Ringen um den Stresstest in der EU

Die Mehrzahl der EU-Länder will auch nach den Ereignissen in der japanischen Kernkraftwerksanlage Fukushima-Daiichi an der Kernenergie festhalten und ihre Neubaupläne weiterverfolgen. Anlässlich des sechsten European Nuclear Energy Forum (Enef) am 19.–20. Mai 2011 in Prag betonten hochrangige Vertreter zahlreicher EU-Mitgliedsländer, dass jedes Land seinen Stromproduktionsmix selbst wählen dürfe. Ohne Kernenergie wären die Versorgungssicherheit und die Klimapolitik Europas gefährdet, lautete der breite Tenor am Enef.

24. Mai 2011

«Die Tschechische Regierung lehnt politische Eingriffe in den Stresstest der EU ab», erklärte der tschechische Premierminister Petr Necas zur Eröffnung des sechsten Enef. «Der Test hat auf einer rein technischen Ebene mit rationaler Bewertung zu beruhen.» Ziel müsse sein, ein vertretbares Sicherheitsniveau aller Kernkraftwerke in der EU sicherzustellen. Necas unterstrich, dass die Nutzung der Kernenergie Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten ist und die nationalen Regierungen für die Sicherheit ihrer Bürger verantwortlich sind und nicht die EU.

Volle Unterstützung erhielt Necas von der slowakischen Premierministerin Iveta Radicova. Sie betonte, dass es einzig darum gehe, die Sicherheit im Licht der Ereignisse in Fukushima erneut zu überprüfen. Eine politisch motivierte Vermischung der Gefährdung durch Naturkatastrophen mit der andersartigen Bedrohung durch Terrorangriffe lehnte sie ab. Die beiden Rewgierungschefs machten damit deutlich, dass sie den Versuchen insbesondere Deutschlands und Österreichs, den Umfang des Stresstests auszudehnen, Widerstand entgegensetzen. «Wir brauchen eine sichere Stromversorgung, und dazu gehört bis auf weiteres die Kernenergie», betonte Radicova. In der EU stammen rund 30% des Stroms aus Kernkraftwerken.

Tiefer Graben in Europa

«Jedes Land hat das Recht, souverän seinen Strommix zu wählen», erklärte auch der französische Energieminister Eric Besson. «Die nukleare Sicherheit ist viel zu wichtig, um sie zu politisieren, wie das heute geschieht.» Für eine rein technische Prüfung durch Fachleute sprachen sich am Enef in Prag auch der bulgarische Energieminister Trajtscho Trajkov und der ungarische stellvertretende Staatssekretär für Energie Pal Kovacs aus.

Der tschechische Europaabgeordnete Evzen Tosenovsky (Gruppe der Europäischen Konservativen und Reformisten) bedauerte, dass das EU-Parlament über die Kernenergie in zwei Lager gespalten ist, sodass es auch nach sieben Anläufen nicht gelang, eine Entschliessung zum Stresstest zu verabschieden. «Bei Parlamentariern aus einigen Ländern schwappten die Emotionen über», meinte er. Die Mehrheit des parlamentarischen Ausschusse für Industrie, Forschung und Energie (Itre) spreche sich jedoch für einen rein technischen, entpolitisierten Stresstest aus. «Ich hoffe, Europa findet wieder zu einem rationalen Ansatz. Andernfalls drohen riesige wirtschaftliche Probleme», sagte Tosenovsky.

Neubauprogramme werden fortgeführt

Aus den Referaten von Politikern sowie Vertretern von Sicherheitsbehörden und Industrie wurde klar, dass die grosse Mehrheit der EU-Länder an der Nutzung der Kernenergie festhält und ihre Neubauprogramme fortführt (siehe Karte), um ihre wirtschafts- und klimapolitischen Ziele zu erreichen. Aufgabe des – allseitig begrüssten – Stresstestes sei, die europäischen Kernkraftwerke noch sicherer zu machen, indem die allfälligen Lehren aus Fukushima gezogen werden. So erklärte beispielsweise Hergen Haye, Leiter des nuklearen Neubauprogramms im britischen Department of Energy & Climate, dass Grossbritannien die bisherigen Neubauprojekte in diesem Licht weiterverfolge. Gleiches gelte für Finnland, Litauen, die Niederlande und Polen, wie Vertreter dieser Länder in Prag betonten.

Ihnen schloss sich der amerikanische Botschafter in Prag, Norman Eisen, an. «Auch die USA verfolgen bei der Sicherheitsbeurteilung von Kernkraftwerken einen rationalen, wissenschaftsbasierten Ansatz», erklärte er die Haltung der amerikanischen Regierung: «Die USA setzen heute und auch künftig auf die Kernenergie als Teil des Strommix.»

Oettinger: 30% Kernenergie werden bleiben

EU-Energiekommissar Günther Oettinger (vormals Ministerpräsident in Baden-Württemberg), der für die Umsetzung des EU-Stresstests zuständig ist, erinnerte in Prag an die klimapolitischen Ziele der EU. «Ich bin überzeugt, dass die Kernenergie noch auf viele Jahrzehnte Teil des EU-Strommix bleiben wird», erklärte er. «Wenn Deutschland aussteigt, wird gleichzeitig Polen einsteigen. Nach meiner Meinung wird sich am 30-Prozent-Anteil des Atomstroms kaum etwas verändern.» Oettinger versicherte, dass er im Stresstest kein Verfahren gegen die Kernenergie sehe. Er bemühe sich um eine objektive Prüfung.

Quelle

M.S. nach 6th European Nuclear Energy Forum, 19.-20. Mai 2011

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