Schweizer KMU, offener Strommarkt und Kernenergie

Gastreferat von Nationalrat Dr. Pierre Triponez, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV), anlässlich der Generalversammlung der SVA vom 27. August 2002 in Bern

26. Aug. 2002

Herzlichen Dank für Ihre freundliche Einladung zu Ihrer heutigen Generalversammlung und für die Gelegenheit, Ihnen meine Gedanken und Überlegungen zur bevorstehenden Eidgenössischen Volksabstimmung vom 22. September 2002 über das Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) einerseits und zur aktuellen politischen Diskussion über die Atomenergie anderseits vortragen zu dürfen.
Vorab darf ich zur Klarstellung darauf hinweisen, dass der Schweizerische Gewerbeverband schon frühzeitig - im April - eine klare Ja-Parole zum EMG beschlossen hat, und dass er die beiden Anti-Atom-Initiativen (Moratorium plus und Strom ohne Atom) mit aller Deutlichkeit bekämpfen wird. Die Abstimmungsempfehlung des SGV zum neuen Kernenergiegesetz wird hingegen erst dann erfolgen, wenn dieses von beiden Kammern der Bundesversammlung verabschiedet sein wird.
Bevor ich im Folgenden auf die beiden Themenbereiche "Strommarktliberalisierung" und "Kernenergie", die sehr wohl eng miteinander verknüpft sind, im Einzelnen eintreten werde, möchte ich bereits an dieser Stelle betonen, dass die Mehrzahl der KMU insgesamt - und ich als Einzelgewerbler - völlig unabhängige und somit "neutrale" Energiekonsumenten sind, denen es eigentlich unwichtig ist, wer ihnen den Strom liefert.
Entscheidend aber, ja lebenswichtig für die KMU im täglichen Wirtschaftswettbewerb ist vielmehr,

  • dass die Stromversorgung lückenlos klappt und jederzeit genügend Elektrizität bezogen werden kann
  • dass die Strompreise günstig ausfallen, damit die Energiekosten, welche für die meisten KMU einen wesentlichen Kalkulationsfaktor für die Rentabilität ausmachen, so tief als möglich ausfallen
  • dass sie die Möglichkeit haben, unter mehreren Lieferanten jenen auszuwählen, der ihnen die besten Konditionen bietet, und dass sie den Lieferanten bei Bedarf auch wechseln können
  • und dass sie, die KMU, gegenüber den Grossbezügern nicht a priori schlechter gestellt werden, sondern wie diese die Chance haben, marktkonforme Preise und Zahlungsbedingungen auszuhandeln.

Klein- und Mittelbetriebe sind in aller Regel flexibel, anpassungsfähig, kreativ und innovativ. Sie sind auch risikofreudig und dynamisch. Sie sind sich gewohnt, rasche Entscheide zu fällen und sich neuen Herausforderungen zu stellen. KMU müssen aber auch knapp und in harter Konkurrenz kalkulieren. Ähnlich wie bei den Transportkosten und anderswo müssen die KMU deshalb auch bei den Energiepreisen auf jeden Rappen achten.
Dies ist der wichtigste Grund, weshalb die KMU und der Schweizerische Gewerbeverband als Dachorganisation der kleinen und mittleren Unternehmen die schweizerische Energiepolitik seit jeher wachsam verfolgen und dafür kämpfen, dass unser Land politisch und wirtschaftlich optimale Rahmenbedingungen für eine zukunftsorientierte, breitgefächerte, ausreichende, technologisch ausgefeilte Energieversorgung und -verteilung sicherstellt. Dies gilt nicht nur für die Elektrizität, sondern ebenso für Öl oder Gas sowie sämtliche übrigen wirtschaftlich sinnvoll nutzbaren Energiequellen bzw. Energiearten.
Konkret ist die Strategie des SGV in der Energiepolitik ganz generell auf folgende Ziele ausgerichtet:

  1. Die Verfügbarkeit ausreichender Energie soll ununterbrochen und andauernd zu jedem Zeitpunkt an jedem gewünschten Ort in der gewünschten Intensität gewährleistet werden können.
  2. Die notwendigen Reservekapazitäten sowohl für kurzfristige Engpässe wie auch für längerfristige Ausfälle sollen im Rahmen der technischen Möglichkeiten und der wirtschaftlichen Machbarkeit bereitgestellt und verfügbar gemacht werden.
  3. Anzustreben ist ein möglichst hoher Eigen-versorgungsgrad mit einheimischer Energie, damit die Abhängigkeit von ausländischen Produzenten und Lieferanten so gering wie möglich ausfällt.
  4. Das Energieangebot soll vielfältig und breitgefächert sein. Alternativen und Kombinationsmöglichkeiten sollen die Wahlfreiheit der Energiebezüger und Energieverbraucher erhöhen.
  5. Auf dem Energiemarkt soll Wettbewerb zwischen den Anbietern bestehen, damit die Innovation und die Kundenorientierung der Energieproduzenten und des Handels im Interesse der Verbraucher gefördert werden.
  6. Die KMU sollen die von ihnen benötigte Energie nicht nur im nationalen, sondern auch im internationalen Vergleich zu günstigen Preiskonditionen beziehen können; sie sollen unter mehreren Lieferanten wählen dürfen.
  7. Die Reduktion und Minimierung des Energieverbrauchs soll durch sparsame Spitzentechnologie bei der Entwicklung neuer Anlagen, Geräte, Werkzeuge und Fahrzeuge angestrebt werden.
  8. Die Schonung der Umwelt und der Ressourcen soll durch sinnvolles Recycling, durch Wiederaufbereitung und durch eine optimale Ausnützungseffizienz nachhaltig unterstützt werden.
  9. Die fiskalische Belastung des Energieverbrauchs soll massvoll und möglichst tief angesetzt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft im globalen Konkurrenzkampf nicht über Gebühr zu beeinträchtigen.
  10. Die Anstrengungen in der Forschung und Entwicklung, der Aus- und Weiterbildung sowie der Nachwuchsförderung im gesamten Energiebereich dürfen nicht erlahmen; die Schweiz muss im Gegenteil alles daran setzen, auch hier an der Spitze des Fortschritts mitzuhalten.


Diese 10 Fixpunkte der SGV-Strategie gelten - wie schon erwähnt - nicht nur für den Strommarkt, sondern für den gesamten Komplex der Energiepolitik.
Doch nun konkret zum Strom und noch präziser zum Elektrizitätsmarktgesetz (EMG), über welches der Souverän in weniger als einem Monat in der Volksabstimmung vom 22. September 2002 zu entscheiden haben wird:
Obwohl vom EMG und von der dazugehörigen Ausführungsverordnung EMV keineswegs in allen Punkten begeistert, hat die Schweizerische Gewerbekammer - das "Parlament" des Schweizerischen Gewerbeverbandes - nach einer Gesamtwürdigung der Gesetzesvorlage am 24. April dieses Jahres einhellig den Beschluss gefasst, das EMG zu unterstützen und sich für ein Ja zu diesem Gesetz einzusetzen.
Hauptelemente für diese Zustimmung waren insbesondere folgende Überlegungen:

  • Das EMG setzt vernünftige Leitplanken für eine schrittweise, geordnete Liberalisierung des Strommarktes im Einklang mit dem europäischen Umfeld.
  • Das Gesetz garantiert eine flächendeckende Versorgungssicherheit in allen Landesteilen.
  • Das EMG sichert den schweizerischen Besitz des Übertragungsnetzes und gewährt ein diskriminierungsfreies Durchleitungsrecht.
  • Das Gesetz fördert, wenn auch mit Vorsicht, den Wettbewerb zwischen den Stromanbietern und schafft Voraussetzungen für preisliche Konkurrenz.
  • Das EMG bringt auch den KMU zwar zögerlich, aber doch in absehbaren Schritten Wahlfreiheit und damit die Chance zu günstigeren Lieferverträgen.
  • Die Kennzeichnungspflicht des EMG ist in gewerblichen Kreisen zwar nicht unumstritten, wird aber letztlich zu einer verbesserten Transparenz des Strommarktes führen.

Insgesamt und zusammenfassend erachtet der Schweizerische Gewerbeverband das EMG als ausgewogene Kompromisslösung und als taugliche Rechtsgrundlage für die anstehende bzw. bereits angelaufene Strommarktöffnung, zu welcher aus heutiger Sicht keine valable Alternative auszumachen ist.
Ohne Begeisterung und ohne realitätsfremde Illusionen sind wir im SGV davon überzeugt, dass eine Zustimmung zum EMG der momentan einzig richtige Weg ist.
Mit oder ohne EMG - hoffentlich mit - ist und bleibt eine ausreichende und kostengünstige Stromversorgung für einen Grossteil der KMU von lebenswichtiger Bedeutung. Und dies gilt nicht nur für die KMU, sondern, wie wir alle wissen, für unsere ganze Volkswirtschaft und für unsere gesamte moderne Gesellschaft überhaupt.
Glücklicherweise - das ist zweifellos eine erfreuliche Ausgangslage - profitieren wir heute von einer ausreichenden Stromproduktion, wobei man momentan sogar von einem Überschuss sprechen kann, nachdem der Stromverbrauch in der Schweiz in den vergangenen 12 Jahren - entgegen früheren Berechnungen - weniger stark angestiegen ist als erwartet. Trotzdem: der Strombedarf steigt unaufhaltsam und dürfte in den nächsten Jahren wieder stärker zunehmen. Schon bald also - neuere Schätzungen sprechen vom Jahre 2010 - könnte es zu Engpässen in der Stromversorgung kommen, wenn die Produktion nicht in genügendem Ausmass gesteigert werden kann.
Eine zentrale Rolle spielen in diesem Zusammenhang unsere Atomkraftwerke, welche heute bekanntlich nahezu 40% der gesamten schweizerischen Stromproduktion leisten. Ohne diesen massgeblichen Anteil von Atomstrom wäre die Elektrizitätsversorgung der Schweiz bereits längst nicht mehr sichergestellt und wir wären in unverantwortlich hohem Ausmass vom Ausland abhängig. Damit kommt der Atomenergie mit Blick auf die Sicherheit unserer Elektrizitätsversorgung eine eigentliche Schlüsselrolle zu.
Der Schweizerische Gewerbeverband hat seit Beginn der friedlichen Nutzung von Atomenergie grosse Hoffnungen in diese neue Technologie und ihre Entwicklungsmöglichkeiten gesetzt. An vorderster Front engagierte er sich für den Bau und die Inbetriebnahme unserer Atomkraftwerke in der Schweiz. Bei der Eidgenössischen Volksabstimmung 1990 setzte er sich vehement für ein Nein zur damaligen Atom-Ausstiegsinitiative ein und empfahl auch die Ablehnung des 10-jährigen Moratoriums, das dann aber von Volk und Ständen gutgeheissen wurde.
Dieses klare Bekenntnis der KMU zur Weiterführung und Förderung der Nukleartechnologie beruht auf der Überzeugung, dass die Sicherheit unserer Atomkraftwerke mittels technischer Schutzmassnahmen gewährleistet werden kann, und dass eine zukunftsweisende Energiepolitik unter diesen Umständen darauf ausgerichtet sein muss, den künftigen Strombedarf mittels möglichst hoher Produktionseffizienz, optimalem Entwicklungspotenzial, wirtschaftlich tragfähigem Nutzen und umweltschonenden Technologien mit langfristiger Ressourcensicherheit zu garantieren.
Atomenergie ist eine Energie mit Zukunft. Gerade weil die Wasserkraft und alternative Stromproduktionsmöglichkeiten wie beispielsweise die Windenergie oder die Solartechnik weder den heutigen noch den künftigen Bedarf auch nur annähernd befriedigen können, wird die Atomenergie auch künftig einen wesentlichen Pfeiler unserer Stromversorgung bilden und - davon bin ich persönlich überzeugt - an Bedeutung noch zunehmen.
Die Förderung und Weiterentwicklung der Nukleartechnologie drängt sich aber nicht nur aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und der Versorgungssicherheit auf, sondern auch aus Überlegungen der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes. Die Erzeugung von Atomstrom bietet - das kann man nicht genug betonen - den grossen Vorteil, dass damit praktisch keine schädlichen Emissionen und insbesondere kein CO2 verursacht werden. Müsste diese Technologie durch andere Produktionsmethoden wie den vermehrten Einsatz fossilthermischer Kraftwerke abgelöst werden, so würde dies unweigerlich zu einer beträchtlichen Zunahme der heutigen CO2-Emissionen führen und damit die gemäss geltendem CO2-Gesetz angestrebte Reduktion dieser Emissionen um 10% verunmöglichen.
Wir befinden uns momentan im Vorfeld wichtiger politischer Weichenstellungen bezüglich der Atomenergie. Die Eidgenössischen Räte stehen mitten in den Beratungen zu einem neuen Kernenergiegesetz und befassen sich gleichzeitig mit den beiden gültig zustande gekommenen Volksinitiativen "Strom ohne Atom - für eine Energiewende und die schrittweise Stilllegung der Atomkraftwerke" einerseits und "Moratorium Plus - für die Verlängerung des Atomkraftwerk-Baustopps und die Begrenzung des Atomrisikos". Über beide Begehren werden wir voraussichtlich im nächsten Jahr zu entscheiden haben.
Aufgrund meiner bisherigen Ausführungen dürfte klar sein, dass unser Wirtschaftsverband diese beiden Volksbegehren strikte ablehnt und entschieden bekämpfen wird. Auch wenn die zwei Initiativen unterschiedliche Titel haben und auf den ersten Blick nur die erstgenannte den Ausstieg konkret nennt, verlangt auch die zweitgenannte ganz klar eine vorgezogene Stilllegung. In diesem Sinne besteht kein nennenswerter Unterschied zwischen diesen beiden Ausstiegsinitiativen.
Demgegenüber ist der Schweizerische Gewerbeverband davon überzeugt, dass die Nutzung der Atomkraft auch künftig unverzichtbar bleibt und in ihrer Bedeutung in den nächsten Jahrzehnten sogar noch zunehmen wird. Er ist auch zuversichtlich, dass das Vertrauen unserer Bevölkerung in die Nukleartechnologie wieder vermehrt gewonnen und gestärkt werden kann, wenn die Probleme der Betriebssicherheit, der Wiederaufarbeitung von Brennelementen und der Entsorgung radioaktiver Abfälle sorgfältig angegangen und offen kommuniziert werden.
Entsprechend wichtig ist die konkrete Ausgestaltung des neuen Kernenergiegesetzes, welches ein klares Bekenntnis der gesetzgebenden Behörde zur Fortführung und Verbesserung der Nutzung der Kernenergie festschreiben soll. Es liegt nun an den Eidgenössischen Räten, den Gesetzesentwurf diesbezüglich noch zukunftsorientier-ter auszugestalten und damit die Kernenergie für die nächsten Jahrzehnte nicht nur als Option offen zu halten, sondern weiterhin mit Überzeugung auf diese Technologie und ihre Weiterentwicklung zu setzen.
Die Chancen für die Zukunft des Atomstroms stehen heute, zu Beginn dieses neuen Jahrtausends, deutlich besser als vor 16 Jahren, als die Welt unter dem Schock von Tschernobyl stand und die verständlichen Ängste von damals zu einer breiten Abwehrhaltung weiter Kreise der Bevölkerung speziell in Zentraleuropa führten.
Entscheidend wird es sein, dass der inzwischen wesentlich gesteigerte Sicherheitsstandard der modernen Kernkraftwerke erhalten und im Rahmen der Möglichkeiten weiterentwickelt wird. Ebenso wichtig ist eine offene und ehrliche Aufklärungsarbeit über die nach wie vor bestehenden Probleme, insbesondere auch die Endlagerproblematik radioaktiver Abfälle.
Diesbezüglich leistet die SVA einen wichtigen und positiven Beitrag, der Vertrauen verdient. In diesem Sinne möchte ich denn am Schluss meines Referates die Gelegenheit benützen, Ihrer Organisation und allen Beteiligten für die grosse Arbeit und Ihr Engagement herzlich zu danken.
Sie tragen entscheidend dazu bei, dass die Atomenergie in unser aller Interesse eine Energie mit Zukunft ist.

Quelle

Dr. Pierre Triponez

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Zur Newsletter-Anmeldung

Profitieren Sie als Mitglied

Werden Sie Mitglied im grössten nuklearen Netzwerk der Schweiz!

Vorteile einer Mitgliedschaft