eines Prophetenkopfes von der Florentiner Paradiespforte: Oben links im Kopf ist ein Loch (weiss) sichtbar, das laut Prof. Giuseppe Gorini erst später wieder aufgefüllt wurde.
Radiografie eines Prophetenkopfes von der Florentiner Paradiespforte: Oben links im Kopf ist ein Loch (weiss) sichtbar, das laut Prof. Giuseppe Gorini erst später wieder aufgefüllt wurde.
Quelle: Martin Mühlbauer / TUM

Prof. Carla Andreani von der Universität Rom ist begeistert von den Möglichkeiten, die die Neutronenanalyse bietet: «Das zeigt uns, dass die Anwendung von Neutronen einzigartige Informationen liefert. Sie helfen zu verstehen, wie die Figuren gefertigt wurden und wie wir sie am besten erhalten.» Ziel des Projekts Ancient Charm ist es nun, weitere Methoden zu etablieren, um noch mehr kulturell wertvolle Stücke zerstörungsfrei mit Neutronen untersuchen zu können.

Quelle: M.A. nach FRM II, Pressemitteilung, 20. August, und G. Festa et al. 2009: A nondestructive stratigraphic and radiographic neutron study of Lorenzo Ghiberti’s reliefs from paradise and north doors of Florence baptistery. In Journal of Applied Physics, Volume 106, Issue 7, Article 074909, 13. Oktober 2009

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